Interview mit Peter Sarsgaard:Kämpfe und Blut, dieser Hunger nach Krieg

Wo bleibt Amerikas Perspektive? Der Schauspieler Peter Sarsgaard über seinen neuen Film "Jarhead" und den Irakkonflikt.

Anke Sterneborg

SZ: Ein Vergewaltiger und Mörder in "Boys Don't Cry", ein bisexueller Sexforscher in "Kinsey", ein Erpresser in "Flightplan" - picken Sie sich gezielt immer die schwierigsten Rollen heraus?

Peter Sarsgaard

Mag schwierige Rollen: Peter Sarsgaard.

(Foto: Foto: rtr)

Peter Sarsgaard: Nicht gezielt. Aber in Hollywood ist das nun mal so - die schmeichelhaften und gutgeschriebenen Rollen gehen erst mal an Stars wie Brad Pitt oder Johnny Depp. Und wenn man die schlechtgeschriebenen nicht mag, bleiben eben jene Rollen, die viele Kollegen nicht nehmen - aus Angst, dass sie darin nicht so gut aussehen. Aber gerade die Menschen, die in der Gesellschaft missverstanden oder verurteilt werden, interessieren mich besonders. Meine Mutter erzählte, dass ich schon als Kind, in Oklahoma, die schwarzen Obdachlosen und Alkoholiker ansprach, weil ich verstehen wollte, wie sie dazu wurden. Das ist toll für einen Schauspieler - sich da einzufühlen. Nur weil jemand schreckliche Dinge tut, heißt das ja nicht, dass er schlecht ist. Jeder dieser Menschen war mal ein unschuldiges Baby.

SZ: Ihre Figuren haben oft etwas Mysteriöses an sich. Kommt das womöglich von Ihrer starken religiösen Erziehung?

Sarsgaard: Das könnte sein... Gerade habe ich mir allerdings ein paar Projekte vorgenommen, in denen ich ziemlich extrovertiert sein kann. Ich lebe eben sehr zurückgezogen, teile meine Gefühle und Gedanken mit nur sehr wenigen Menschen. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass ich keiner bin, dem das Schauspielen im Blut liegt - ich war nie der Klassenclown. Im College bin ich aus Langeweile in die Theatergruppe gegangen, bin dadurch nach New York gekommen, dort hat mich Tim Robbins gesehen und für seinen Film "Dead Man Walking" besetzt. Ich habe nicht den Drang, mich vor Publikum zu produzieren, mir geht es darum, alle möglichen Erfahrungen zu machen und durch sie Glaubwürdigkeit zu erreichen. Andere Schauspieler haben einen ganz anderen Stil - Harrison Ford, mit dem ich den U-Boot-Film "K-19: The Widowmaker" machte, hat mir mal erklärt, man müsse die Gefühle wie durch einen Schlauch ins Publikum leiten. Er macht das großartig, im Grunde ist seine Verbindung zum Publikum stärker als die zu seinen Mitspielern im Film. Er ist immer der Einzelgänger, der seine Gedanken mit dem Publikum teilt.

SZ: War das irgendwie merkwürdig, dass ein englischer Regisseur, Sam Mendes, "Jarhead" dreht, einen Film, der von einem amerikanischen Krieg, dem ersten Golfkrieg, erzählt?

Sarsgaard: Im Gegenteil, das war geradezu unerlässlich - weil für ihn als Engländer diese amerikanischen Themen nicht so selbstverständlich sind. Es ist schwer, eine Kultur zu durchschauen, wenn man in ihr aufwächst. Ich habe einen Freund in Japan, der fand das seltsam, dass wir Amerikaner bei jeder Gelegenheit die Nationalhymne singen. Wegen des Zweiten Weltkriegs gibt es in Japan großes Misstrauen gegenüber dieser Art von Nationalismus. Ohne diesen Freund hätte ich nie darüber nachgedacht. Wir Amerikaner sind durch einen Ozean vom Rest der Welt getrennt - und vor seiner Präsidentschaft hat Bush dieses Land nie verlassen. Wie sollen wir da eine Perspektive auf die Welt haben?

SZ: "Jarhead" ist ja auch eine Meditation darüber, warum Männer den Krieg lieben ...

Sarsgaard: Nun, man wird unweigerlich mit seinem eigenen Killerinstinkt konfrontiert. Wir alle wissen, dass Krieg schlecht ist, aber unter der Oberfläche, in großer Tiefe, gibt es doch dieses Verlangen, mehr Kämpfe, Schüsse, Blut zu sehen. Auch ich schaue in CNN lieber Sachen an mit einem explodierenden Auto als Kinder, die durch die Straßen Bagdads laufen. Das sind die Programme, die höhere Quoten machen, die Filme, die Kassenerfolge sind.

SZ: Wenn in "Jarhead" die Marines bei einer Vorführung von Coppolas "Apocalypse Now" johlen und applaudieren, wird dieser Antikriegsfilm zum Propagandafilm.

Sarsgaard: Damit muss sich jeder Kriegsfilm auseinandersetzen, auch solche wie "Full Metal Jacket" oder "The Deer Hunter". Ich sprach mit Francis Coppola, bevor wir "Jarhead" machten. Er war besorgt, dass wir diese Szene aus seinem Film verwenden ... und wie das wirken würde. Aber er sagte auch, dass das eben unsere Realität in Amerika ist. Wenn es real ist, muss man es zeigen.

SZ: Sie sagten, dass Sie von jeder Ihrer Figur lernen. Was ist es, das Sie von dem Marine Troy, den Sie in "Jarhead" spielen, lernten?

Sarsgaard: Mein eigener Blutdurst, meine eigene Lust auf den Krieg. Wenn ich den Film anschaue, will ein Teil von mir, dass mein Partner Jake Gyllenhaal abdrückt. Wir Amerikaner sollten uns fragen, warum wir wieder und wieder in den Krieg ziehen - dabei geht es doch nicht wirklich darum, unsere Ideale zu exportieren. Tief in unserer Psyche gibt es diesen Hunger nach Krieg.

SZ: Sie Haben einige Filme nach Biografien gemacht. Wieviel Realität brauchen Sie denn für Ihre Rollen?

Sarsgaard: Jeder gute Film, den ich jemals gemacht habe ist eine Art Traum. Es gibt ein kollektives Unterbewusstes, etwas, das all unsere Erfahrungen verbindet - und im Grunde sind unsere Träume ja auch wie Filme "geschnitten", man läuft durch ein Feld, dann ist man in einem Haus, dann sitzt man auf einem Pferd ... Als Kind nimmt man alles viel intensiver wahr. Wenn man viele Menschen, Bäume, Häuser gesehen hat, sieht man sie gar nicht mehr, man übersieht die Ringe unter den Augen eines Menschen oder das Sterben eines Baumes oder dass ein neues Gebäude nur so hergerichtet wurde, dass es alt aussieht.

SZ: In "The Dying Gaul" spielen Sie einen Drehbuchautor, der sich von Hollywood korrumpieren lässt. Kennen Sie das von Ihrer eigenen Karriere?

Sarsgaard: Das gehört zum Alltag eines Schauspielers in Hollywood. Ich versuche, meinen Prinzipien treu zu bleiben, aber manchmal muss man eben einen nicht so guten Film in Kauf nehmen, um einen anderen wichtigen machen zu können. Ich wechsle da ab, und manchmal stehe ich auch zu einem Film, der reines Entertainment ist.

SZ: Sie haben früher Fußball gespielt und Ballettstunden genommen ... zwei sehr unterschiedliche Betätigungen.

Sarsgaard: Fußball ist ein wunderbarer Sport, dieser Jubel des Publikums, nicht nur bei den Toren, sondern auch bei einzelnen Spielzügen ... Ich las von einem Fußballer, der Ballettstunden nahm, um seine Balance zu verbessern. Aber als ich dann dort war, ging es mir nur noch um die Mädchen. Ich bin vermutlich einer der wenigen Heteros, die realisiert haben, wie schön es ist, mit Frauen in einem Ballettsaal zu sein.

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