Interview mit Patricia Kaas:"Ich weiß, was kämpfen bedeutet"

Die Kaas über Heldinnen, die Möglichkeiten einer Chansonnière in Zeiten der Krise und den frühen Tod ihrer Mutter.

Hilmar Klute

SZ: Lustig, dass viele Leute ihren Hunden die Namen von Getränken geben, oder?

Interview mit Patricia Kaas: Patricia Kaas "überfliegt" in ihrem neuen Album die 30er Jahre und erinnert dabei an Hildegard Knef.

Patricia Kaas "überfliegt" in ihrem neuen Album die 30er Jahre und erinnert dabei an Hildegard Knef.

(Foto: Foto: Reuters)

Patricia Kaas: Tequila hat sich ihren Namen selber ausgesucht.

SZ: Ungewöhnlich für einen Hund.

Kaas: Ich habe verschiedene Dinge aufgezählt: Tomate, Tartine, bei Tequila hat sie "Oui!" gesagt.

SZ: Frau Kaas, mal was anderes: Die Zeiten sind furchtbar schlecht, die Leute haben Angst, dass sie demnächst alles verlieren könnten. Was kann man als Chansonnière dagegen machen?

Kaas: Dagegen nicht viel, aber man kann die Leute vielleicht auf andere Gedanken bringen während der Show.

SZ: Welche Lieder müsste man jetzt singen, eher aggressive oder eher traurigere?

Kaas: Das ist eine Frage der Persönlichkeit und des Charakters. Wenn Sie traurig sind, wollen Sie traurige Lieder hören. Es gibt kein Rezept. Man kann einen Moment in Erinnerung bringen, bestenfalls vergisst man die Sorgen des Tages.

SZ: Ihre Lieder sind nicht gerade sorglos.

Kaas: Nein, aber was ist ein Liebeslied wert, in dem du sagst isch liebe disch, du liebst misch, das Leben ist schön, wir sind am Strand - naja. Vielleicht ist es eine Frage der Generation. Jüngere Leute mögen es, wenn man so daherredet: Wir waren toll Essen, trinken Bierschen.

SZ: Manche mögen lieber über private Dinge nachdenken als über das elende Weltgeschehen?

Kaas: Das kommt auf die Leute an. Die Musik, die leichter klingt, ist angenehm zu hören. Aber sie spricht mich nicht an. Die Leute suchen sich eben aus, was sie hören wollen. Wenn sie den ganzen Tag etwas aufgebrummt kriegen, sagen sie irgendwann, okay, ist nicht schlecht. Aber das nimmt dir nicht die Sorgen.

SZ: Andererseits gibt es ja auch Lieder, die genau diese Brüche in der Gesellschaft und in der Welt zeigen.

Kaas: Das sind Sänger, die engagierter sind als andere, sicher. Ich glaube, man muss auch über etwas reden können, wenn man sich so engagiert. Wenn ich ein Lied über meine Mutter singe, kann ich darüber reden, oder über Liebesgeschichten. Aber die Probleme, die es heute ökonomisch gibt . . .

SZ: ... sind nicht so Ihr Thema. Überhaupt waren Sie längere Zeit verschwunden.

Kaas: Ich habe mir Zeit genommen, um einfach ein bisschen zu leben. Ich habe gesagt, jetzt bist du vierzig Jahre alt, hast zwanzig Jahre Tourneen gemacht, Konzerte, Alben. Was ist dein Leben ohne deinen Job? Ich habe etwas gemacht, was manche Leute langweilig finden, das heißt zu Hause zu sitzen und sich zu sonnen.

"Ich weiß, was kämpfen bedeutet"

SZ: Viele würden Sie beneiden.

Kaas: Es war eine schöne Langeweile. Ich habe Zeit gebraucht, um wieder Musik zu hören, ich habe abgeschaltet und wusste gar nicht, was läuft jetzt hier eigentlich. Ich wollte es auch gar nicht wissen.

SZ: Haben Sie kurz daran gedacht, gar nicht mehr aufzutauchen?

Kaas: Nein, ich brauchte das nur im Moment. Ich habe ein Haus gekauft im Süden der Provence. Und eines Tages habe ich im Internet ein bisschen Musik angehört und habe das Lied hier gefunden: "Das Glück kennt nur Minuten".

SZ: Das Hildegard Knef gesungen hat.

Kaas: Das war das erste Lied, das ich für das neue Album ausgewählt habe. Und auf Deutsch gesungen gefällt es mir sehr gut. Daraus entstand dann die Idee, die dreißiger Jahre ein bisschen zu überfliegen.

SZ: Die dreißiger Jahre - wundervolle Musik und Kultur, aber alles in allem eine grauenhafte Zeit.

Kaas: Ich wollte ja nicht unbedingt zeigen: Schaut mal, was ich alles über die Kultur der dreißiger Jahre weiß. Schauen Sie: Marlene Dietrich - war die eine starke Frau? Nein, sie war ein Mann!

SZ: Ziemlich kühl bis kalt, nicht wahr?

Kaas: Ja, sehr kühl, aber sie hatte nicht diese Angst, nein zu sagen. Oder nehmen Sie Coco Chanel. Es ist nicht das Design von Coco Chanel, das ich liebe.

SZ: Sondern?

Kaas: Wenn man ihr eine Frage stellte und sie wollte nicht antworten, sagte sie einfach: Ich antworte nicht.

SZ: Würden Sie auch gerne, oder?

Kaas: Nein, ich würde mich das nicht trauen.

SZ: Sind Sie zu höflich oder zu schüchtern?

Kaas: Am Anfang war ich weniger schüchtern als reserviert. Ich bin keine, die einer Person, die sie nicht kennt, auf die Schulter schlägt und sagt: Hey, wie war dein Tag heute? Ich bin an der Grenze geboren, mein Deutsch war nicht perfekt. Ich war nicht perfekt. Ich war nah bei meiner Mutter, überhaupt nicht selbständig. Ich bin sicher näher am Volk als besonders kühl. Andererseits finde ich etwas Kühles zu haben nicht nur negativ.

SZ: Was ist ein "Mensch des Volkes?"

Kaas: Das heißt für mich, sich nicht in einem Umfeld zu bewegen, wo man alles kennt. Populär bedeutet jedenfalls nicht, dass ich betont einfach lebe, obwohl ich mir eine schöne Wohnung leisten kann, schöne Kleider, einen schönen Wagen. Nein, ich genieße das Leben, aber ich weiß, wo ich herkomme. Ich wurde mit viel Liebe und Ehrlichkeit erzogen und glaube zu wissen, was das Leben ist. Populär ist vielleicht nicht dasselbe Wort im Deutschen wie im Französischen.

SZ: Im Deutschen gibt es so eine bestimmte Vorstellung von populär sein, man schaut dem Volks aufs Maul und redet ihm auch danach. In Frankreich gibt es eine andere Tradition des Populären, Brassens war ja überaus populär . . .

Kaas: Obwohl er sehr . . . also, wenn ich seine Chanson-Texte höre, verstehe ich nicht, wovon er redet. Mein Lied "Les Héroines" ist ein bisschen so. Eine Sprache, die in den dreißiger Jahren gesprochen wurde. Worte wie Opium, die damals viel gebräuchlicher waren . . .

SZ: ... und einen gewissen Ruch hatten. Was unterscheidet eine Heldin vom Helden? Männer haben andere Vorstellungen vom Heldentum, oder?

Kaas: Warum? Weil sie stärker sind? Es ist dasselbe. Man braucht keinen Krieg zu gewinnen, um ein Held zu sein. Es kann sich auch um einen Krieg handeln, der zwischen zwei Menschen geführt wird. Das ist genau dieselbe Stärke, eine Stärke des Kopfes, nicht der Muskeln.

"Ich weiß, was kämpfen bedeutet"

SZ: Haben Sie etwas Heldinnenhaftes?

Kaas: Nein. Man hat mir das Leben nicht auf einem Silbertablett serviert. Ich habe meine Eltern früh verloren, ich hab' mich durchgekämpft, hab' manchmal Glück gehabt, weil ich die richtigen Leute um mich hatte. Andererseits habe ich mir die Leute auch ausgesucht und all die Konzerte, das Reisen. Ich weiß, was kämpfen im Leben bedeutet.

SZ: Wie kämpft man?

Kaas: Wichtig ist, dass man sich selbst führen kann und dann die richtigen Wege geht, das bringt dich zu bestimmten Leuten und Situationen, und am Ende kannst du entscheiden: nimmst du den oder den Weg? Natürlich ist es schön, wenn man weiß, dass man ein Publikum hat und Platten verkauft. Wenn man nach 20 Jahren fühlt, dass die Leute Respekt vor dir haben, ist das männlicher.

SZ: Männlicher?

Kaas: Ja, mir ist es lieber, wenn man sagt: Man liebt nicht das, was ich tue, aber man hat Respekt vor mir.

SZ: Das reicht doch nicht, oder?

Kaas: Doch. Für mich reicht das.

SZ: Sie wollen doch geliebt werden.

Kaas: Aber du weiß nicht, wann du populär bist. Irgendwann bezeichnen dich die Leute als populären Künstler. Ich fühle mich auch nicht wohl, wenn ich mit Intellektuellen zusammen bin, weil ich nicht deren Kultur habe. Obwohl ich reise, obwohl ich meine Karriere habe, obwohl es Leute gibt, die mich intelligent finden.

SZ: Was schreckt Sie ab, die intellektuelle Kälte?

Kaas: Nein, das Wissen.

SZ: Aber das meiste wissen kommt ja auch . . .

Kaas: ... vom Lesen.

SZ: Oder es ist nur Pose. "Du bist dir selbst und den anderen verhasst", singen Sie im Album. Heldinnen singen so etwas eigentlich nicht.

Kaas: Das ist ein bisschen speziell, denn das Lied existierte ja bereits. Es ist ein Coverstück. Sicher, man sucht sich kein Lied aus, von dem man weiß, man würde das, was man singt, selbst niemals denken. Aber das stimmt schon: Wenn du jemanden liebst, ist es nur eine gewisse Zeit, in der es stark ist.

SZ: Aber sich selbst verhasst sein - das ist schon sehr stark.

Kaas: Nein, nein, ich habe keine Angst, das zu sagen. Es sind nicht bestimmte Lieder, Worte, ein Haarschnitt oder eine Beziehung. Obwohl ich den Leuten etwas bringen kann, obwohl ich auf der Bühne stehe, bin ich kein Mensch, der besonders viel Selbstvertrauen hat. Als ich sehr jung war, habe ich es nicht gewagt zu sagen, ich schaffe das nicht oder lasst mich in Ruhe, ich bin müde.

SZ: Dabei haben Ihre Eltern, besonders Ihre Mutter, viel für Ihr Selbstbewusstsein getan.

Kaas: Ich hab mich gebessert, aber ich hasse die Leute, die Selbstvertrauen haben.

SZ: Die können furchtbar sein, ja.

Kaas: Meine Eltern haben mich Stärke nicht gelehrt. Ich habe sie früh verloren, und plötzlich stehst du da und musst alles selbst machen. Man sagt immer, man hat eine männliche und eine weibliche Seite.

SZ: Esoteriker sagen so was.

Kaas: Ja, die Osteopathen sagen das auch.

SZ: Die haben wahrscheinlich sogar recht. Gefällt Ihnen an der Dietrich, dass sie ähnlich wie Sie zwischen zwei Sprachen gelebt hat?

Kaas: Was Deutschland ihr nicht so verziehen hat, oder?

SZ: Nie!

Kaas: Ja, ich möchte nicht so enden wie sie.

SZ: So einsam?

Kaas: Mein Gott ja, all diese Frauen, die am Ende so alleine sind, furchtbar. Wenn man eine Frau ist, verlangt man vielleicht zuviel von sich selbst. Man muss immer hübsch sein, darf keine Falten haben oder müde ausschauen.

SZ: Diesem Zwang ist sie erlegen? Sie war aber auch ...

Kaas: Oh sie war arrogant.

SZ: Aggressiv.

Kaas: Ja, es war nicht leicht, um sie herum zu sein und ihr zu helfen. Ich kann mich ja nicht mit ihr vergleichen, weil ich mich überhaupt nicht allein fühle. Professionell und privat bin ich seit zwanzig Jahren mit denselben Leuten zusammen. Und wie in einer Liebesgeschichte sagst du an manchen Tagen, ich hasse dich und am nächsten Tag liebst du ihn.

"Ich weiß, was kämpfen bedeutet"

SZ: War Ihre Mutter eine Heldin?

Kaas: Ja. Sie war eine sehr strenge Mutter. Sie war eine sehr offene Frau, aber gleichzeitig sehr hart, was Männer betraf. Sie sagte, es sei nicht gut, einfach nur so mit einem Mann zusammenzuleben. Man muss verheiratet sein, um jemanden zu lieben. Es war ja auch diese bestimmte Generation, die so dachte. Heute ist eine Frau so selbständig, und es ist so leicht, einen Mann zu verlassen. Damals war es ein riesiges Problem. Jetzt sind wir in den Extremen angekommen.

SZ: Da fühlen Sie sich nicht zu Hause?

Kaas: Nein ich bin so eher in der Mitte.

SZ: Aber auf der Bühne nicht.

Kaas: Nein? Wo sieht man mich da eher?

SZ: In den Extremen. Diva. Exaltiert.

Kaas: Ich hab mich auf der Bühne immer besser und schöner und interessanter gefunden. Für mich ist es schwierig, weil ich mich ja selbst nicht sehe. Wenn ich mich morgens im Spiegel anschaue, sehe ich nicht, ob ich eine Traurigkeit im Blick habe.

SZ: Wenn Sie ein Video von sich sehen, sagen Sie dann nicht: Die ist toll, so wie die will ich sein?

Kaas: Nein. Es ist wie wenn man ein schönes Kleid trägt, das zeigt auch nur einen Teil deiner Persönlichkeit. Man spielt eine Rolle, weil man ein Lied singt, ein bestimmtes Kleid anhat.

SZ: Gibt es heute noch Heldinnen?

Kaas: Heldinnen sind Frauen, über die man noch viele Jahre später redet, weil sie etwas Neues gebracht haben. Vielleicht Madonna ein bisschen.

SZ: Und Carla Bruni? Sie hat immerhin ihrem Mann zuliebe aufgehört, auf der Bühne zu stehen.

Kaas: Sie hat auch nicht so viel Erfolg. Sie ist keine Heldin, sondern eine bewusste Frau.

SZ: Kennen Sie sie gut?

Kaas: Ich kenne sie, weil sie singt. Wir machen einmal im Jahr ein Wohltätigkeitskonzert für Obdachlose, das ist eine Fernsehshow mit Künstlern, Schauspielern, und Topmodels wie Carla Bruni es damals noch war. Da habe ich sie ein paarmal getroffen. Sie weiß, was sie will, und sie liebt sich selbst. Es war für sie nicht leicht, weil sie ja den Ruf hat, eine Frau zu sein, die Männer ...

SZ: ... sammelt.

Kaas: Aber ihre Rolle als Frau vom Präsidenten spielt sie gut. Sie bleibt auf ihrem Platz. Aber ich glaube nicht, dass sie die Stärke wie die Frau von Obama hat, dieses Charisma.

SZ: Können Sie sich vorstellen, die Frau eines Präsidenten zu sein?

Kaas: Man soll im Leben nie Nein sagen. Man weiß es nie. Plötzlich ist man verliebt. Aber das wäre schon richtig heldinnenhaft, wenn Sie für einen Präsidenten alles drangeben würden. Man kann alles im Leben. Aber wenn ich aufgebe, müsste ich es für mich selbst machen, oder weil ich denke: Okay, jetzt ist die Zeit. Ich würde es nicht für einen Mann machen. Ein Mann, der sagt, gib alles für mich auf? Nein.

SZ: Ihr Kollege Georges Brassens hat gesungen: Die vergangenen Zeiten sind immer schön.

Kaas: Eine schöne Zeit ist eine Mischung von allem. Das Traurige gehört eigentlich sogar eher zur schönen Zeit. Sogar wenn es schwierig ist, sehe ich immer das Positive. Schlimm war es, die Eltern so früh zu verlieren. Das habe ich nie verstanden, deshalb bin ich auch nicht gläubig.

SZ: Waren Sie das vorher?

Kaas: Na ja, ein bisschen protestantisch. Nicht mehr als das. Etwas Positives am Tod meiner Eltern zu finden, ist allerdings schwierig. Aber ich muss sagen: Wenn meine Mutter nicht so früh gegangen wäre, wäre ich nicht das, was ich heute bin.

SZ: Weil Sie kämpfen mussten.

Kaas: Weil ich es für sie getan habe. Ich hätte nie den Willen gehabt zu singen. Ich habe keine Kinder. Und eine Liebesgeschichte, eine Enttäuschung, ein Erfolg - was kann das schon bedeuten . . .

SZ: ... angesichts des Todes?

Kaas: Ja.

Patricia Kaas, 42, kam in einem lothringischen Dorf zur Welt und wuchs an der deutschen Grenze auf. Als Kind sprach sie ausschließlich den regionalen Dialekt, sie fühlte sich lange als Außenseiterin keiner Sprachkultur zugehörig. Berühmt wurde Patricia Kaas Ende der 1980er Jahre mit "Mademoiselle chante le Blues", ein Chanson, das ihre rauchig-laszive Stimme zur Geltung brachte. Die gleichnamige LP wurde im Jahr darauf 1,4 Millionen Mal verkauft, die Kaas sang zusammen mit Chanson-Größen wie Yves Montand und Charles Aznavour. Natürlich wurde sie mit Edith Piaf verglichen, aber Patricia Kaas reicherte ihre Musik im Laufe der Jahre mit einer Vielzahl von Stilelementen an und fand so zu ihrem sehr eigenen Klang. Derzeit ist Patricia Kaas auf Tournee mit dem Programm Cabaret, einer Hommage an die Musik der dreißiger Jahre. Ihr erster Auftritt in Deutschland ist am 10. Februar in der Stuttgarter Liederhalle. Es folgen Konzerte in Hamburg (12.Februar), Köln (24.Februar), Mannheim (25.Februar), Baden-Baden (4.März), Leipzig (23.März), Berlin (24.März) , Frankfurt (26.März), München (12.April).

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