Interview mit Michael Moore:"Macht selber Filme!"

Auf in den Kampf: Filmemacher Michael Moore über Krise und Revolution, seinen "Kapitalismus"-Film und ein Penthouse an der Fifth Avenue.

Tobias Kniebe

Wenn Michael Moore eine PR-Maschine in eigener Sache ist, dann hat selbst diese Maschine ihre Leistungsgrenzen. Am Ende eines langen Interviewtages wirkt der voluminöse Filmemacher jedenfalls fragil - wie jemand, der auf sich achten muss, bevor der Körper endgültig zu streiken beginnt. Zur Auflockerung erzählt er, dass er seit Anfang des Jahres 70 Pfund abgenommen hat, und dass noch weitere 80 auf dem Plan stehen. Der Schlüssel dazu: Genügend Schlaf! Dann aber wischt er sich alle Müdigkeit und Wellness-Sehnsucht aus dem Gesicht, und seine kleinen, funkelnden Augen signalisieren: Auf in den Kampf!

Filmemacher Michael Moore

Michael Moore: "Amerika will seine Medizin nicht nehmen"

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Mr. Moore, Ihr neuer Film räumt jeden Zweifel aus: Sie arbeiten an der Abschaffung des Kapitalismus in Amerika. Machen Sie Fortschritte?

Moore: Oh ja! Wobei man dazusagen muss, dass es keineswegs nur um Amerika geht. Das Biest treibt überall sein Unwesen. Solange wir es nicht ausgerottet haben, müssen wir es auf der ganzen Welt bekämpfen. Aus Frankreich kommt zum Beispiel ein interessantes kleines Manifest, das ich gerade lese: "L'insurrection qui vient" (etwa: Die kommende Revolte, Red.) - der Text eines anonymen Autorenkollektivs. Das sind, glaube ich, Anarchisten. Diese Leute haben genug davon, wie es derzeit läuft, und schlagen eine etwas andere Richtung vor. Der französische Staat will sie jetzt vor Gericht zerren, was für Amerikaner sehr befremdlich klingt. Leute, die nur Bücher schreiben, zerren wir noch nicht vor Gericht.

SZ: Kommt denn die Revolte?

Moore: Wenn Sie mich fragen, ist diese Revolte schon in vollem Gange. Hoffen wir mal, dass sie keine gewalttätigen Formen annimmt - und dass sie wirklich einen positiven Wandel mit sich bringt.

SZ: "Kapitalismus - eine Liebesgeschichte" ist jedenfalls auch eine dringliche Aufforderung an alle Zuschauer, endlich aktiv zu werden.

Moore: Exakt. Mehr Menschen müssen von der Couch runter, müssen das Fernsehen abschalten, müssen Bürger werden. Sonst ist alles umsonst.

SZ: Und wenn sie das nicht tun?

Moore: Wenn meine Landsleute ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen, mache ich diesen Job auch nicht mehr. Das ist der Deal, das habe ich jetzt öffentlich verkündet. Mir reicht's.

SZ: Im Ernst?

Moore: Absolut. Ich bin es einfach leid, das erste Gesicht zu sein, das Google zu Tage fördert, wenn man beispielsweise "Anti-Bush" eingibt. Ich bin müde. Eine Million Gesichter sollten da auftauchen, nicht nur meins. Und ich glaube sowieso nicht mehr an die großen leader. Kein einzelner Mensch kann uns retten. Auch kein Obama. Viele denken das aber immer noch - das sehe ich an meinen E-Mails.

SZ: Was lesen Sie da?

Moore: Hunderte Menschen bitten um Hilfe, jede Woche. Alle flehen mich an, irgendetwas zu unternehmen. Mike, tu dies oder das! Berichte darüber, mach das publik!

"Mischt euch ein!"

SZ: Und was antworten Sie?

Moore: Ich antworte gar nicht. Keine Chance - es sind einfach zu viele. Eine Art von Antwort habe ich jetzt aber, wie gesagt, in meinem Film gegeben: Macht selber Filme! Kandidiert für politische Posten! Mischt euch ein! Fragt nicht, was Mike für euch tun kann - fragt, was ihr selbst für euch tun könnt ...

SZ: Andernfalls?

Moore: Andernfalls werde ich keine Michael-Moore-Filme mehr machen. Das ist ein Versprechen. Und eine Drohung! Ich arbeite nämlich gerade an einem Spielfilmdrehbuch, über das ich zwar leider noch nichts sagen kann, aber eines habe ich mir geschworen: Wenn meine Landsleute weiterhin so träge bleiben, halte ich auch nicht mehr meinen Kopf hin. Dann drehe ich diesen Spielfilm.

SZ: Das klingt, als müssten Sie doch einen gewissen Preis dafür bezahlen, Michael Moore zu sein. Aktuell sind Sie mit zwei Leibwächtern unterwegs ...

Moore: Sie haben nur zwei gesehen? Tatsächlich sind es vier. Manchmal fasse ich es selber nicht. Ich bin doch nur ein Filmemacher! Ich lebe in einem freien Land, ich habe das Recht zur freien Meinungsäußerung - warum kann ich nicht ohne vier Leibwächter über die Straße gehen? Das sagt wenig über mich aus, aber es sagt sehr viel über den Zustand der USA im Moment, finden Sie nicht?

SZ: Haben Sie schon mal an Ausreise gedacht?

Moore: Um Gottes Willen, nein! Ich bleibe und halte durch. Wenn alle Amerikaner für den Irakkrieg sind, bin ich trotzdem dagegen. Egal, wie einsam das wird. Weil ich weiß, dass ich meine Meinung am Ende nicht ändern muss - das Land muss seine Meinung ändern. Und das tut es ja dann auch, irgendwann.

SZ: Sie sind inzwischen wohlhabend genug, um Ihre Filme selbst zu finanzieren. Tun Sie das auch?

Moore: Nein, aber ich könnte es tun. In der Arbeiterklasse, aus der ich komme, gibt es diesen Ausdruck dafür: Fuck-you-Money. Das ist das Geld auf der Bank, das einem die Freiheit gibt, jederzeit auch mal nein zu sagen. Falls zum Beispiel das Studio, mit dem ich gerade arbeite, auf die Idee käme, in meine Filme reinzureden oder gar Zensur auszuüben, nach dem Motto: Wir stoppen deine Produktion ... dann würde ich nur sagen: Huhu, wie schrecklich! Weil ich nämlich das, was ich machen will, dann einfach auf eigene Kosten machen würde. Und das wissen sie auch.

SZ: Ihr finanzieller Erfolg wird natürlich auch gegen Sie verwendet. Da heißt es dann, Michael Moore ist längst selbst Kapitalist, er lebt in einem Penthouse auf der Fifth Avenue...

Moore: Vorsicht! Gerade Ihnen als Journalist müsste klar sein, dass solche Meldungen über mich natürlich nicht zufällig verbreitet werden. Ich kann beweisen, dass es da draußen gut organisierte Kampagnen gibt, um mich unglaubwürdig zu machen und zu diskreditieren. Der Vizepräsident einer großen Versicherungsfirma hat neulich enthüllt, dass die Krankenversichungs-Industrie sich zu einer Medienkampagne gegen mich zusammengeschlossen hat - gegen meinen letzten Film "Sicko".

Sie haben sogar allen Kongress-Abgeordneten gedroht: Wer sich mit mir sehen lässt, kommt auf die schwarze Liste, bei der nächsten Wahl wird der Gegenkandidat mit viel Geld unterstützt! So hart geht es bei uns zu. Und wenn diese Leute schon gegen einen Film solche Geschütze auffahren, können Sie sich vorstellen, wie es sonst aussieht...

"Banken sollten dem Staat gehören"

SZ: Um das also klarzustellen, die Sache mit dem Penthouse...

Moore: ... ist eine glatte Lüge. Ich habe nie etwas auf der Fifth Avenue besessen, ich habe nie in einem Penthouse gelebt. Ich lebe in einer Kleinstadt, in Arbella, Michigan. Abgesehen davon verstehe ich den Vorwurf sowieso nicht. Es gehört zu den heiligsten Ideen der amerikanischen Rechten, dass man es durch Leistung im Leben zu etwas bringen kann. Nur bei mir soll das plötzlich verwerflich sein? Das ist doch lächerlich.

SZ: Der Verwurf ist vermutlich eher, dass Sie sich längst von Ihren Wurzeln entfernt hätten...

Moore: Unsinn. Ich komme aus der Arbeiterklasse, und diese Herkunft wird mich immer prägen und motivieren. Im Übrigen glauben meine Nachbarn und meine alten Freunde in Michigan natürlich nicht, dass Geldverdienen etwas Schlechtes ist. So denkt die Arbeiterklasse nicht. Man freut sich, wenn einer es schafft, aus der Quasi-Armut auszubrechen und etwas auf die Beine zu stellen. Man sieht das als Bestätigung an, dass man es selbst vielleicht auch schaffen könnte.

SZ: Gewichtiger sind da schon die Kritiker, die Ihren Dokumentationen unsaubere Methoden nachweisen wollen.

Moore: Da gibt es in der Tat ein echtes Gedrängel. Wer diese ganzen Bücher und Filme über mich finanziert, das wäre auch mal eine interessante Frage. Die Vorwürfe sind jedenfalls absolut haltlos. Plötzlich heißt es zum Beispiel, der ehemalige General-Motors-Chef Roger Smith, meine Nemesis in dem Film "Roger and Me", habe mir damals ein Interview gegeben, was ich aber aus Gründen der Dramaturgie unterschlagen hätte. Wow! Es ist schon wirklich bizarr, was die Leute sich für Lügen einfallen lassen - besonders, wenn man die Wahrheit persönlich durchlebt hat.

SZ: Auch die bekannte Szene aus "Bowling for Columbine", wo Sie ein Bankkonto eröffnen und als Prämie eine scharfe Waffe mit nach Hause nehmen dürfen, soll manipuliert sein...

Moore: Aber wie denn bitte? Sollte ich vorher in die Bank gegangen sein und ein Arsenal mit Waffen installiert haben? Nein, wir haben einfach angerufen und gesagt was wir vorhaben: Konto eröffnen, Waffe abholen, alles mit der Kamera begleiten. Die Leute von der Bank waren sehr geschmeichelt. Wir gingen rein, haben die Sache durchgezogen, alles in einer Einstellung, genau wie Sie es in dem Film sehen. Als das dann im Kino lief, waren die Bankmenschen plötzlich sauer - aber da kann ich nur sagen: Sorry, Leute, dann verteilt halt keine Sturmgewehre an eure Kunden!

SZ: Zum Schluss müssen wir jetzt noch klären, für welches Wirtschaftssystem Sie nach dem Ende des Kapitalismus eigentlich eintreten - Ihr Film bleibt da äußerst vage.

Moore: Das stimmt. Aber wäre es nicht auch lächerlich, wenn ich mit einem Zehn-Punkte-Plan zur Rettung des Planeten ankäme? Nein, ich möchte eigentlich nur, dass die Leute selbst anfangen zu denken - und den Status quo nicht als unabänderlich hinnehmen. Persönlich würde ich zum Beispiel alle profitorientierten Banken abschaffen. Banken sollten dem Staat gehören und vom Staat kontrolliert werden, als Dienst an der Öffentlichkeit. Es geht um das Geld der Leute, ihre Lebensersparnisse, ihre Pensionen - das ist viel zu wichtig, damit darf niemand spekulieren. Aber das ist nur ein Punkt auf meiner langen Liste...

SZ: Im Abspann machen Sie Ihre Landleute dann sogar mit der "Internationale" vertraut - allerdings in einer etwas speziellen Version...

Moore: Und warum nicht? Das ist doch ein wunderschöner alter französischer Song. Vor dem sich manche Amerikaner natürlich fürchten, weil sie gelernt haben, dieser Song bedeutet (senkt verschwörerisch die Stimme): Kommunismus! Also holte ich mir einen Loungesänger, Tony Bambino, der dem Ding jetzt den richtigen Swing gibt: Workers of the world unite, oh yeah! Das ist der Löffel Zucker, den wir brauchen, um die harten Botschaften zu schlucken. Amerika will einfach seine Medizin nicht nehmen - das ist alles. Oder eben nur mit sehr, sehr viel Zucker. Sorry dafür - aber so sind wir eben. Wir meinen's nicht böse, und wir werden uns bessern. Versprochen.

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