Interview mit Michael Haneke:"Ich will nicht für blöd verkauft werden"

Die Goldene Palme hat er schon gewonnen: Wie Michael Haneke seine Chancen auf den Oscar sieht, warum er Lügen hasst und Kinder gute Löwen spielen.

Marie Pohl

Zuerst gewann er mit seinem Film Das weisse Band die Goldene Palme, jetzt ist er als bester nicht englischsprachiger Film für den Oscar nomiert: Michael Haneke versteht sein Handwerk. Er wurde 1942 in München geboren und wuchs in Wien auf. Von der Arbeit als Dramaturg beim Fernsehen wechselte er ins Regiefach. Seine Filme wie Bennys Video oder Funny Games sind weltberühmt und wurden vielfach preisgekrönt. In der SZ am Wochenende spricht er über seine Chancen auf den Oscar, Manipulation und Fehlbesetzungen.

Michael Haneke über...

...die Oscar-Chancen:

Ich bin ein Realist. Und ein Realist kann nur angenehm überrascht werden. Es ist sinnlos, sich irgendwelchen Erwartungen in die Arme zu werfen. Es gibt fünf Filme in der Kategorie. Ich habe eine Chance von eins zu vier.

...seine Arbeit als Regisseur:

Für mich geht es um die Präzision meiner Vorbereitung. Beim Schreiben sitzt ein Kopf einem Blatt Papier gegenüber. Beim Film stehe ich hundert Leuten gegenüber, die ich dazu bringen muss, mit meinem Kopf zu denken. Also, mit ihren eigenen Köpfen, aber in meinem Sinn. Das Wichtigste ist das Drehbuch.

Der kreative Prozess besteht für einen Autoren-Filmer darin, die Sache zu erfinden. Danach besetzt man, sucht die Motive und bereitet die Auflösung vor. Auch das passiert am Schreibtisch, im einsamen Kämmerlein. Damit ein Dreh ordentlich funktioniert, ist genaue Planung unerlässlich.

...Manipulation:

In meinen Filmen geht es mir darum, das Misstrauen des Zuschauers zu schüren: Gegen die Erzählstrategie des Machers. Film ist Manipulation. Ich finde, ich habe eine moralische Verpflichtung, diese Art von Manipulation durchschaubar zu machen. In dem Moment, wo ein Zuschauer für einen Genrefilm zahlt, unterschreibt er doch quasi den Vertrag: Ich will mich jetzt auf die Folter spannen lassen, ich will mich manipulieren lassen. Aber bei Filmen, die sich ernsthaft mit einer Problematik beschäftigen, sollte man den Zuschauer so ernst nehmen, wie man selbst ernst genommen werden will. Ich will nicht für blöd verkauft werden.

...Actionfilme:

Ich schaue mir natürlich solche Filme aus professionellem Interesse an. Von bestimmten Regisseuren schaue ich mir sowieso alles an. Alles von Abbas Kiarostami interessiert mich sehr. Aber Avatar werde ich mir erst ansehen, wenn's im Fernsehen läuft.

...die Realität der Reality Shows:

Das sind konstruierte Situationen, bei denen man dem Voyeurismus frönen kann. Die Schwierigkeit ist, dass unsere dramaturgische Bildung durchs Fernsehen bestimmt wird. Fernsehen ist die Sehschule der Nation. Und alles, was zu kompliziert ist, fällt da durch das Raster. Das ist der Tod einer bestimmten Art von Kino.

...das Lügen:

Mich regt jede Form von Verlogenheit auf. In meinem nächsten Film wird es auch ein bisschen um die Lüge gehen. Ich kenne mich nicht aus in der Terminologie der Todsünden. Ich weiß nicht, ob die Lüge dazu gehört. Aber sie richtet in jedem Fall viel Unheil an. Lügen ist Betrug, das Vertrauen des anderen zu missbrauchen, um einen Vorteil zu erlangen. Wir sind ja auch schnell bereit, uns selber zu belügen, weil es schwierig ist, der Wahrheit ins Antlitz zu schauen. Auch der eigenen.

...Fehlbesetzungen:

Natürlich irrt man sich. Ich habe mal Hebbels Maria Magdalena am Theater inszeniert. Der Schauspieler, der den Leonhard spielte, sollte reinkommen, seinen Hut an die Wand hängen und grüßen. Wir haben einen ganzen Vormittag nur geprobt, wie er rein kommt, seinen Hut an Wand hängt und grüßt. Es war unmöglich, dass der einfach rein kommt, seinen Hut an die Wand hängt und grüßt. Er hat mir die ganze Zeit vorgespielt, dass er rein kommt, den Hut an die Wand hängt und grüßt.

...das Drehen mit Kindern:

Wenn ein Erwachsener einen Löwen spielt, dann spielt er einen Löwen. Wenn ein Kind einen Löwen spielt, dann ist es der Löwe. Aber man braucht mehr Zeit mit kleinen Kindern, weil sie sich nur eine bestimmte Zeit konzentrieren können. Wenn da der kleine Junge sitzt, eingeklemmt zwischen der Kamera und der Lampe, und wenn er seine Szene einmal gespielt hat, dann will er aufstehen und ruft: "Ich hab's ja schon gesagt! Warum soll ich's noch mal sagen?"

Das ganze Interview finden Sie in der SZ am Wochenende vom 6.3.2010

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