Interview mit Martin Scorsese:Der Minotaurus haust in uns

Martin Scorsese über Pioniere, Feldherren, Flieger und den Visionär Howard Hughes.

Interview: Fritz Göttler

Der Countdown läuft, kaum ein Tag, an dem nicht nominiert oder verliehen würde in und um Hollywood herum, im rasenden Vorspiel zur Oscar-Nacht Ende Februar.

Scorsese und DiCaprio, dpa

Regisseur Scorsese erklärt Leonardo DiCaprio während den Dreharbeiten zu "Aviator" seine Vorstellungen für die nächste Szene.

(Foto: Foto: dpa)

Martin Scorsese ist wieder dabei in diesem Jahr - mit seinem Howard-Hughes-Film "Aviator" versucht er erneut, die begehrte Auszeichnung zu erringen, die ihm seinerzeit für Filme wie "Taxi Driver" und "Goodfellas" verweigert worden war. Vor wenigen Tagen ist ihm eine Ehrung im alten Europa widerfahren, da wurden ihm die Insignien der Légion d"honneur in Paris überreicht.

SZ: Glückwunsch zur Ehrenlegion! "Taxi Driver" hat 1976 die Goldene Palme in Cannes gewonnen, und es kam uns so vor, damals, als würden Sie und Ihre Kollegen in Amerika das weiterführen, was die Filmemacher der Nouvelle Vague in Paris begonnen hatten. Haben Sie immer noch diese starke Beziehung zum französischen, zum europäischen Kino?

Martin Scorsese: Natürlich, ich versuche immer noch, so viele europäische Filme wie möglich zu sehen. Französische und spanische, englische - das englische Kino war immer stark -, auch deutsche, Tom Tykwer zum Beispiel . . . Und dann natürlich auch diese tollen Sachen aus Südostasien. Japanische Filme, aber auch aus Südkorea. Das ist eine faszinierende Art, die Welt zu sehen, in Bildern davon zu erzählen.

SZ: Sie bereiten gerade eine US-Version des erfolgreichen Hongkongfilms "Infernal Affairs" vor...

Der Minotaurus haust in uns

Scorsese: Ich hatte kein Interesse, noch mal einen Gangsterfilm zu machen. In diesem Film geht es nun um die Polizei, um Cops. Über Cops weiß ich überhaupt nichts, ich kapiere Cops nicht. Ich habe drei, vier Filme gemacht über die Schwierigkeiten italoamerikanischer Banden in Amerika, über die Gangs. Das war eine Realität, glauben Sie mir. Ich war dabei, war ein Teil davon, sah, was da los war. Anständige Menschen konnten unter die Kontrolle dieser Gangsterwelt geraten. Weil sie keine Erziehung hatten, kein Geld. Sie hatten keine Wahl. Und das ist es, wovon diese Geschichten wirklich handeln, Missbrauch von Macht. Andere Leute, zwei Türen weiter, waren überhaupt nicht davon betroffen.

SZ: Irgendwie klingt diese CopGeschichte wie eine Rückkehr zu Ihren Anfängen - während der "Aviator" gar nicht aussieht wie ein Scorsesefilm.

Scorsese: Ja, klar. Das Drehbuch für den neuen Film wurde geschrieben von William Monahan. Er ist Ire. Es geht um irische Protestanten, irisch-protestantische Polizisten. Der Film heißt ¸¸The Departed". Das ist ein wundervoller Titel. Eine absolut irische Vorstellung: Alle sind wir departed, dahingegangen. Alle sind eingeschlossen in diese Welt . . . Was Howard Hughes angeht, das war ein Pionier, und das war es, was mich an ihm faszinierte. Ich wuchs heran in einer Welt, die mehr europäisch war als amerikanisch. Meine Großeltern waren sizilianische Bauern, sie wurden nie Städter, sie konnten nicht lesen und schreiben. Ich wurde zum Teil von den Großeltern aufgezogen, die kein Englisch sprachen. Meine Eltern waren dann schon ein wenig anders - ein anderer Lebensstil. Nicht mehr acht, neun Kinder, die in zwei Zimmern lebten, sondern zwei Kinder, und in einem ganz anderen Viertel. Ich erlebte als Kind den amerikanischen Westen, in den Filmen, ich hatte die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Die Welt stand mir offen. Ein Teil von mir ist also ungemein fasziniert von amerikanischer Geschichte, vom Westen . . . Als ich "Alice lebt hier nicht mehr" machte, habe ich Wochen in Arizona gelebt, bei den Cowboys.

SZ: Das ist einer der Filme, die man in Ihrem Werk sehr oft übersieht...

Scorsese: Es war immer ein Traum von mir, Filme zu machen über den amerikanischen Westen. Dort fühlte ich mich zu Hause. Ich bin kein Teil davon, aber ich verstand die amerikanische Vergangenheit, diese amerikanische Ethik, diese Anstrengungen, den Westen zu - in Anführungsstrichen - "zivilisieren". Die Würde der Familien, die die Härte dieser frontier-Situation bekämpfen mussten. Eine Menge davon ist in meinen Film "Gangs of New York" eingegangen, der eine Art Western ist. Denken Sie an "My Darling Clementine" von John Ford.

Sie sind dabei, eine Kirche zu bauen, es gibt ein Fest, und Wyatt Earp, gespielt von Henry Fonda, geht hin, Clementine am Arm, sie kommen an, und es heißt "Make way for the marshal and his lady fair". Er muss tanzen, und er ist so schrecklich in seinen Bewegungen . . . Das ist echtes Americana, direkt aus der Geschichte - es ist, als wäre es direkt zu der Zeit aufgenommen, da es sich ereignete. Und es ist eine Schönheit in diesen Menschen und in der Art des Lebens, das sie zu schaffen versuchen. Natürlich hat es negative Sachen gegeben bei diesem gewaltigen Schub, bei dieser Ausweitung Amerikas in den Westen, die Ausrottung der Indianer, die Intoleranz, was aus der Religion wurde, aber es bleibt einfach faszinierend, diese Bewegung der Pioniere.

Und Hughes nimmt das auf. Denn als sie in Kalifornien ankamen, am Ozean, gab es keinen Ort mehr, wohin sie gehen konnten. Für die weitere Bewegung blieben nur die Träume - das Kino, Hollywood! - und der Himmel, die Fliegerei. Und Hughes macht beides.

SZ: Hat diese Bewegung überlebt?

Scorsese: Doch, das hat sie. Natürlich ist die Welt nicht mehr so gigantisch wie damals. Sie ist sehr sehr klein geworden, durch die neuen Formen der Kommunikation, des Reisens. Ein Land wie Amerika muss spüren, dass es mit anderen in der Welt ist, mit anderen Kulturen - und die Begegnung mit denen bereichert doch die eigene. Die Pioniere von heute aber, das sind Leute wie Bill Gates, die - wie auch Hughes - großzügig sind mit ihrem Reichtum.

SZ: Auch Ihr Howard Hughes ist ja ein genuin amerikanischer Held.

Scorsese: Die Vorstellungen, nach denen Howard Hughes lebte, hat ein Kritiker die lunacy von Amerika genannt, den amerikanischen Wahnwitz. Diese wundervolle lunacy . . . Diese außergewöhnliche Energie.

SZ: Als ich von dem Aviator-Projekt las, dachte ich, es müsste der Filmemacher Hughes sein, der Sie gereizt hatte.

Scorsese: Ich mochte seinen Charakter. Er war ein Visionär. Ich kannte den alten Mann, diesen verkommenen, zurückgezogen lebenden Verrückten. Viele Freunde von mir wollten einen Film über Hughes machen, also ließ ich die Finger davon. Aber dann sah ich den jungen Mann, attraktiv, ein ewiges Kind und kindisch zugleich, und diese Sexualität . . . Sein Film ¸¸Hell"s Angels" ist ein Meisterwerk. Der Dialog ist nicht besonders, aber die Flugszenen sind großartig. Und dieser schöne junge Mann, der von Flugzeugen und vom Filmen träumt, trägt den Keim der Selbstzerstörung in sich.

SZ: In einem Helden-Film aus einer ganz anderen Kultur, einer ganz anderen Zeit, Oliver Stones "Alexander", heißt es am Schluss: "Seine Fehlschläge waren größer als die Siege anderer Menschen.." Auch Sie haben daran gedacht, ein Alexander-Epos zu drehen. Ist der "Aviator" also auch als eine Art AlexanderErsatz zu sehen?

Scorsese: "Alexander" oder "Aviator", das war in der Tat die Wahl gewesen. Christopher McQuarrie hatte ein Script über Alexander fabriziert, ein junger Autor, er hatte "Usual Suspects" geschrieben, und man kaufte es für Leo und mich. Das Problem war, wir hatten gerade einen so gewaltigen Film wie "Gangs of New York" hinter uns - und wir wussten, für "Alexander" würden uns allein eineinhalb Jahre Preproduction bevorstehen, nur die reine Planung: Zwei Teile würden es werden, jeder zweieinhalb Stunden lang. Nun, in meinem Alter so ein Projekt anfangen, das sich über eine so lange Zeit hinziehen würde... So etwas hatte ich seinerzeit mit "Last Temptation of Christ" erlebt, bei dem die Zeit dann natürlich nicht vergeudet war, weil ich den Film dann doch machen konnte.

Und dann war da noch Oliver Stone, der auch einen Alexander-Film machen wollte. Ich traf ihn auf der Skywalker Ranch von George Lucas, vor zweieinhalb Jahren. Ich kannte Oliver seit seiner Zeit auf der New York University - ich war sein Lehrer, er war mein Student, gerade aus Vietnam zurück. Nach dem Essen kam er und meinte, Alexander sei die Passion seines Lebens. Und ich verstand - meine Passionen waren "Last Temptation" und "Gangs of New York" gewesen, und ich hatte es geschafft, sie zu realisieren, irgendwie. Mein Interesse waren zudem gar nicht die alten Griechen, sondern die Römer. Für die habe ich mich immer leidenschaftlich interessiert.

SZ: Selbst Howard Hughes hat ja unverkennbar antike Vorbilder...

Scorsese: Natürlich, das ist Ikarus. Sein Vater Dädalus hat ihm die Flügel gefertigt, Hughes' Vater gab Howard das Geld für seine Filme, seine Flugzeuge. Nun versucht er, aus dem Labyrinth zu fliehen. Aber das Labyrinth, so sehe ich das, ist Howard Hughes selber. Und er wird dem Labyrinth nie entkommen. Er ist der Minotaurus. Das Monster. Er versucht, dem Monster zu entkommen, indem er sich zum Himmel aufschwingt.

SZ: Und dann zieht der Minotaurus sich in seine Höhle zurück, den Projektionsraum. Enden so alle Cineasten?

Scorsese: Das kann passieren, ich habe das auch schon erlebt, habe mich wochenlang mit Filmen eingeschlossen, ohne rauszugehen. Auch mit dem Lesen ging es so. Ich komme ja aus einer Familie, wo es nicht viele Bücher gab - das erste Buch, das ich las, war die "Blechtrommel" von Günter Grass, dann kamen Melville, der "Moby-Dick", Graham Greene. Ich brauchte Jahre, um den Umgang mit Büchern zu lernen - wie man mit einem Buch lebt.

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