Interview mit Fritz Pleitgen:Ein langer Tisch auf der A40

Fritz Pleitgen hat als WDR-Intendant aufgehört und will nun an der Spitze der "Ruhr 2010" zeigen, dass das Ruhrgebiet kulturell eine Ideen-Bonanza ist.

Sonja Zekri

Eine Heimkehr nach Umwegen um die halbe Welt: Als Journalist hat Fritz Pleitgen aus Moskau, Ost-Berlin, Washington und New York berichtet, fern von Duisburg, wo er geboren ist, fern von Essen, wo er als Kind den Krieg erlebte. Nun kehrt er zurück - als Vorsitzender der Geschäftsführung der "Ruhr 2010 GmbH", die die Europäische Kulturhauptstadt Ruhrgebiet organisieren soll. Dafür ist er extra ein paar Monate früher als Intendant beim WDR ausgeschieden. Pleitgens Ernennung hat den Zwist um die Spitze der "Ruhr 2010" überraschend beendet - und neue Fragen aufgeworfen.

Interview mit Fritz Pleitgen: Fritz Pleitgen, einst WDR-Intendant, jetzt Chef der "Ruhr 2010 GmbH"

Fritz Pleitgen, einst WDR-Intendant, jetzt Chef der "Ruhr 2010 GmbH"

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Hat man Sie drängen müssen, den Job zu übernehmen?

Firtz Pleitgen: Das war schon kurz und heftig. Im Juni vorigen Jahres fragte mich Herr Lammert ...

SZ: ...der Bundestagspräsident...

Pleitgen: ... ob ich mir vorstellen könne, das nach meiner Amtszeit zu machen. Aber ich wollte Filme machen, Bücher schreiben. Ende Dezember rief mich Ministerpräsident Rüttgers an, fragte: Können Sie sich vorstellen, die Ruhr 2010 zu managen? Das konnte ich überhaupt nicht. Dann rief Herr Müller an ...

SZ: ... RAG-Vorstandsvorsitzender und Ex-Wirtschaftsminister ...

Pleitgen: Ich bin da in einen Doppelnelson-Griff genommen worden, wie die Freistilringer sagen.

SZ: Und nun hängen Sie drin.

Pleitgen: Ja, aber ich möchte meine Unabhängigkeit bewahren. Ich könnte mir vorstellen, dass sehr viele Interessen im Spiel sind, und da muss ich notfalls sagen können: Dann geht's nicht.

SZ: Das klingt nicht, als ob Sie das Projekt mit großer Leidenschaft verfolgen.

Pleitgen: Doch, das mache ich. Ich will mich nur nicht von meinen Gefühlen überwältigen lassen.

SZ: Ach, lassen Sie sich doch mal überwältigen!

Pleitgen: Von heute auf morgen, aus einem Unternehmen wie dem WDR mit 240 Sachen umzusteigen und wieder mit 240 Sachen zu fahren - wer macht denn so was? Es ist schon die Verbundenheit mit dieser Region, es passt in das Milieu meiner Berufsbiographie. Außerdem ist die europäische Komponente bei mir sehr stark ausgeprägt.

SZ: Lange Zeit war der amerikanische Regisseur Peter Sellars als künstlerischer Direktor im Gespräch, was im Ruhrgebiet zähe Abwehr auslöste. Sehen Sie sich als Kompromisskandidaten?

Pleitgen: Nein, ich habe mich immer als den Kandidaten gesehen, den ich mir hier am besten vorstellen kann. (Lacht) Ich habe diese Querelen um Sellars überhaupt nicht richtig wahrgenommen.

SZ: Als treibende Kraft der Bewerbung zur Kulturhauptstadt galt bis jetzt Oliver Scheytt, Essens Kulturdezernent und Geschäftsführer der ,,Ruhr 2010''.

Pleitgen: Für mich ist er der Motor und die Seele der Unternehmung. Als ich meine Vorstellungen entwickelt habe - ohne mich groß damit beschäftigt zu haben -, war er verblüfft, dass sie deckungsgleich mit seinen waren. Ich halte beispielsweise die Idee einer künstlerischen Gesamtleitung auch für selbstmörderisch. Ich habe Sellars mal in Washington kennengelernt, das ist eine sehr inspirierende Person. Aber warum soll man den armen Menschen mit einer künstlerischen Gesamtleitung belasten?

SZ: Nun gibt es keinen künstlerischen Direktor, der einsam das Gesamtkunstwerk Kulturhauptstadt schafft, sondern einen Manager, der sich auf das Vorhandene konzentriert. Das hören die Kulturschaffenden im Ruhrgebiet sicher gern.

Pleitgen: An diesem Prozess sind ja viele beteiligt. Ich darf mich nicht hinsetzen und mit ein paar Leuten das Ding fingern. Wir haben 52, 53 Städte und Gemeinden. Wir müssen vielleicht jeder eine Woche geben, dass sie sich ausspielen kann. Es gibt so tolle Bilder.

SZ: Sagen Sie uns eins?

Pleitgen: Eine Idee hatten Jürgen Flimm und ich im Januar: Dass wir die A40 sperren lassen und einen Tisch von Dortmund bis Duisburg aufstellen, zu dem alle kommen können. Als Fernsehmann habe ich gleich dieses Bild vor Augen: Du fährst mit einem Zeppelin in fünf Meter Höhe mit der Kamera vorbei und dieses Bild geht um die Welt, weil es einfach nie aufhört. Wenn du etwas über Integration symbolisch vermitteln willst, dann ist es dieser Tisch. Natürlich musst du solche Ausrufezeichen setzen.

SZ: Gibt es eine Arbeitsteilung zwischen Ihnen und Oliver Scheytt: Der eine kommuniziert nach innen, der andere ist zuständig für Kontakte in alle Welt?

Pleitgen: Im Moment versuchen wir noch, alles gemeinsam zu machen. Aber die Arbeitsteilung wird kommen. Ich bin seit letztem Jahr Präsident der Europäischen Rundfunkunion, und solche Kontakte will ich dezent aber wirkungsvoll einsetzen.

SZ: Eine Vision der Ruhr 2010 bestand darin, dass die Kultur jene Klammer schafft, die einst die Industrie bildete. Was sind Ihre Ziele für 2010?

Pleitgen: Ich habe immer die Horrorvorstellung: Was passiert 2011? Ich bin ein großer Anhänger der Nachhaltigkeit. Wir haben ja schon große Geschichten angestoßen, zum Beispiel mit dem Museum Folkwang...

SZ: ...das von der Krupp-Stiftung für 55 Millionen Euro einen Neubau von David Chipperfield bekommt.

Pleitgen: Ob die das geschafft hätten ohne Kulturhauptstadt? Dann bin ich sofort angesprungen auf das Dortmunder "U"...

SZ: ...das historische Gebäude der Unionsbrauerei, das zum Museum werden soll. Das sieht derzeit aber noch ziemlich traurig aus.

Pleitgen: Aber es ist ein ungeheures Potential! Da hat man schon oft gesagt, das ist nicht zu schaffen, für Dortmund ist es aber eine große Chance.

SZ: Wie viele Projekte sind bis jetzt eingegangen?

Pleitgen: Die Rede ist von 500 Vorschlägen. Die werden nun peu à peu entschieden.

SZ: Es gibt vier künstlerische Direktoren für vier Themenfelder: Karl-Heinz Petzinka für die "Stadt der Möglichkeiten", Steven Sloane für die ,,Stadt der Künste'', die Journalistin Asli Sevindim für die "Stadt der Kulturen" und Ex-Viva-Chef Dieter Gorny für die "Kreativwirtschaft". Das klingt ziemlich wolkig.

Pleitgen: Naja, wie wollen wir's denn anders machen?

SZ: Was unterscheidet beispielsweise die ,,Stadt der Künste'' von der "Stadt der Kulturen"?

Pleitgen: "Stadt der Kulturen" meint in erster Linie das große Thema Integration. Aber es gibt in jedem Feld Überschneidungen. Das müssen die dann untereinander klären. Die Museen gehören beispielsweise erst mal zur "Stadt der Möglichkeiten".

SZ: Und was verbirgt sich dahinter?

Pleitgen: Alles was mit der Entwicklung der Städte zu tun hat. Wir können gar nicht anders als das Feld weit abzustecken, weil wir Projekte angeboten bekommen, mit denen wir gar nicht gerechnet haben.

SZ: Eine Hoffnung auf 2010 besteht darin, dass das Ruhrgebiet - zerklüftet, fragmentiert, identitätslos - sich endlich als gemeinsamer Raum begreift.

Pleitgen: Diesen Missionsgedanken will ich erst mal gar nicht in Anspruch nehmen. Wenn wir zu vernünftigen Entwicklungen beitragen, wäre das schön.

SZ: Hilft Ihnen die ARD-Erfahrung beim Austarieren solcher zentrifugaler Kräfte?

Pleitgen: Ich bin da ganz gut trainiert. Es wird immer als Problem gesehen, dass das Ruhrgebiet kein Zentrum hat oder es nicht anerkannt wird. Dann ist es eben polyzentrisch. Aber was machen wir daraus? Gemeinsames in Absprache herzustellen, halte ich für ein Gebot der Zukunft: Die kleine Globalisierung. Keiner steht heute mehr ganz allein da.

SZ: Das sind die Binneneffekte. Welche Außenwirkung erhoffen Sie sich?

Pleitgen: Das wird das Allerschwierigste sein. Ein vorhandenes Image umzuwandeln ist schwerer als ein neues aufzubauen. Und das muss uns gelingen. Wir wollen erreichen, dass diese Region, die bis jetzt unter dem Etikett Schwerindustrie gesehen wird, als eine der reichsten Kulturregionen des Kontinents erkannt wird - mit Modellen, die für andere interessant sind; dass von hier Impulse ausgehen, dass man das Ruhrgebiet als Boomregion betrachtet, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in Ideen: Das ist eine Bonanza, eine Ideen-Bonanza. Dass das Ruhrgebiet auf die Weltkarte gebracht wird, ist mein ganz schlichter Anspruch.

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