Interview mit Dieter Kosslick:"Geiz ist gaga"

Farbenfroher denn je will sich die Berlinale präsentieren, wenn sie ab Donnerstag die Aufmerksamkeit der Filmwelt in die Bundeshauptstadt lenkt. Dass das Festival inzwischen auch die lang ersehnte Gunst Hollywoods genießt, ist ein wesentlicher Verdienst seines Direktors.

SZ: Der Start mit Nicole Kidman in Anthony Minghellas "Cold Mountain", Filme von Ron Howard, Theo Angelopoulos, Eric Rohmer im Wettbewerb - ist das ein Programm nach Ihrem Geschmack?

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(Foto: Foto: dpa)

Dieter Kosslick: Natürlich kann ich nicht nur Filme ins Programm nehmen, die mir gefallen. Es gibt da politische Probleme, geopolitische Aspekte: Die Repräsentanz von Tadschikistan - ja oder nein? Tschetschenien - jetzt? Oder Tiflis!

SZ: Und wer entscheidet dann?

Kosslick: Ich. Aber natürlich haben wir ein Auswahlgremium. Da sitzt man gemeinsam an diesem Tisch, und dann sagen wir: Hm, ziemlich eurozentrisch die ganze Sache. Da war doch noch dieser Südamerikaner. Aber den fanden wir doch nicht so gut ... Und wo ist Asien? Ja, Wong Kar-wai ist immer noch nicht fertig mit seinem "2046". Sollte doch schon in Cannes voriges Jahr laufen ... Dann hat sich de Hadeln gefreut, für Venedig, aber auch das war nichts ... Dann hatte ich mich gefreut.

SZ: Wie stark ist denn inzwischen diese Konkurrenz zu Cannes und Venedig?

Kosslick: Also Thierry Fremaux, der Chef von Cannes, hat mir gestern geschrieben - Cher Dieter, toi, toi, toi, ich wünsch Dir alles Gute. Das hat mich sehr gefreut - das heißt aber auch, dass er mir ein paar Filme abgejagt hat. Das sind einfach die gewohnten verdeckten Operationen. 2900 eingereichte Filme, fast 500 mehr als im Vorjahr, das ist eine Menge - zehn Filme pro Tag ein ganzes Jahr lang.

SZ: Da scheint ja auch eine Grenze des Machbaren erreicht.

Kosslick: Ja, wenn man's ernst nimmt. Und bei uns wird ja alles geguckt. Der Mauerfall, den wir im Audiovisuellen haben, das ist das digitale Kino. Wir werden durch einen Sponsor auf dieser Berlinale digitale Projektion haben. Keine Kopien mehr für die Festivals. Aber eine Kopie, das wissen wir als Cineasten, das ist doch was ... Anders als in der bildenden Kunst, die aufs Original schaut, ist bei uns die Kopie wichtig. Nun kommt Digi Beta. Da werden wir halt noch mal 500 Filme mehr haben. Wir gucken vier Monate konzentriert - immer in der panischen Angst, dass man einen superguten Film übersieht.

SZ: Sie hatten diesmal bereits sehr früh einige Filme nominiert, etwa Karmakars "Die Nacht singt ihre Lieder".

Kosslick: Wir haben gesagt: Karmakar machen wir. Das war uns wichtig. "Die Nacht singt ihre Lieder" war einer der ersten Filme, die wir ausgewählt haben.

SZ: Und wie wichtig ist es, dass ein Nicholson-Film läuft - es wurde lange spekuliert, ob Sie seinen neuesten, "Something's Gotta Give", bekommen.

Kosslick: Wichtig ist, dass Jack Nicholson am 6. Februar in Berlin ist. Das ist sehr wichtig. Für die Berlinale, für die Medien. Und für die Retrospektive, die eine Zeit im amerikanischen Kino behandelt, wo Nicholson eine wichtige Rolle spielte. Und weil mein Kollege Hans Helmut Prinzler das Regiedebüt von Nicholson, "Drive, He Said" von 1971, in seiner Retrospektive "New Hollywood - Trouble in Wonderland" zeigt. Diese Synergie der Festivalteile haben wir in den letzten Jahren geschafft. Dass die Leute das Festival gemeinsam programmieren. Ich habe die leise Hoffnung, dass man es diesmal mitkriegen wird. Zum Beispiel im Fall von Lateinamerika und Südafrika - wo Forum, Wettbewerb, Panorama gemeinsam Filme zu diesen Ländern programmiert haben - und Solanas kriegt den Ehrenbären. Wir haben ja gar nichts anderes mehr im Kopf als Irak. Was in Lateinamerika los ist, nimmt keiner mehr so richtig wahr. Zahlungsunfähigkeit, 44 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze, Weltbankgeschichten. Wir wagen einen Blick. Weil wir diese Filme haben - nicht weil ich ein alter 68-er bin.

SZ: Die Berlinale also wieder als das politische Festival?

Kosslick: Da hatten wir im letzten Jahr großes Glück, dass ein Film wie Winterbottoms "In This World" in dem Moment am Potsdamer Platz einen Goldenen Bären bekommt, wo 400 000 Menschen gegen den Krieg demonstrierten. Der Direktor verhielt sich neutral ...

SZ: ... und schickte Dustin Hoffman vor.

Kosslick: Ein Festival hat mehrere Seiten. Wir müssen Kinematographien zeigen, aus verschiedenen Ländern, ästhetische Fortschritte, wir haben eine Chronistenpflicht für Leute, die ein Leben lang Filme machen, wie Angelopoulos. Und neben der Filmkultur und -ästhetik geht es immer auch um das, was durch die Filme gezeigt werden kann. Da wird es dann politisch. Es geht also auch um die Erhaltung der kulturellen Diversifikation der Welt. Und da sind wir antiglobalistisch - aber auf globale Art. Wir, das Kulturevent Berlinale, zeigen fast 400Filme und 400 weitere im Filmmarkt. Und so ein Festival ist wie eine Party. Man weiß nicht genau, warum sie gut läuft, aber es gibt ein paar Regeln, die man kennen sollte: Keinen schlechten Wein, sonst gibt's einen Brummschädel.

SZ: Wie steht es mit den deutschen Kellereien? Diesmal sind nur zwei deutsche Filme im Wettbewerb, neben Karmakar noch "Gegen die Wand", von Fatih Akin.

Kosslick: Die Euphorie auch international hält an. Es ist gut, nach einer langen Dürre etwas Manna zu bekommen. Ironischerweise gab es ja auch viele deutsche Filme im Wettbewerb unter Moritz de Hadeln, aber alle sagten, da war nichts. Das war ein Wahrnehmungsproblem. Wir hatten Glück, dass wir im ersten Jahr vier deutsche Filme ausgewählt hatten. Der Druck ist nun noch extremer, seitdem das neue Filmförderungsgesetz in Kraft ist. Das gibt schon mal 300 000 Referenzmittelpunkte, wenn der Film im Wettbewerb läuft. Den Festivals wächst Macht zu, mit der sorgfältig umgegangen werden muss. Die 300 000 können in bares Geld umgewandelt werden - das ist wie 300 000 Besucher.

SZ: Und wie ist die Finanzlage des Tankers Berlinale, im maroden Berlin?

Kosslick: Berlin hat da ja Tradition. Für Leute, die sich für die Zwanziger interessieren, von Walter Mehring bis Else Lasker-Schüler, ist die Situation vertraut. Berlin war auch damals arm, aber trotzdem blühte das Leben. Als ich vor zwei, drei Jahren kam, war noch großer Aufbruch. Dann kam plötzlich der Katzenjammer, durch die finanzielle Lage, die im übrigen durch die Banken und ihre Manager verursacht wurde. Jetzt gibt es wieder dieses Prinzip des "... dann lebt es sich ganz ungeniert". Seit es kein Geld mehr gibt, geht es der Stadt mental besser. Ich rede jetzt nicht von den schwierigen Verhältnissen der Kindertagesstätten, von Altenheimen, von den Studenten - das ist ernsthaft nicht gut für die Stadt. Aber die kulturelle Atmosphäre, der Aufbruch, die Clubszene, das positive Denken ist da - und da sind wir dabei. Und nachdem wir im ersten Jahr einen großen Verlust einfuhren - der Festivaldirektor hatte noch nicht den nötigen Überblick -, schreiben wir jetzt schwarze Zahlen. Dank unserer guten Sponsoren. Den Talent Campus haben wir nur mit Sponsorenmitteln finanziert.

SZ: Und die Zukunft?

Kosslick: Ein bisschen müssen wir natürlich noch Gas geben. Das betrifft vor allem 2005. Ist Berlin in der Lage, die Lücke zu füllen zwischen dem American Film Market im November und Cannes im Mai? Wir könnten quasi zu einem zentralen mittleren Handelsplatz der Filmwelt werden. Der kluge Schwabe spart und denkt an die Zukunft. Wir haben zehn Millionen Euro Budget, 3,5 Millionen Euro davon finanzieren wir durch eigene Einnahmen und durch Sponsoren. Das ist enorm. Und auf den zahlenden Zuschauer können wir uns verlassen.

SZ: Wie sehen Sie die Zukunft der kleinen deutschen Festivals?

Kosslick: Denen muss man eine solide Chance geben, damit sie zeigen können, was sie wollen. Und dann müssen sie, verkürzt gesagt, sich andere Sponsoren suchen, auch Kooperation zum Beispiel im touristischen Bereich. Da wird wesentlich mehr bewegt an Geld als durch direkte Finanzierung - Umwegrentabilität nennt man das. Kultur ist wirklich ein Wirtschaftsfaktor, vielleicht sogar die Nummer eins in Zukunft.

SZ: Und die vielbeschworene Krise?

Kosslick: Es ist ja nicht so, dass es kein Geld gibt. Es wird nur keines ausgegeben. Ich mache jetzt seit zwanzig Jahre Kulturmanagement. Jedem Menschen kannst du klarmachen, dass Champagner eine Supersache ist - wieso ist es nicht möglich, klarzumachen, dass ein Konzert meines neuen Nachbarn hier am Potsdamer Platz, Sir Simon Rattle, oder von Kent Nagano, oder ein Film von Karmakar oder Kiarostami eine große Investition ist? Die ökonomische Lage ist natürlich bei vielen nicht so rosig, aber wir leben doch nicht in einem Dritte-Welt-Land. Und die Kulturinvestitionen, die werden sich für diese Republik enorm auszahlen.Wenn wirklich Kultur als ein Luxusgut begriffen würde - Geist ist geil, in Anlehnung an einen der dümmsten Sprüche des vorigen Jahres -, dann würde ein Konsumverhalten beginnen, das die gesamte Konjunktur ankurbeln würde. Kultur ist Luxus. Geiz gaga.

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