Interview mit Dieter Hildebrandt:"Frau Merkel ist zu jeder Intrige bereit. Aber nicht zu jeder fähig."

Lesezeit: 4 min

Der Kabarettist spricht über das politische Staatsschauspiel, über den allseits angesagten Schmusekurs mit den Wirtschaftsbossen, über seine langjährige Verzweiflung an den Sozialdemokraten und den Humor von Angela Merkel.

Johannes Honsell und Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Herr Hildebrandt, Sie sind Kabarettist und Schauspieler. Ist das, was Schröder, Merkel und Co. vor laufenden Kameras zum Besten geben, auch gespielt?

"Ich wähle. Eine starke Opposition" - Dieter Hildebrandt (Foto: Foto: jh/odg)

Dieter Hildebrandt: Das glaube ich weniger, das traue ich ihnen einfach nicht zu. Es gibt immer den Verdacht, Politiker fädelten alles so toll ein. Wie zum Beispiel den angeblichen Coup, den Frau Merkel mit Herrn Kirchhof gelandet haben will. Soll ja wahnsinnig raffiniert eingefädelt worden sein. Und scheint jetzt wahnsinnig daneben zu gehen.

sueddeutsche.de: Trotzdem liegt die Union in Umfragen noch vorne. Frau Merkels Kanzlerschaft scheint fest zu stehen, ganz in der Tradition ihres "Lieblingsopfers" Helmut Kohl.

Hildebrandt: Frau Merkel wird vielleicht in der Lage sein, uns zu verkohlen. Aber sie selbst hat sich nicht verkohlen lassen. Das so genannte Mädel von Helmut Kohl hat zu viel von seinen Unarten gelernt. Und das übt sie jetzt auch aus. Sie ist zu jeder Intrige bereit, aber nicht zu jeder fähig. Aber ich glaube, das wird nicht 16 Jahre lang dauern, da war der Kohl besser.

sueddeutsche.de: Also: Adenauer 14 Jahre, Kohl 16 Jahre. Merkel?

Hildebrandt: Merkel zwei! (lacht)

sueddeutsche.de: Und was kommt danach?

Hildebrandt: Danach kommt das, was schon lange dräut: die Große Koalition. Ich hoffe, dass sie jetzt noch nicht auf uns niedergeht, vielleicht lässt sie sich noch ein wenig hinausschieben. Aber irgendwann kommt sie, wenn alle nicht mehr weiter wissen.

sueddeutsche.de: Was spricht denn dagegen?

Dieter Hildebrandt während des Interviews (Foto: Foto: jh/odg)

Hildebrandt: Die Opposition ist dann einfach zu schwach. Ach, Moment. Wir haben dann ja das infernalische Trio: Lafontaine, Fischer und Gysi. Also: ein Dreier ohne Steuermann.

sueddeutsche.de: Aber die FDP wäre auch noch dabei.

Hildebrandt: Westerwelle nimmt sich das Leben, wenn die Große Koalition zustande kommt. Ich glaube, wir müssen nicht mehr mit ihm rechnen (lacht).

sueddeutsche.de: Bei der letzten Sitzung des alten Bundestages bezichtigten sich Schröder und Merkel gegenseitig der Lüge. Wen kann man denn ihrer Ansicht noch wählen, wenn die Polit-Protagonisten nicht mehr die Wahrheit sagen?

Hildebrandt: Man könnte natürlich abwarten, ob sich diese Republik wieder festigt und nicht wählen.

sueddeutsche.de: Gehen Sie den nicht zur Wahl?

Hildebrandt: Ich wähle. Eine starke Opposition.

sueddeutsche.de: Und wen sehen Sie in der Opposition?

Hildebrandt: Diejenigen, die es nicht mehr schaffen werden.

sueddeutsche.de: Sie beschäftigen sich mit Körpersprache. Was konnten Sie aus dem TV-Duell zwischen Merkel und Schröder herauslesen?

Hildebrandt: Merkel und Schröder sind beide auf sehr natürliche Weise locker geworden. Merkel beginnt zu lernen, da oben zu stehen. Sie war ja anfangs wahnsinnig verkrampft. Ganz gelöst ist sie noch immer nicht, denn sie ballt immer noch die Fäuste, wenn sie etwas Wesentliches sagen will. Der Schröder würde die Fäuste öffnen, damit jeder sieht: da ist nichts drin. Und er steht gut am Pult. Schröder ist ein Profi. Und Merkel eine Azubi. Sie verströmt nicht unbedingt Liebreiz.

sueddeutsche.de: Ist Frau Merkel eigentlich lustig?

Hildebrandt: Ich will es so sagen: Sie steht dem Humor sehr fern.

sueddeutsche.de: Vielleicht ist Frau Merkel einfach nicht ihr Typ, Herr Hildebrandt...

Hildebrandt: Ich halte sie für eine nicht sehr redliche Dame. So wie sie Wahlkämpfe angeht, ist sie auch, wenn sie in der Parteizentrale sitzt und das Schicksal ihrer Untergebenen entscheidet. Ich glaube, sie ist kühler im Abservieren als Kohl. Und der war schon sehr kühl.

sueddeutsche.de: Aber ist es denn nicht schön, dass eine kinderlose Frau aus Ostdeutschland Bundeskanzlerin wird? Sie kommen ja auch aus dem Osten, aus dem schlesischen Bunzlau, nur 40 Kilometer östlich von der sächsischen Grenze.

Hildebrandt: Mir wäre eine sehr sympathische Frau aus dem Westen auch angenehm. Ich hätte sehr gerne eine Kanzlerin namens Heide Simonis gehabt. Es kann gerne eine Frau ins Kanzleramt - wenn sie denn mein Vertrauen hätte.

sueddeutsche.de: Sie sagten einmal, Willy Brandt stand Ihnen nahe. Wie sehr sorgen Sie sich um die augenblickliche Verfassung der SPD?

Hildebrandt: Das ist nicht ein augenblicklicher Zustand, den gibt es schon seit 1982. Diese Sorge grassiert, seitdem der Herr Mischnik und der Herr Genscher von der FDP Helmut Schmidt den Stuhl vor die Tür gestellt haben und den Kohl intrigiert haben. Ja, mit Kohl begann meine Sorge, denn die Sozialdemokraten hatten beste Möglichkeiten, diesen Mann ganz schnell zu konterkarieren. Sie haben es nicht geschafft. Nur ein Detail: Nach der Wiedervereinigung driftete die SPD nach links - mit den Kommunisten...

sueddeutsche.de: ...Sie meinen die PDS?

Hildebrandt: Ja, die PDS. Dabei sind SPD und PDS Todfeinde. Dass die Sozialdemokraten dies nicht herausgestellt haben, dass sie Todfeinde waren, sind und immer sein werden, dass die SPD nicht herausgestellt hat, dass sie damals, nach dem Krieg mit den Kommunisten zur SED zwangsvereinigt wurden, während die Blockparteien FDP und CDU umgefallen waren, dass dabei fast 100.000 Sozialdemokraten verschwunden sind ... Meine Seele, warum haben die Sozialdemokraten das nicht irgendwann laut gesagt?

sueddeutsche.de: Und doch führte ein SPD-Kanzler jetzt sieben Jahre die Bundesregierung.

Hildebrandt: Es geht mir nicht um Personen, sondern Politik allgemein, die gemacht wird. Ich habe ganz ernste Bedenken, wenn jemand diese Regierung übernimmt und den festen Vorsatz hat, die Partei mit den Wirtschaftsverbänden zu versöhnen. Und dann kommt er auf die Idee, das Ganze "Neue Mitte" zu nennen, was in sich schon eine Lüge ist.

sueddeutsche.de: Jetzt machen Sie es ja doch an einer Person fest, an Schröder.

Hildebrandt: Nein, das hat ja die ganze SPD gemacht, die ist ihm ja gefolgt. Es war eine neue Kursbestimmung, der Verlust einer Richtung. Auch wenn eine Partei in der Regierungsverantwortung ist, darf sie nicht vergessen, weshalb es sie überhaupt gibt: nämlich, dass sie sich für den Schutz der Schwachen stark machen soll. Das hat die SPD verloren, vollkommen verloren.

sueddeutsche.de: Und dennoch wählen Sie diese Partei?

Hildebrandt: Wenn ich sie nicht wähle, fehlt eine Stimme gegen die anderen. Das darf ich nicht machen, dafür würde ich mich verachten.

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