Interview mit Christian Ulmen:Die Ironie, nun ja, ist vorbei

Der Herr trägt Braun, ist eher klein als groß, hat eine sanfte Stimme, hüllt sich in eine Zigaretten-Wolke. Wer in ihm nur den Komiker sieht, tut ihm Unrecht. So wie die Interviewerin.

Rebecca Casati

Christian Ulmen wurde am 22. September 1975 in Neuwied geboren. Während seiner Hamburger Schulzeit lieh er sich eine Videokamera und machte Reportagen für den experimentellen, mittlerweile eingestellten "Offenen Kanal", bis MTV ihn entdeckte, wo er diverse Shows moderierte. Nach einem Kurzauftritt in "Verschwende Deine Jugend" kam sein schauspielerischer Durchbruch mit der Titelrolle der Verfilmung von Sven Regeners Roman "Herr Lehmann". In Doris Dörries neuem Film "Der Fischer und seine Frau" (seit 27.10. im Kino) spielt er an der Seite von Alexandra Maria Lara einen mit dem Leben zufriedenen, aber von der Liebe gebeutelten Fisch-Experten; völlig ironiefrei, übrigens. Zur Zeit ist er mit den Dreharbeiten für einen Fußballfilm beschäftigt. Christian Ulmen lebt mit Frau und Sohn in Berlin.

Interview mit Christian Ulmen: Mit Schabernack meinen Sie meine MTV-Zeit, nicht? Die habe ich sehr geliebt. Da gab's zumindest viel Ironie.

Mit Schabernack meinen Sie meine MTV-Zeit, nicht? Die habe ich sehr geliebt. Da gab's zumindest viel Ironie.

Ihr neuer Film ,Der Fischer und seine Frau' legt ein Thema nah, aber das Gefühl sagt mir: Darüber wollen Sie nicht sprechen. Welches ist es denn?

Liebe!

Also, über Liebe ist nun wirklich schon viel gesagt worden, ich könnte dem nichts hinzufügen.

Ich wusste, dass Sie das sagen würden.

Ich bin ganz froh darüber, dass dieser ganze Zauber jetzt vorbei ist. Mit Rantasten und Kennenlernen und so.

Sie haben sich also bereits rangetastet?

Ich bin sogar schon verheiratet. Ich wollte klare Verhältnisse.

Wo ist der Ehering?

Oh nein, das ist albern, den trag ich nicht. Jedenfalls bin ich froh, dass das unter Dach und Fach ist. Mich hat das wahnsinnig angestrengt, die ganzen Regeln, drei Tage nicht anrufen, was darf man sagen, was nicht.

Wir merken: Es lässt sich schleppend an, das Thema Liebe. Aber es ist auch schwierig, plötzlich sind Sie ein wirklich guter, ernst zu nehmender Schauspieler, nachdem Sie im Fernsehen jahrelang nur Schabernack getrieben haben.

Mit Schabernack meinen Sie meine MTV-Zeit, nicht? Die habe ich sehr geliebt. Da gab's zumindest viel Ironie.

Und deshalb denke ich die ganze Zeit: Gleich kommt die Pointe.

Wenn Leute mich erkennen und erwarten, dass ich gleich etwas ganz Wahnsinniges mache, freue ich mich immer, sie zu enttäuschen.

Ich muss leider trotzdem grinsen, wenn ich Sie anschaue.

Ja, aber glücklicherweise gab es Leute, die mir anderes zugetraut haben als Sie. Es war mein Plus, dass ich als Moderator Spartenfernsehen gemacht habe und für Regisseure wie Leander Haußmann noch nicht verbrannt war. Weil sie mich nicht kannten. Ein Moderator vom Musikfernsehen, der neuerdings schauspielt, wird natürlich kritisch beäugt. Film, das ist was Seriöses, und da kann man doch nicht so einen Fernsehdödel besetzen!

Die Ironie, nun ja, ist vorbei

Sie sind ein typisches Kind der Neunziger, das mit zwölf schon wusste: Ich will mal irgendwas in den Medien machen. Kameramann, Tonmann, Bildmischer, Reporter oder Schauspieler, das war egal, ich wollte was zu tun haben mit diesen Bändern, die sich drehen.

Erst blitzschneller Moderator und dann Schauspieler: Ist das nicht ein Clash der Kulturen?

Warum?

Als ironischer Fragesteller konnten Sie die Medien entlarven. Bei einem Schauspieler ist Reflexion doch vielleicht eher hinderlich?

Irgendwann nervt Medienreflexion. Und Ironie auch, obwohl ich sie mag. Mein Einstieg im Fernsehen war so: Ich ging zu einem Moderatorencasting für eine Disney-Sendung, und damals, mit 17 Jahren, war Ironie mein Schutz. Sie kam natürlich gar nicht an bei den Produzenten, denn Micky Mouse muss man wirklich lieben als Micky-Mouse-Moderator, man darf sie nicht ironisieren. Beim Casting waren Amerikaner, die in der ersten Reihe saßen und sagten: Make us laugh until we puke! Ich bekam den Job, aber die Ironie wurde mir richtig weggebrochen. Es sollte alles improvisiert und ernst gemeint wirken, doch dann gab es Texte, die die Amerikaner abgesegnet hatten: Hey Leute, seid ihr wieder mal bereit / und habt ein paar Minuten für Mickeys Zauberstunde Zeit . . .

Sie mussten das singen?

Nein, rappen.

Oh.

Der Amerikaner war auch sonst sehr streng. Zum Beispiel durfte Schwarz nie auftauchen, weder als Wort, noch als Farbe. Ich trug damals eine schwarze Brille, die musste ich ablegen und gegen schmerzhafte Kontaktlinsen tauschen, denn Daniel Düsentrieb ist nun einmal der Einzige bei Disney, der eine Brille tragen darf. Wir bekamen karottenfarbene Hosen und geringelte Hemden, ich trug eine Prinz Eisenherz-Frisur.

Sie wurden selber zur Disneyfigur.

Das war die Idee. Dann gab es noch einen schlecht gelaunten Regisseur. Außer dem tatsächlich guten Produzenten hatte tatsächlich keiner Lust. Das ist das Perfide an solchen Shows, dass da Leute sitzen, die das, was sie machen, selbst nicht gut finden. Hat mich damals desillusioniert, eine brutale Heranführung an echtes Fernsehen. Nach dem Abitur brach ich mir den Ellenbogen und wurde ausgemustert, da machte ich mit einem Freund weiter Reportagen für den Offenen Kanal. Und da sah mich halt ein MTV-Typ, der mich nach England holte.

Trotz Ihres deutschen Akzents, den Sie auch noch sehr betonten.

Howard Carpendale sagt man ja nach, dass er eigentlich gar keinen Akzent hat und immer nur so tut.

War der mal bei MTV?

Nein, der war ja nicht cool genug.

Sie waren eigentlich auch nicht cool genug .

Stimmt. Ich trug immer einen Anzug, weil das so neutral ist, wie es nur geht. Ich habe bis heute keinen Kleidergeschmack, bin da überhaupt nicht sicher und weiß nie, ob das richtig ist, was ich anhabe. Meine private Kleidung bestelle ich im Internet, bei Webseiten großer Bekleidungsunternehmen; einmal im Jahr.

Die Ironie, nun ja, ist vorbei

Sie hätten sich ja was bei Ihren Studiogästen abschauen können.

Bei den Bands? Die wurden uns ja aufgezwungen, obwohl das gar nicht meine Baustelle war.

Hatten Sie oft welche da, von denen Sie gar nicht wussten, wer die sind?

Sehr oft. Und dann habe ich jedes Mal mit den Worten begonnen: ,So, schön dass ihr da seid, nun stellt euch docherstmal vor!' Und dann sagte der eine ,Hey, I am MC Bobby' und der andere ,I am Sluggy Bob', dann sagte ich: ,Hey, habt ihr 'ne neue Single, wie heißt denn die?' und so weiter. Ein simpler Trick. Da diese Leute gewohnt sind, sich selbst darzustellen, kommt man fast nie in Verlegenheit.

Klingt trübe.

Ich wollte eben lieber moderieren und unterhalten, auch auf meine Kosten. Ich hatte nie Angst, mich zu blamieren. Ich fand nur, dass ich einen Unterhaltungsauftrag habe.

In drei großen Kinofilmen hat man Sie jetzt gesehen. Was man dabei nicht gesehen hat, ist irgendeine Entwicklung: Sie waren von einem Tag auf den anderen Schauspieler, bekamen die Rolle des Herrn Lehmann. Und Sie waren auch noch gleich ein guter, glaubhafter Schauspieler, den alle Kritiker mochten.

Naja, so übergangslos war es gar nicht, ich hatte ja schon für MTV kleine Filme gedreht, auf der Straße, mit versteckter Kamera, wo es darum ging, den Leuten vorzuspielen, man sei jemand anderes.

Na, in den Filmen ging es doch wohl eher darum, sich über sie lustig zu machen.

Das hab ich immer abgestritten. Ich habe in einer Sendung einen herzzerreißend weinenden Polizisten gespielt. Eine Passantin kam und hat mich getröstet, was sie nicht hätte tun müssen. Da habe ich mich doch nicht über sie lustig gemacht.

Aber dafür gesorgt, dass der Zuschauer lacht.

Absolut. Wer als Passant nicht an einem weinenden Polizisten vorbeigeht, sondern ihn tröstet . . .

... der ist auch schon als Witzfigur im Fernsehen.

Aber er hat dabei nicht seine Würde verloren, sondern Nächstenliebe bewiesen. Im Übrigen ist das Fernsehen ein einziges großes Rollenspiel, bei dem alle mitmachen. Genauso wie der Politiker nehmen sich auch Moderatoren vorher vor, dass sie so und so rüberkommen wollen. Kai Pflaume nimmt sich beispielsweise vor, lieb zu sein.

Vermeiden Sie denn beim Film Komödien, damit die Ebenen nun nicht durcheinander geraten?

Nein, gar nicht.

In ,Herr Lehmann' verkörpern Sie einen sehr muffigen Ironiker.

Ein tolle Rolle. Lehmann war ein unglaublicher Glücksfall, und es war von Leander Haußmann sehr mutig, mich zu besetzen. Es hat ja auch neun Castings gebraucht, um ihn zu überzeugen.

Hatten Sie vorher schon einmal signalisiert, dass Film ein Medium ist, das Sie interessiert?

Nein. Ich dachte früher selber, dass Film und Fernsehen zwei ganz verschiedene Dinge seien. Aber in meinem Kopf ist es heute dieselbe Anstrengung.

Eine Zeit lang dachte man, Sie werden der neue Harald Schmidt. Einmal saßen Sie auch in seiner Sat 1-Sendung, ein bisschen still und unbehaglich, so als säßen Sie vor Ihrem Chef.

Wenn man an den Allerbesten gerät, hilft nur eins: sich zurückzunehmen. Und es hat gepasst, weil es ja auch seine Show war und ich der Gast. Ein guter Gast ist immer leiser als der Gastgeber.

Man will die Braut nicht ausstechen.

Bei mir kommt dazu, dass ich vor Publikum nervös bin. Das ist nicht meine Stärke, da fahre ich dann alles runter.

Eine Fernsehkarriere kann man in Formaten planen, Einstieg mit der kleinen Liebhabersendung oder, wie Sie, im Spartensender. Dann etwas Ernstes gegen 21.15 Uhr im Privatsender. Und schließlich die öffentlich-rechtliche Familienunterhaltung. Eine Leiter, die in der Showtreppe am Samstagabend mündet.

Und auch ich habe sie mal ausprobiert, die Showtreppen-Show. Wir haben einen Piloten gemacht - und das ist überhaupt gar nicht meine Welt.

MTV verließen Sie dann aber plötzlich auch.

Vor sechs Jahren hatte ich dort einmal gekündigt, als es merkwürdig wurde. Plötzlich bekam ich so ein sonderbares Vera-am-Mittag-Image angetragen. Ich sollte mit Wahrsagerinnen sprechen ...

Mit diesen betrügerischen Tarotkartenlegerinnen?

Genau, dann lief auch häufiger Modern-Talking-Musik, oder es kam aus dem Nichts auf einmal Eberhard Diepgen als Gast.

Da hätten Sie doch auch Ihren Trick machen können, schön dass Sie da sind, stellen Sie sich doch erst mal vor ...

Ja, aber wenn man keine Leidenschaft für ein Thema hat, merkt der Zuschauer das schnell. Danach hab ich erst mal Radio gemacht, dann hat die Führungsetage bei MTV gewechselt und ich bin wieder zurück, und so ist die Sendung ,Unter Ulmen' entstanden.

Anfang des Jahres kam dann ,Mein neuer Freund'. Eine Reality-Serie auf Pro Sieben, die wenige sahen und manche als Psychoterror bezeichneten.

Ein Fernsehexperiment, das psychische Grenzen auslotete.

Das Konzept der Sendung ist ein bisschen kompliziert zu erklären, auf jeden Fall waren Sie darin verkleidet und legten viele Leute gleichzeitig rein, aber auf verschiedenen Ebenen. Und das Ganze bei denen zu Hause.

Acht Wochen in fremden Haushalten ans Intimste zu gehen, dort jeweils drei Tage am Stück ununterbrochen eine extreme Figur zu spielen, das hat mich durchaus mitgenommen, davon werde ich noch lange zehren. Das war mitunter nicht lustig, sondern bitter. Und das Spannendste, was ich je gemacht habe. Nicht nur in meinem Fernsehleben. Sondern überhaupt.

,Mein neuer Freund' wurde wegen schlechter Quoten abgesetzt, und dann, nach Zuschauerprotesten und einer Unterschriftenaktion, wieder ins Programm genommen. Ein Beweis, dass auch eine Minderheit Macht auf das Fernsehen hat.

Es gab eine Folge, die nie gesendet wurde, aber am besten veranschaulichte, worum es uns ging. Da habe ich eine Figur gespielt, die sich auf eine nacheifernde Art und Weise an einen Jungen dranhängte. Wie in dem Film ,Weiblich, ledig, jung, sucht...' habe ich mich auch so benommen und angezogen wie er und seinen Freunden Erpresserbriefe geschrieben. Es gipfelte darin, dass ich mir in Anwesenheit seiner Familie vor Aufregung in die Hosen machte. Was sehr schwierig ist, zumal in einem Restaurant, weil man verinnerlicht hat, dass man das nicht tut. Eine Method Acting-Leistung! Eine Übung für später, für heute, auch durch die ewige Maskiererei. In einem kleinen fleischfarbenen Tanga aus der Badewanne zu steigen, wie ich es jetzt für Frau Dörrie tat, ist für mich nicht schön. Aber vor ein paar Jahren wäre es einfach undenkbar gewesen.

Noch mehr schöne Augenblicke in der Schauspielerei?

Beim Film ist den Zuschauern viel klarer, dass man nur spielt. Man erwartet nicht von mir, dass ich viel über Koi-Fische weiß, obwohl ich in ,Der Fischer und seine Frau' einen Koi-Experten spiele. Bei Fernsehmoderatoren meinen alle, ja, der ist so. Wie Sie ja auch.

Irritiert Sie auch was an Ihrem neuen Beruf?

Ich hätte eigentlich gerne ein Büro, wo ich jeden Tag reingehen kann, denn was mich ein bisschen nervt, ist die Unregelmäßigkeit. Aber dafür habe ich jetzt ein Kind. Ich stehe seit vier Wochen jeden Morgen um acht auf und habe endlich, nach zehn Jahren beim Fernsehen, eine Ausrede für die ganzen Umtrunk-Veranstaltungen: Ich kann leider nicht kommen, wir haben keinen Babysitter gefunden. Ich bin so dankbar dafür. Das deutsche Kino ist nicht eben für kompromisslosen Humor bekannt. Ist das kein Problem für Sie?

Stimmt, aber das ist nicht schlimm, sondern gut. Ich muss eher schauen, dass ich mich nicht verheddere in meinem Andersseinwollen - bevor ich gar nicht mehr verstanden werde. Und irgendwann habe ich auch gemerkt, ich habe alle Spielarten der Ironie durch. Etwas wahrhaftig und ernsthaft zu erzählen, ist viel härter.

Dann sind Sie jetzt mutiger als früher.

Ein bisschen. Ironie muss man sich wie eine Mütze vorstellen. Die setzt man auf, um sich zu schützen. Aber man hat sie ja nicht ununterbrochen auf, die Mütze, weil sie eben kein Integralhelm ist. Immer ironisch sein, das wäre ja fast unerträglich, so ist doch keiner, oder?

Ich dachte, vielleicht ist Udo Lindenberg so.

Stimmt. Aber der trägt ja auch permanent einen Hut.

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