Interview:"Ich hoffe immer, dass ich nicht zu böse werde"

Hollywood-Schauspielerin Julianne Moore über das Reden.

von Gabriela Herpell

Julianne Moore, 43, ist erst in den letzten Jahren zu einer der begehrtesten Hollywood-Schauspielerinnen geworden. Sie spielte in Filmen wie "Boogie Nights", "Magnolia", "Short Cuts" und "Schiffsmeldungen". Für die Rolle der vorstädtischen Ehefrau in "The Hours" wurde sie für den Oscar nominiert. Jetzt ist sie in dem Zukunftsthriller "Die Vergessenen" zu sehen. Moore ist das erste von drei Kindern. Der Vater zog mit seiner Familie dauernd um: von Alabama nach Georgia, Texas, Virginia, New Jersey, Nebraska, Alaska, New York und Panama, ihre High-School-Jahre verbrachte sie in Deutschland. Heute lebt sie mit ihrem Mann, dem Regisseur Bart Freundlich, und ihren beiden Kindern in New York.

Interview: Je älter, desto schöner: Julianne Moore.

Je älter, desto schöner: Julianne Moore.

(Foto: Foto: AP)

Miss Moore, es scheint, als hätte Hollywood neuerdings das Erinnern entdeckt. Kommt Ihnen das so vor?

Unlängst ließ sich Jim Carrey in "Vergiss mein nicht" das Gedächtnis löschen und wollte es dann wieder zurückhaben. In Ihrem neuen Film "Die Vergessenen" wollen Sie unbedingt an der Erinnerung an Ihren verstorbenen Sohn festhalten, obwohl alle um Sie herum wollen, dass Sie ihn vergessen. Tröstet die Erinnerung? Nun, wir haben nichts anderes als unseren Erfahrungsschatz, und der macht uns zu dem, was wir sind. Unser Gedächtnis, alles, was wir je gelernt haben, das ist unsere Identität. Darum, denke ich, ist Alzheimer so schrecklich.

Es gibt auch Erfahrungen, auf die man gern verzichten würde. Der Verlust eines Kindes muss das Schlimmste sein, was einem passieren kann. Aber gerade da bleibt einem doch als Einziges die Erinnerung.

Und wenn man das ganze Leben nicht mehr aushält? Wissenschaftler arbeiten zur Zeit an einer Pille, mit der man traumatische Erfahrungen vergessen kann. Ich verstehe den Wunsch. Aber kann man gezielt eine Sache vergessen, oder weiß man dann plötzlich auch nicht mehr, wie der Nachbar heißt?

Das ist wohl bisher der Haken. Wusste ich's doch.

Sie sind eine der respektiertesten Schauspielerinnen Hollywoods.  Danke.

Und Sie sind Mutter. Zweifache sogar.

Machen Kinder verletzlicher? Ja - aber das geht wohl jeder Mutter so. Vor den Kindern habe ich mich tatsächlich unbesiegbar gefühlt, aber das war mir gar nicht bewusst. Meine Devise war: Wenn mir etwas passiert, ist das meine Sache. Dann kommt plötzlich ein Winzling, der vollkommen abhängig ist. Mir darf jetzt nichts mehr passieren.

Nach einer Rolle wie in "Die Vergessenen": Stellen Sie sich nicht ständig Unfälle mit Ihren Kindern vor? Oh Gott ja, ich habe dauernd solche Schreckensvisionen. Ich laufe mit den Kindern eine Straße entlang und sehe vor meinem inneren Auge, wie ein Auto auf den Bürgersteig rast und mein Kind erfasst. Neulich hat mein Mann unsere kleine Tochter geschaukelt, immer höher und höher, weil sie das so wollte. Dann hat sie plötzlich losgelassen. Er war vollkommen fassungslos. Aber hey - ist doch klar, dass sie losgelassen hat. Sie ist erst zwei! Sie ist in hohem Bogen durch die Luft geflogen. Endlich verstehe ich meine Eltern, die mich früher immer mit ihrer Übervorsicht genervt haben. Kinder sind ein Geschenk.

Ihnen ist noch ein bisschen mehr geschenkt worden: Sie sind jetzt 43 Jahre alt und werden nach übereinstimmenden Meinungen immer schöner. Das ist nun aber nett von Ihnen.

Es stimmt ja einfach. Trotzdem: Danke.

Dazu kommt: Ihre Karriere ist in den letzten Jahren überhaupt erst richtig losgegangen. Sie haben Rollen in den besten Filmen bekommen, wie "Short Cuts", "Boogie Nights", "Magnolia", "The Hours", während die meisten Schauspielerinnen in Ihrem Alter um gute Rollen kämpfen müssen. Haben Sie Spaß am Älterwerden, oder was ist Ihr Trick? Ich hatte wohl Glück. Wir wissen doch alle nicht, wie es für uns ausgehen wird. In meinem Leben ist alles immer schön der Reihe nach passiert. Ich habe einen Schritt nach dem anderen getan. Ich war immer sehr bodenständig. Und nun werde ich eben älter, Schritt für Schritt, und ich nehme es kaum wahr.

Sie gucken nicht dauernd in den Spiegel und fragen sich, wie lange sich das noch halten wird? Doch, sicher. Aber das ist nicht meine größte Angst. Ich habe Angst vor dem Tod. Wirklich. Ich habe so viel zu verlieren! Das ist es eigentlich. Alle reden immer über Schönheit, Jugend, lalala, wie furchtbar es ist, das zu verlieren. Und dabei rückt der Tod immer näher! Wenn ich mit meinem Mann und den Kindern im Auto sitze und wir so dahinfahren und uns freuen, weil es ein schöner Tag ist und wir leben, dann gucken wir uns plötzlich an und jeder denkt: Ich will nicht sterben, es ist zu schön. Davon abgesehen geht es mir aber tatsächlich besser, seitdem ich älter bin. Ich verstehe mehr als früher. Ich bin glücklicher.

Das klingt aufmunternd. Sind Sie glücklicher mit sich selbst? Man will doch irgendwann nicht mehr anders sein, als man ist. Mit 22 zum Beispiel war ich unglücklich. Ich mochte mich nicht. Ich wollte lustiger sein, andere Haare haben, einen anderen Akzent, alles Mögliche. Das macht natürlich sehr unzufrieden. Aber wenn man älter wird, akzeptiert man sich wieder so, wie man das vielleicht zuletzt mit acht Jahren getan hat. Also wird man wieder man selbst. Oh ja, so ist es. Die meisten Menschen sehen sich lieber als stille Denker und nicht als Plaudertaschen. Früher wollte ich immer recht geheimnisvoll wirken. Ich dachte, mein Hang zum Reden wirke eher dumm. Heute bin ich eine glückliche Plaudertasche. Das bekommt mir gut.

"Ich hoffe immer, dass ich nicht zu böse werde"

Reden alle in Ihrer Familie so gerne wie Sie? Meine Tochter ist wie ich. Sie hat erstmal zwei Jahre lang geweint. Seitdem redet sie. Sie redet und redet, den ganzen Tag. Mummy, ich habe Hunger, wollen wir Käse essen? Mummy, ich mag deinen Pulli. Mummy, dein Haar sieht schön aus. Sie will über alles reden, alles, alles, alles. Ich denke, dass sie so viel geweint hat, weil sie noch nicht sprechen konnte. Abgesehen vom Plaudern: Sprechen Sie mit Ihrem Mann über Ihre Probleme? Klingt das bei Hollywoodeheleuten genau wie bei anderen Eheleuten? Mein Mann ist zum Glück auch jemand, der gerne redet. Ja, es entstehen weniger Missverständnisse, wenn man miteinander redet. Wir sind da wohl ganz normal.

Interview: Kleidung designed by Julianne Moore (für eine wohltätige Veranstaltung zugunsten der Aids-Stiftung).

Kleidung designed by Julianne Moore (für eine wohltätige Veranstaltung zugunsten der Aids-Stiftung).

(Foto: Foto: Reuters)

Dann neigen Sie bestimmt auch dazu, die Dinge totzureden. Das lässt erfreulicherweise nach, je älter man wird. Man kann die Dinge besser mal so stehen lassen. Und ich rede, ganz ehrlich, eigentlich sowieso lieber über die leichten Dinge. Das Frühstück und das Mittagessen, wer die Wahl gewinnt, ob es warm genug ist, was wir essen sollen. Alles wird kommentiert, und manchmal kommt man dann vom Kleinen ins Große, das ist ganz wunderbar. Aber die leichten Dinge machen einen erstmal warm miteinander.

Wie ist die Kommunikation bei neuen Kollegen, also Fremden, mit denen man bei Dreharbeiten vier, fünf Monate am Stück fast alles teilen muss? Ich meine, man fragt ja nicht als erstes: Bist du traurig, dass dein Mann dich verlassen hat? Man spricht über dies und das, kommt sich näher und sieht, in welcher Stimmung der andere ist und wie viel Intimität er vertragen kann. Ich habe mittlerweile herausgefunden, dass die meisten Menschen reden möchten, und dies oft auch, wenn sie einen anderen Eindruck vermitteln.

Sind Sie da sicher? Eigentlich schon. Sagt Ihnen Wally Shawn etwas? Wir haben zusammen in "Vanya on 42 Street" gespielt. Er wirkte immer sehr geheimnisvoll, verschwand gelegentlich mit einer großen Tasche, und keiner wusste wohin. Eines Tages saß ich mit André Gregory da, das war der Regisseur, ein guter Freund von mir. Wally ging gerade mal wieder weg. André fragte mehr sich als mich: "Wohin geht er denn jetzt schon wieder?" Ich sagte: "Er geht erst in sein Büro, und dann macht er dies und dann macht er das." André war ganz überrascht und fragte: "Woher weißt du das?" Ich sagte: "Stell dir vor: Ich habe ihn gefragt." Die Menschen fragen einfach nicht genug.

Sind Ihnen die Ratschläge von Freundinnen oder Freunden wichtig? Ich liebe Ratschläge. Aber ich gestehe: Noch lieber gebe ich welche.

Richten Sie sich nach den Ratschlägen anderer? Eigentlich kaum, aber ich höre sie trotzdem gern. Ich habe herausgefunden, dass die meisten Leute eher für sich sprechen. Das ist nicht böse gemeint, sie können ja nicht anders. Jeder empfindet in einer bestimmten Situation etwas anderes, hat andere Erfahrungen gemacht und würde sich aus den und den Gründen so und so verhalten. Ich habe eine Freundin, die macht einem immer Angst: "Julianne, bist du sicher, dass du da hinfahren willst? Ich weiß ja nicht . . . also ich würde mir das nochmal überlegen, Julianne!" So geht das laufend. Ich weiß mittlerweile, dass das ihre Sache ist, trotzdem denke ich kurz darüber nach. Und ich will es auch immer wieder hören.

Wenn Ihnen das Reden so wichtig ist: Was ist mit der Sprache? Könnten Sie sich vorstellen in einem Land zu leben, dessen Sprache Sie nicht gut oder gar nicht sprechen? Oder eine Beziehung zu einem Mann zu haben, der eine andere Sprache spricht? Absolut nicht. Man lernt eine Sprache, wächst mit ihr auf, so entsteht eine Persönlichkeit. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die Menschen manchmal ein ganz anderes Auftreten haben, wenn sie in einem anderen Land sind und eine andere Sprache sprechen?

Sie sind verunsichert. Ja, das macht eine Menge aus! Ich glaube, durch diese Unsicherheit verliert man auch etwas von seiner eigenen Art. Ich habe ja mal mit meiner Familie in Deutschland gelebt, bin dort zur Schule gegangen. Wenn ich Deutsch gesprochen habe, war ich zurückhaltend. Und Sie wissen ja: Ich bin eigentlich alles andere als zurückhaltend.

Sie wären kein guter Pionier. Nein, ich bin keine Abenteurerin. Außerdem bin ich mit meinen Eltern oft genug umgezogen. Meine Großeltern waren Auswanderer. Sie kamen aus Schottland nach New Jersey. Sie hatten einen Rasen in New Jersey, so einen englischen Rasen, kurz und sehr grün. Sie hatten Rosen auf der Terrasse und ein Vogelbad. So etwas gab es zuvor nicht in New Jersey. Als ich mal mit meiner Mutter nach Schottland fuhr, sah ich überall diesen Rasen, kurz und sehr grün und satt, und überall Vogelbäder und Rosen, aber es sah natürlich anders aus als im Garten meiner Großeltern. In Schottland ist es kühl und regnerisch, in New Jersey ist es heiß und trocken. Da wurde mir klar, wie sehr sie versucht haben, ihre Heimat nach Amerika zu transportieren. Ich konnte sie so gut verstehen. Mir würde auch viel fehlen.

Da wir ja vom Reden reden: Tratschen Sie gern? Ja! Klar! Aber jeder liebt es doch, über andere zu reden. "Hast du gehört, dass soundso eine Affäre hat?" Oder: "Glaubst du, dass sie schwanger ist? Sie sieht ein bisschen so aus, findest du nicht?" Finden Sie das böse? Nein, oder?

Das ist noch nicht böse, nein. Ich hoffe immer, dass ich nicht zu böse werde, das will ich wirklich nicht!

Aber manchmal passiert es doch einfach wie von selbst: Man erzählt eine Geschichte über jemanden und übertreibt vielleicht ein bisschen, damit es amüsanter klingt, und am nächsten Morgen denkt man, oh Gott, das war nicht fair. Ja, das kann wild werden, und auch gefährlich. Gerade in unseren Kreisen!

Denken Sie manchmal darüber nach, was andere über Sie so reden? Mmh, da sind wir schon wieder am Anfang unseres Gesprächs: beim Älterwerden. Denn jetzt, da mir immer klarer ist, wer ich eigentlich bin und was ich will, macht mir die Meinung anderer keine Angst mehr. Klar habe ich früher darüber nachgedacht, ob ein neuer Freund meinen Freundinnen gefällt. Ich habe auch immer gedacht, ich muss ausgehen, alle gehen aus, es ist komisch, nicht ausgehen zu wollen. Dann bin ich ausgegangen. Es hat mir keinen Spaß gemacht. Nun habe ich einen Mann getroffen, der auch nicht gerne ausgeht. Wir finden es wundervoll, zu Hause zu bleiben.

Ihr Mann ist neun Jahre jünger als Sie und hat eine erfolgreiche, starke Frau an seiner Seite. Kommt er damit zurecht? Er wollte eine starke Frau an seiner Seite. Unsere Beziehung ist ein permanenter Machtkampf, auf eine sehr inspirierende Art. Ich kann immer noch nicht richtig glauben, dass er neun Jahre jünger ist als ich. Aber wissen Sie was? Ich finde diese Generation von Männern sehr interessant. Sie sind nämlich bereits mit starken Müttern aufgewachsen, vielleicht können sie deshalb auch starke Frauen an ihrer Seite gebrauchen.

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