Interview: Designer Paul Smith:"München? Ah, die grünen Hütchen!"

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In einer stillen Straße im schönen Londoner Stadtteil Covent Garden summen es die Arbeitsbienen von den - nunja - Dächern: ""Paulchen, hier!", summen sie, "Paul, dort!" Sie meinen einen riesigen Mann mit Hundenase und Schlenkerbeinen: ihren Boss. Und der ist einer der ersten Modedesigner dieses Sonnensystems.

Paul Smith ist einer der erfolgreichsten Designer der Welt. Er wurde 1947 in Nottingham geboren, begann schon mit 15, in einem Textilgeschäft zu jobben, wollte aber eigentlich Radrennfahrer werden, wozu es aufgrund eines Unfalls mit 17 Jahren nie kam. 1969 traf er die Modestudentin Pauline Denyer, mit deren Hilfe er ein Jahr später seinen ersten Laden für Männermode in London eröffnete. Mittlerweile designt er alles, was sich designen lässt: Parfüms, Uhren, sogar Autos. Im Jahr 2001 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen, am selben Tag heiratete er Pauline. Die Smiths leben in London.

Niemand bezweifelt ernsthaft, dass Robin Hood und seine Freunde in unseren Wäldern gelebt haben. Aha. (Foto: N/A)

SZaW: Mr. Smith, Sie scheinen ja ein verdammt beliebter Boss zu sein.

Paul Smith: Ist das Ihr Eindruck? Ach, warum eigentlich so überrascht tun? Sie haben wohl recht. Bei uns gibt es keine Grenzen und keine Stars, nur Kollegen und Kommunikation. Wir reden und reden und reden. Möchten Sie heute reden? Soll ich? Fragen wir uns - kenne ich Sie eigentlich?

SZaW: Ich glaube nicht.

Smith: Doch! Ich kenne Sie. Sie haben mich schon einmal interviewt.

SZaW: Vor Jahren.

Smith: Herrlich, wenn man richtig liegt. Wo sind Sie zu Hause?

SZaW: In München.

Smith: Ah, die grünen Hütchen!

SZaW: Kann man tragen ohne aufzufallen, ja.

Smith: Ich war unlängst in Deutschland. Sehr inspirierend bei Ihnen, muss ich sagen. Ich habe gelernt, dass es mehr oder weniger um fünf Städte geht: München, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln.

SZaW: Stimmt irgendwie.

Smith: Ich merke mir solche Sachen. Ich selber komme aus der achtgrößten Stadt Englands, aus Nottingham.

SZaW: Grüne Hütchen!

Smith: Natürlich. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass Robin Hood und seine Freunde in unseren Wäldern gelebt haben. Es gibt sogar bis heute einen Sheriff, ich habe ihn mal kennen gelernt.

SZaW: Und er ist geldgierig und grausam.

Smith: Oh, nein, nein, gut und reizend und smart. Eine Dame!

SZaW: Kommen wir zu Ihrer Mode. Zu dem Charme, zum Geheimnis, dass Ihre Entwürfe und Ihren Erfolg ausmacht. Ihr Claim to Fame, haben Sie mal gesagt, passt in vier Worte: ,Classic with a Twist.'

Smith: In den frühen 80er Jahren rollte es an. Da schneiten immer mehr Leute wie Sie rein, Magazinjournalisten, Zeitungsjournalisten. Irgendwann merkte ich, dass praktisch immer alles auf die eine Frage hinauslief: Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben? Also suchte ich nach einem Begriff, mit dem ich alle zufrieden stellen könnte. Da fiel mir das ein: Classic with a Twist. Das war meine Formel. Sagte ich gerade Formel?

SZaW: Ja.

Smith: Formel ist ein sehr dummes, sehr gefährliches Wort. Wer ein Reinigungsunternehmen oder eine Kette mit Coffeeshops leitet, fährt prima mit einer Formel. Wir Designer brauchen keine Formeln, sondern Wegweiser.

SZaW: Wohin weist Ihrer?

Smith: Humor! Es ist nicht so, dass meine Sachen einem Clown den Atem verschlagen würden, ich baue eher subtile kleine Überraschungen für jedermann ein. Wenn man einen Kragen umdreht, ist da plötzlich eine neue Farbe. Wenn man ein Jacket aufklappt, kommt ein ungewöhnliches Futter zum Vorschein. Beim Auf- und Zuknöpfen bemerkt man, wie eigenartig, wie besonders die Knopflöcher gesäumt sind. Ich möchte, dass die Leute sich freuen beim Auf- und Zuknöpfen.

SZaW: Der komplette Titel Ihres sehr schönen Buches, einer Sammlung aus Texten, Dialogen, Fotos und Ideenschnipseln, lautet: ,You can find Inspiration in anything - and if you can't, look again.'

Smith: Meine Überzeugung!

SZaW: Vor einigen Jahren haben Sie gewissermaßen durch eine Zugabe von Oliv, Schwarz und nochmal Schwarz das bunte Streifenmuster neu erfunden. Seitdem sieht man es auf Wänden, Gummibooten, Tassen, Unterhosen.

Smith: Meine Streifen verfolgen Sie?

SZaW: Nicht mich. Jeden.

Smith: Das bringt Sie aber hoffentlich zum Lächeln?

SZaW: Doch.

Smith: Sie wurden natürlich tausendmal imitiert. Sofern man das über bunte Streifen mit Oliv überhaupt sagen kann.

SZaW: In Frauen und Männern auf der ganzen Welt weckt Ihr Label die Assoziation: Ein Wochenendtrip in London, Sonne und den Schalk im Nacken, die frühen Beatles im Ohr. Und bunte Streifen.

Smith: Die Frauen waren nie das Problem, sondern die Männer. Wie man sie gewinnt? Subtil anfangen. Stupsen, nicht schubsen! Anfangs stand ich selbst im Laden hier in der Floral Street, ich trug meine Sachen, und viele Typen dachten sich, na sieh mal an, wenn dieser stinknormale Typ das anhat, probier ich es auch. Ein rosaweißgestreiftes Hemd empfehlen statt einem blauweißgestreiften! Das ewige Marineblau unmerklich ein bisschen hochdimmen - stups! So habe ich den distinguierten Mann zur Farbe gebracht. Heute ist er bei Hellblau.

SZaW: Sie sind kein typischer Modedesigner.

Smith: Ich bin kein begnadeter Designer wie Galliano oder McQueen, nicht eitel, extravagant, ungewöhnlich. Ich bin ein guter Designer, der es nicht spießig findet, ein Auge auf die Finanzen zu haben.

SZaW: Für einen Modedesigner sind Sie natürlich auch sehr heterosexuell.

Smith: Zweifellos. Ich bin mit meiner Frau Pauline zusammen, seit wir 21 sind. Ich war immer down to Earth statt durch die Gegend zu flattern.

SZaW: Haben Sie trotzdem, zumindest zu Anfang, nie überlegt, ob Sie für Ihr Modelabel nicht einen etwas flamboyanteren Namen wählen sollten als, pardon, Ihren eigenen?

Smith: Ach. Alle Lädchen hatten damals drollige Namen wie ,Hundehütte' oder ,Garage'. Ich wollte es den Kunden einfach machen.

SZaW: Sie sind ein Kind der Sixties. Die Welt muss aus London-Perspektive doch ausgesehen haben wie eine lustige, changierende Blase. Wie konnte man darin gleichzeitig bescheiden und cool sein? Bohemien und trotzdem zielstrebig?

Smith: Eigenartig, ich weiß, aber auch hier lautet die Antwort wieder: Pauline. Ohne sie wäre ich verlottert. Sie hat mir sehr viel beigebracht. Sagt nur: Sitz! Platz! Ruhig! Und ich gehorche wie ein Hund. Auch auf Reisen durch Asien habe ich immer wieder Wertvolles aufgeschnappt. Bei den Japanern beispielsweise sitzt man bei Meetings immer sechs bis sieben Leuten gegenüber, von denen man mindestens vier nicht einordnen kann. Es ist, als käme die dritte und vierte Besetzung mit auf die Bühne. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich es kapiert habe: Die japanischen Bosse dezentralisieren so die Aufgaben, sie motivieren ihre Belegschaft und halten sie gleichzeitig immer auf dem neuesten Stand. Genial. Total unüblich in Europa. Heute nehme ich nach Japan immer zehn Leute mit.

SZaW: Sie haben noch ein Prinzip, das den Mechanismen Ihrer Branche widerspricht: Sie besuchen keine Plauderevents, keine Pressefondues und was es sonst noch alles gibt an Network-Gelegenheiten.

Smith: Ich habe mich lange genug damit gepeinigt. Für mich heißt es: Keine Ahas und Sosos mehr, oder Rumstehen mit Barbecue-Hähnchenflügeln, während man einem Fremden erzählt, was man eigentlich so gemacht hat im Leben.

SZaW: Wissen Sie, was Ihre Kollegen über Sie sagen?

Smith: Sie sind wütend auf mich. Sie halten mich für einen Snob, für einen Spinner. Ganz ehrlich? Keine Ahnung.

SZaW: Jeder liebt Sie.

Smith: Gestern sagte jemand zu mir: ,Ich finde es sehr interessant, wie Sie mir gerade abgesagt haben.'

SZaW: Klopfen Sie Einladungen nicht erst ab?

Smith: Doch. Nehmen wir an, Sie laden mich zu einer Irrsinns-Abendgesellschaft ein. Ich sage: Ohh! Ein privates Abendessen! Naja, sag ich: Es kommen auch noch John Galliano und Jil Sander vorbei.

SZaW: Aha! Und die bringen wahrscheinlich ihre Freundinnen und Freunde mit, vielleicht noch ein paar Starfotografen mit ihren Makeup-Leuten...

Smith: An dieser Stelle sage ich: Ich hätte gerne Dinner mit Ihnen und Ihrem Freund, ich bringe Pauline mit, wir verbringen einen prima Abend zu viert. Alles andere, Barbecues auf Sardinien, Cocktails auf einer Yacht in St. Tropez, alles, was von einem Dinner zu viert abweicht, muss ich leider, leider absagen.

SZaW: Keine Cocktails auf einer Yacht? Ist Gesellschaft und Wohlstand denn nicht inspirierend, haben Leute, die auf glitzernde Wasseroberflächen schauen, nicht die bombigsten Ideen?

Smith: Nicht als solche. Geld kann Menschen verblöden, dann nämlich, wenn sie versuchen, damit Stil oder Glück zu kaufen.

SZaW: Aber Sie sind reich.

Smith: Eigentlich nicht. Was ich verdiene, investiere ich sofort wieder in mein Geschäft oder in Kunst oder in meine Familie.

SZaW: Da Sie offenbar zu bescheiden für Feinde sind: Wie steht's mit Freunden?

Smith: Meine sind tolle Leute, Daniel Day Lewis, Hanif Kureishi, David Bowie. Fran Healy von Travis. Die Architekten David Chipperfield und John Paulsen. Mein bester Freund wohnt in San Francisco, heißt Jonathan Ive und designt die iMacs. Ein anderer, Frederic, gibt in Paris ein Magazin heraus. Nie reden wir über Mode. Habe ich Sie gerade angeniest?

SZaW: Nein.

Smith: Eine dieser Frühjahrserkältungen.

SZaW: In Ihrem ersten eigenen Geschäft in London soll es übrigens sehr gestunken haben.

Smith: Übel. Das war der Afghane. Lange Nase, langes Fell. Wir hatten zwei, meiner war ganz schwarz und streifte tagsüber durch die Nachbarschaft, um an Müllhaufen zu riechen. Der goldene von Pauline begleitete uns ins Geschäft. Oh, wie der stank. Der Hund brauchte eine Aufgabe, also nannten wir ihn Manager. In Wirklichkeit war er mein Doppelgänger. Der Afghane und ich, wir sahen uns zum Verwechseln ähnlich.

SZaW: Wir könnten Ihre Bescheidenheit nun spaßeshalber als Form von Eitelkeit auslegen.

Smith: Wir amüsieren uns doch die ganze Zeit schon prächtig! Ich grüble nie so nach. Nicht einmal, wenn ich 17 Stunden lang im Londoner Stau stecke.

SZaW: Denn auch da finden Sie ja wieder irgendetwas, das Sie inspiriert.

Smith: Eben.

SZaW: Und wenn nicht, schauen Sie noch mal genauer.

Smith: So funktioniert's.

SZaW: Ist die Möbiusschleife Frühjahrsaison-Sommersaison nicht schrecklich deprimierend für Sie?

Smith: Schon, aber: Erscheint Ihre Zeitung nicht auch jeden Tag? Strampeln wir nicht alle in irgendeinem Karussell? Ich designe 24 Kollektionen im Jahr, und ich habe gerade die Frauenkollektion 05 fertig. Verrückt. Aber ich käme nie auf die Idee, mich darüber zu beschweren.

SZaW: Haben Sie sonstige Routinen? Irgendwelche Fernsehshows, die sein müssen?

Smith: Ich sehe nie, nie, nie fern. Ein bisschen Kino, hier und da. Ich mag chinesische Filme und hoffe, dass Sie zu taktvoll sind, um mich nach Namen zu fragen.

SZaW: Zeitungen? Magazine?

Smith: Nur samstags beim Frühstück mit Pauline. Den Teil über Prominente und Fernsehshows überlese ich. Sie ahnen ja gar nicht, wie gut meine selektive Wahrnehmung funktioniert. Ich folge überhaupt nur einer einzigen Routine, weil mein Chiropraktiker sie mir verordnet hat. Ich hatte einen bösen Rücken von zu schweren Taschen und dummen Flugzeugsitzen, also gehe ich jeden Morgen schwimmen. Oft quäle ich mich, aber ich gehe.

SZaW: Tee?

Smith: Mag ich.

SZaW: Mehr nicht? Selbst der unkonventionellste Engländer verspürt den Drang, täglich eine Teezeremonie zu veranstalten.

Smith: Ich spüre stattdessen eine angenehme Taubheit. Genau wie in meinem Rücken.

© SZaw v. 12./13.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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