Bargeldloses Bezahlen:"Straßenmusik wird so zur Kunstform erhoben"

Musik an der Warschauer Straße

In London können Straßenmusiker jetzt bargeldlos bezahlt werden - von so viel Fortschritt können diese Musiker an der Warschauer Straße in Berlin nur träumen.

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

London hat ein elektronisches Bezahlsystem für Straßenmusiker eingeführt. Sängerin Charlotte Campbell erzählt, warum das nötig war und wie Passanten reagieren.

Interview von Luise Checchin

Als Sadiq Khan, der Bürgermeister von London, kürzlich die Idee eines elektronischen Bezahlsystems für Straßenmusiker vorstellte, gab er sich enthusiastisch: "Nun können noch mehr Londoner die talentierten, brillanten Straßenkünstler der Hauptstadt unterstützen". Dabei geht es in erster Linie darum, dass es nicht weniger werden. Denn je beliebter bargeldlose Bezahlmethoden insgesamt werden, desto weniger Bargeld haben die Menschen dabei - und desto geringer fällt schließlich der Verdienst von Straßenkünstlern aus. Die Organisation "Busk in London" hat deshalb zusammen mit der Londoner Stadtverwaltung und dem Unternehmen "iZettle" ein elektronisches Bezahlsystem für sie entwickelt. Es soll nach und nach in den verschiedenen Stadtvierteln eingeführt werden. Die Straßenmusikerin Charlotte Campbell hat das System zuvor ein Jahr lang in einem Pilotprojekt ausprobiert.

SZ: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie gefragt wurden, ein elektronisches Bezahlsystem für Straßenmusiker auszuprobieren?

Charlotte Campbell: Ich war begeistert. Ich arbeite seit 2012 als Straßenmusikerin und mir war schon seit Längerem aufgefallen, dass immer weniger Passanten Bargeld dabei haben. Mir hat das wirklich Sorgen bereitet, denn auf lange Sicht würde das ja bedeuten, dass es nicht mehr möglich ist, für Straßenmusik zu bezahlen. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, als endlich jemand auf die Idee gekommen ist, eine neue Bezahlweise zu entwickeln.

Wie genau funktioniert das System?

Ich habe ein kleines Kartenlesegerät, das über eine App mit meinem Smartphone verbunden ist. In dieser App kann ich einen bestimmten Betrag eingeben, zum Beispiel ein Pfund. Wenn jemand mir Geld geben möchte, braucht er dann nur noch seine kontaktlose Geldkarte vor das Kartenlesegerät zu halten, und es wird automatisch ein Pfund auf mein Konto überwiesen. Wenn die Menschen mehr geben oder sogar eine Rechnung für ihre Spende haben möchten, geht das auch, allerdings muss ich dafür mein Spiel unterbrechen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Wie reagieren die Passanten darauf, dass da plötzlich eine Musikerin mit einem Kartenlesegerät auf der Straße steht?

Die meisten Passanten sind vor allem neugierig. Sie halten an und fragen mich aus - nach dem Motto: 'Was ist das? Ist das ein Witz? Funktioniert das wirklich?' Das ist sicher einer der Gründe, warum das System bisher so erfolgreich war: Es zieht Aufmerksamkeit auf sich und ich komme viel stärker als zuvor mit den Leuten ins Gespräch.

Also verdienen Sie mehr mit dem neuen System?

Ja, ich habe das Gefühl, dass es in etwa die Summe ersetzt, die ich in den vergangenen Jahren durch den Rückgang an Bargeld verloren habe. Mittlerweile nehme ich ungefähr fünfzehn Prozent meines Straßenmusik-Einkommens über das neue System ein.

Man könnte auch argumentieren, dass so ein elektronisches Kartenlesegerät das romantische Bild vom freiheitsliebenden, ungebundenen Straßenmusiker zerstört.

Ich - und auch viele meiner Kollegen - können gar nicht so viel mit diesem traditionellen Bild anfangen. Denn häufig assoziiert man damit ja auch Negatives, einen harten Überlebenskampf oder gar Obdachlosigkeit. Für mich ist Straßenmusik eher eine Show, die eben auf der Straße stattfindet - eine Art Überraschungskonzert. Mein Selbstverständnis ist: Ich präsentiere etwas und wenn die Passanten mich dabei unterstützen möchten - finanziell, aber auch, indem sie mir in den sozialen Medien folgen - dann sollte das möglich sein. Das neue Bezahlsystem legitimiert für mich also eher meine Arbeit. Straßenmusik wird so zu einer Kunstform erhoben - und zu einem tatsächlichen Beruf, für den es sich lohnt, zu zahlen.

Arme oder Obdachlose - also Menschen, die kein Smartphone und kein Konto besitzen - dürften dagegen ernste Probleme bekommen, wenn sich das bargeldlose Zahlen weiter durchsetzt.

Ja, diese Sorge habe ich auch. In London bezahlt man fast nur noch elektronisch. Menschen, die auf die Großzügigkeit anderer angewiesen sind, drohen noch viel stärker als sowieso schon von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Ich halte es aber nicht für hilfreich, zu versuchen, für diese Menschen nun auch alternative Bezahlsysteme zu entwickeln. Es wäre besser, ihnen so viel staatliche Unterstützung anzubieten, dass sie es nicht mehr nötig haben, zu betteln.

Gibt es eigentlich einen Grund, warum London die erste Stadt ist, die mit solchen Bezahlsystemen für Straßenmusiker experimentiert?

London zieht sehr viele talentierte Musiker an und viele von ihnen probieren sich zunächst auf der Straße aus. Es gibt sogar eine Initiative namens "Busk in London", die öffentliche Orte für Straßenmusiker erschließt und auch eine eigene Website unterhält, auf der sich die Künstler vernetzen. All das wird von der Stadtverwaltung unterstützt.

Sie waren auch schon in Deutschland unterwegs. Werden Straßenmusiker da anders behandelt?

Ich habe erst in ein paar deutschen Städten gespielt, aber es schien mir so, als sei Straßenmusik dort etwas stärker reguliert. Es gibt zwar auch in London bestimmte Regeln, an die man sich halten muss, aber im Vergleich zu Deutschland ist alles etwas weniger strikt. In Köln musste ich mir zum Beispiel alle halbe Stunde einen neuen Ort suchen und in Marburg wurde ich schon nach einer Strophe von einem Polizisten verscheucht. Abgesehen davon, hat es mir als Straßenmusikerin in Deutschland sehr gut gefallen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: