Interview am Morgen:Am schlimmsten sind die blumigen Metaphern

Interview am Morgen: Ausufernd oder blumig - andere Schilderungen von Sex in der Literatur gibt es laut Frank Brinkley kaum. (Symbolbild)

Ausufernd oder blumig - andere Schilderungen von Sex in der Literatur gibt es laut Frank Brinkley kaum. (Symbolbild)

(Foto: Corey Motta/Unsplash)

Jedes Jahr kürt die britische "Literary Review" die schlimmste Sexszene in der Literatur. Mitjuror Frank Brinkley erklärt im Interview am Morgen den häufigsten Fehler von Autoren und worauf es stattdessen ankommt.

Von Carolin Gasteiger

SZ: Herr Brinkley, warum ist es so schwer, über Sex zu schreiben?

Frank Brinkley: Weil es dabei nicht nur um das rein Körperliche oder nur um Emotionen geht, sondern beides zusammenkommt. Und darüber in Kombination zu schreiben, stellt viele vor Herausforderungen. Über Sex zu schreiben, ist komplexer als, sagen wir, über einen Tisch zu schreiben. Bei Letzterem gibt es eine begrenzte Zahl an Schilderungen, außer natürlich, Sie sind über alle Maßen talentiert.

Interview am Morgen

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Was machen Ihrer Erfahrung nach die meisten Autoren falsch?

Die einen schildern Sex zu ausufernd. Er ist dann besonders lang, der beste überhaupt und der Orgasmus lässt schlussendlich auch noch die Erde beben. Das ist übertrieben. Andere wiederum verwenden sehr blumiges Vokabular.

Die Vagina als Schmetterling?

Fast. Tatsächlich war vor einigen Jahren eine Passage nominiert, in der der Autor eine Vagina als Ohr schilderte. Das war schon seltsam. Auch Venetia Welby, die in diesem Jahr nominiert ist, verwendet in ihrem Roman sehr blumige Formulierungen wie "farbenfrohes Seufzen" oder das "engelsgleiche Fleisch". Vielleicht fürchten sie sich davor, pornografisch zu schreiben und flüchten sich so in immer wahnwitzigere Umschreibungen, anstatt den Leser wissen zu lassen, was tatsächlich passiert.

Wonach beurteilen Sie als Jury des "Bad Sex in Fiction Awards" die ausgesuchten Textpassagen?

Am wichtigsten - und zugleich am schwierigsten zu beurteilen - sind Kontext und Ton der Sexszenen. Wenn jemand ein Buch in einem an sich ernsten Duktus verfasst hat, aber an der Stelle, an der es um Sex geht, ins Lustige abdriftet, passt das nicht zusammen. Außer natürlich, die lustige Sprache ist vom Autor so intendiert. Das herauszufinden und zu bewerten, ist eine unserer größten Herausforderungen.

Sehen Sie irgendeine Entwicklung in den vergangenen Jahren? Ist die Schilderung von Sexszenen besser geworden? Oder plumper?

Mitte der Neunziger gab es einen Trend unter britischen Verlegern, den Autoren Sexszenen in ihren Romanen einzureden oder es zumindest zu begrüßen, wenn diese vorhanden waren. Und da wurden ziemlich schlimme Sachen veröffentlicht. Die Reaktion darauf war dann eben, dass der damalige Herausgeber der Literary Review den "Bad Sex in Fiction Award" ins Leben rief. Inzwischen gibt es immer weniger Autoren, die sich schwer damit tun, Sex angemessen zu schildern. Wir sehen das natürlich mit gemischten Gefühlen: Je weniger Leute schlecht über Sex schreiben, desto weniger Berechtigung hat unser Preis.

Unter den sieben Nominierten in diesem Jahr ist genau eine Frau. Auch in früheren Jahren sah die Verteilung so aus. Schreiben Frauen anders über Sex als Männer?

Das weiß ich nicht genau. Aber tatsächlich landen mehr Männer auf unserer Auswahlliste. Ich vermute, das liegt an deren Selbstbewusstsein, das aber trügt. Viele von ihnen denken, ohne ausreichend recherchiert zu haben, über weibliche Geschlechtsteile oder die Gefühle einer Frau beim Orgasmus schreiben zu können. Hätten sie sich vorher mal bei Frauen danach erkundigt, hätten ihnen bestimmt viele versichert, dass ihre Schilderungen falsch sind. Auf einmal ist die Rede von Vaginas, die etwas umklammern (wörtlich: "clenching"), aber Frauen fühlen beim Sex doch mehr, als nur das männliche Glied mit ihrer Vagina zu umschließen. Das klingt jetzt vielleicht etwas zu technisch, aber genau um solche Formulierungen geht es letztendlich.

Was also müssen Autoren berücksichtigen, um Sex gut zu schildern?

Sie sollten den Fokus auf die Frage nicht verlieren, worum es eigentlich geht und was tatsächlich passiert. Dabei sollten sie den Stil ihres Romans beibehalten und nicht auf einmal in blumige Schilderungen abdriften. Sex kann gut für sich selbst stehen, jeder weiß ja schließlich, worum es geht. Die übertriebenen Metaphern und Ausschmückungen können sie sich in den meisten Fällen sparen. Weniger ist mehr. Und, nicht zuletzt, sollten sie andere Autoren lesen, die gut über Sex schreiben können. Mir fallen unter den britischen Autoren spontan etwa Angela Carter ein, David Szalay oder der amerikanisch-britische Schriftsteller Patrick Ness - eben weil sie sich nicht in wilden Übertreibungen verlieren.

Ihren Award vergeben Sie bewusst mit einem Augenzwinkern. Wie reagiert die Außenwelt darauf?

Tatsächlich verstehen manche die Ironie dahinter nicht und werfen uns vor, wir hätten entweder selbst noch nie Sex gehabt oder würden das Schlafzimmer überwachen wollen. Aber uns geht es um Literatur und nicht um Sex. Und wenn wir uns über etwas lustig machen, dann weniger über die Autoren, sondern über andere Literaturauszeichnungen, die sich und das Genre so wahnsinnig wichtig nehmen.

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