Internetvideo der Woche:"Wo sehen Sie sich in 50 Monden?"

Schon Jäger und Sammler wollten Karriere machen. Bewerbungsgespräche haben sich seit der Steinzeit kaum verändert, wie ein Video beweist.

Christian Kortmann

Als wir kürzlich nach der Jagd aus dem verschneiten Wald auf die Felder traten, einen Moment zu spät, um die auffliegenden Fasane noch ins Visier zu nehmen, sagte mein Jugendfreund, er habe gerade sein Profil bei diversen sozialen Netzwerken aktualisiert, weil sein lange Jahre sichergeglaubter Job bei einer Unternehmensberatung wackelig geworden sei. Er habe auch einige alte Kontakte aktiviert, sagte er, ließ den Hund von der Leine, blickte auf, zog den Cordsaum seiner Steppjacke stramm und fügte eine resümierende Bemerkung hinzu: "Mensch, Bewerben hat schon etwas Nuttiges."

Der merkantile Charakter der beruflichen Selbstanpreisung wird demjenigen besonders deutlich, der sich, aus welchem Grund auch immer, lange Zeit nicht anpreisen musste. Seltsam und fremd, mitunter bizarr erscheinen dann die Rituale des schriftlichen und persönlichen Antichambrierens, das Schaulaufen vor einer Jury, welches man bei Kandidaten von TV-Castingshows eher mitleidig betrachtet. Doch auf sich allein gestellt, mitten im Ernst des Lebens, ist für Selbstmitleid kein Platz, da will man nur seine Haut retten.

Freiwillig tut sich das der Mensch nicht an. Er wird vielmehr in Bewerbungssituationen getrieben wie in einen Hohlweg, über dem plötzlich feindselige Kreaturen auftauchen und Steine der Skepsis niederregnen lassen, so dass der Bewerber nur dank eines geschliffenen Plädoyers davonkommt. Abstrahiert steckt im Stellenmarkt der Überlebenskampf, denen sich die Menschen einst täglich im offenen bewaffneten Konflikt aussetzen mussten.

Folgerichtig verortet der Clip "The Origins of Job Interviews" aus der "Armstrong and Miller"-Comedyshow der BBC auch die Herkunft des Bewerbungsgesprächs ganz früh in der Steinzeit. Schon damals wurde manch einem Jäger das Erlegen der immer gleichen Beute innerhalb der immer gleichen Gemarkungen langweilig. Wenn es neben dem Sammeln schon keine grundlegend andersartige Arbeit gab, so doch die Möglichkeit, sich einem größeren Stamm anzuschließen.

Der Bewerber im Clip will Karriere machen, fühlt sich bereit für "something bigger". "Wo sehen Sie sich in 50 Monden?", fragt ihn ein innovativer Personaler, der wohl kürzlich ein Human-Resources-Seminar besuchte. Leider hat der potentielle Arbeitgeber Zugang zum vorzeitlichen Netzwerk Facebook unplugged, wo der ehemalige Chef des Kandidaten kein gutes Zeugnis ablegt.

Auch die unterentwickelte Sprache des Bewerbers, der in Grunzlauten mitteilt, dass er diesen Job unbedingt haben will, ist bis heute vertraut. Wer auf Jobsuche geht, benennt vor allem beim Erstkontakt des Anschreibens nicht offen, ehrlich und differenziert, was ihm auf dem Herzen liegt, sondern bricht die Wünsche auf das Niveau der genreüblichen Floskeln herunter. Woran sie wirklich sind, merken beide Seiten erst nach Wochen, Monaten oder Jahren, so dass die ganze Prozedur einem Spiel mit biographischem Einsatz gleicht. Bewerben ist ein Basar des professionellen Geschachers, auf dem eine ganze Industrie von Trainern und Ratgebern ihr Auskommen findet.

Dass man sich auf dem Weg zum Traumjob manchmal seltsame Rituale gefallen lassen muss, zeigt der Clip "Silly Job Interview" der Komiker von Monty Python. Das Auswahlverfahren läuft derartig irre ab, dass hier ein ganz besonderer Manager gesucht zu werden scheint, jemand, der inmitten des vollendeten Chaos, von einer höheren Eingebung gelenkt, immer weiß, was zu tun ist und Deutsche Bahn, Telekom sowie die Vereinten Nationen zugleich leiten könnte. Ab und zu bricht John Cleese als Personalchef aus dem Nichts in einen energischen Countdown aus, zählt von fünf bis null herunter, und kritzelt beim Ausbleiben der zeitigen Reaktion eilig eine Notiz in seine Unterlagen.

Wie weit solche manchmal eben ein wenig nuttigen Spielchen mitzuspielen sind, muss jeder selbst herausfinden, das ist ein elementarer Faktor für das individuelle Verhältnis zwischen Ich und Welt. Letztlich lehrt das Video, dass man sich auch im Vorstellungsgespräch allzu dumme Fragen nicht gefallen lassen sollte; dass es im Gegenteil sogar das Beste ist, sich auch in scheinbar entscheidenden Ausnahmesituationen so zu verhalten wie im normalen Leben. Wenn der Kopf schon im Bewerbungsgespräch freiwillig in den Schraubstock gelegt wird, kommt er da so leicht nicht wieder raus. Wer will schon täglich Grimassen schneiden, die von einer Jury von Bürokraten mit Pelzmützen beurteilt werden?

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erschien seit Oktober 2006 jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Mit dieser, der 171. Folge, endet sie.

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