Internetvideo der Woche:Wer hat den größten Himmel?

Das irdische Elend besteht darin, dass jeder sich benimmt, als sei er das Zentrum des Universums. Zur Abkühlung eine Reise zu einem Stern, dessen Umrundung 1100 Jahre dauern würde.

C. Kortmann

Auch am Silvesterabend wird wieder jeder von sich selbst berufene Feuerwerker zum Pyrotechnik-Set greifen. Anders als beim konzertierten Großfeuerwerk besteht das Ergebnis zwar nur in kleinen, sich sofort wieder pfeifend verflüchtigenden Farbtupfern am Firmament, doch die Gelegenheit, einmal im Jahr rote und grüne Kringel auf die Himmelstapete mit Sternenhintergrund zu malen, lassen sich überzeugte Leuchtraketenschützen nicht entgehen. Es ist ja auch die einzige Chance, kosmisch nach außen zu wirken.

Den Blick zum Himmel wirft der Mensch sonst aus gutem Grund nur flüchtig. Wer beginnt, darüber nachzudenken, dass der Mond nicht nur Monatsdekoration ist, sondern wie die Erdkugel im Weltraum hängt und hinter jedem Sternpunkt ferne Welten verborgen liegen, der kommt aus dem Nachdenken nicht mehr raus. Und herrje, je länger man hinstarrt, desto mehr Sterne tauchen auch an scheinbar dunklen, leeren Stellen auf. Die eigene Nichtigkeit, die der Mensch hier erfährt, kann auch tröstlich sein, weil er sich selbst und alles Irdische einige Augenblicke lang nicht mehr so wichtig nimmt.

Diese Justierung der Größenverhältnisse gelingt dem Clip "Star Size Comparison" in kürzester Zeit sogar im kleinen Flash-Player-Fenster des YouTube-Videos. Um die "Du bist nicht das Zentrum des Universums!" lautende Botschaft möglichst einschüchternd zu vermitteln, bewegt sich die virtuelle Kamera rhythmisch an Himmelskörpern entlang, die in aufsteigender Größe sortiert sind.

Bekanntlich verhält sich der Durchmesser der Erde zu dem der Sonne ungefähr so wie ein Stecknadelkopf zu einer Orange. Der Clip zeigt, dass für andere Sterne die Sonne wiederum zum Stecknadelkopf wird, beziehungsweise dass es nicht nur stellare Orangen, sondern auch Wassermelonen, Riesenkürbisse und Heißluftballone gibt. Schließlich gelangt der Clip bei Canis Majoris an, dem größten bekannten Stern, für dessen Umrundung ein Passagierflugzeug 1100 Jahre benötigen würde. Diese Sprache sollte auch der vielfliegende Businessheld verstehen, der sich für einen Master of the Universe hält.

Im Video "Journey to the Edge of the Universe" wird die Größe des Universums anhand einer Reise mit Lichtgeschwindigkeit verdeutlicht. Am Ende der streng rationalen Dokumentation wird überraschenderweise ein "Schöpfer" ins Spiel gebracht, der den Kosmos erschaffen haben könnte. Hier wird weniger Propaganda für die Lehre des Intelligent Design gemacht, als überwältigt von der kosmischen Ausdehnung von 50 Milliarden Lichtjahren nach Worten gerungen.

Denn die Schlüsse aus Größenverhältnissen, die menschliches Vorstellungsvermögen übersteigen, sind weniger metaphysisch als pragmatisch-realistisch: So klein wir uns im Kosmos fühlen, so verloren sind wir tatsächlich. Wenn es da draußen außerirdisches Leben geben sollte und wenn diese Lebewesen auf die Idee kämen, nach anderem Leben im Universum zu suchen, wäre es ein großer Zufall, wenn sie uns fänden.

So lange haben wir mit uns selbst genug zu tun. Das terrestrische Elend besteht darin, dass jeder einzelne, um nicht unterzugehen, zu einem Benehmen verdonnert ist, als handele es sich bei ihm persönlich um das Zentrum des Universums. Denn der Verweis auf kosmische Dimensionen hat in Diskussionen und Verhandlungen nur selten Relevanz, mag die Haltung "Macht mal langsam, alles nicht so wichtig, der Mensch ist doch nur ein sekundenbruchteillang aufscheinender Staubbpartikel im Universum!" so wahrhaftig wie sympathisch sein.

Ohne ambitioniertes Sendungsbewusstsein hätte wohl auch niemand das Hubble-Teleskop in den Orbit geschossen, ein machtvolles Instrument, mit dem sich der Mensch wiederum nur seiner Machtlosigkeit versichert. Für Hubbles Ultra-Deep-Field-Aufnahme wurde das Teleskop elf Tage lang auf einen scheinbar leeren Bereich des Weltraums gerichtet: Im schwarzen Nichts erglomm eine kaleidoskopartige Galaxien-Palette.

Diese Aufnahme, so der Erzähler im Clip "Hubble Deep Field: The Most Imp. Image Ever Taken", sei das wichtigste Bild, das die Menschheit jemals gemacht habe, weil es die Ehrfurcht vor der Größe des Kosmos auf einen Blick vermittle. Das Hubble-Teleskop ist das große Auge, mit dem die Menschen noch viel mehr staunen als mit ihren eigenen, sollten sie in der Silvesternacht tief in die Sterne hinter ihren Feuerwerksmalereien blicken.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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