Internetvideo der Woche:Verrückt nach der Zukunft

Fräuleinplunder, Funkenmariechen, fette Beute: Wir haben Videos zusammengetragen, die menschliche Gesellschaften in ferner Zeit zeigen. Dort wird es finster sein, Genossen, ganz finster! Doch getanzt wird immer. Die Clipkritk.

Bernd Graff

Wenn man das Ende der Zivilisation erreicht hat und am Ausgang der uns bekannten Welt angekommen ist, spätestens dann sollte man sich nach einer Ausfahrt umsehen. Das klingt jetzt komisch, weil mit dem Satz zum einen behauptet wird, dass das Ende der uns bekannten Welt eben nicht das Ende der Welt ist. Und zum anderen, weil man das Ende der Welt als Punkt auf einer Strecke mit Kreuzungen und Ausfahrten betrachtet.

Es gibt eine Reihe von visionären Denkern, die dieses Ende der uns bekannten Welt schon gedacht - und noch besser: die es sogar gefilmt haben. Nein, nicht dokumentarisch, sondern eben visionär. Auffällig an deren Szenarien ist zweierlei.

Zum einen: Je älter die Visionen sind, umso euphorischer wird die Zukunft darin noch gezeichnet. Um im Eingangsbild zu bleiben, hier setzt sich die Straße der Zivilisation geradlinig fort. Neuere Zukunftsmutmaßungen ahnen dagegen, dass unsere Zivilisation wohl einen U-Turn Richtung Neandertal und Archaik vollführen wird.

Zum Zweiten fällt auf, dass die postzivilisatorische Menschheit oftmals als tanzende Gemeinschaft gesehen wird. Nach dem Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist also erst mal Party angesagt - mögen die Beteiligten auch nichts mehr von Party wissen.

Denn auch das ist auffällig: Mit großer Selbstverständlichkeit werden in Zukunft Unverständlichkeiten begangen. Und wenn wir als Jetztzeitler mit dem fremden Universum der uns Nachgeborenen konfrontiert werden, müssen wir darauf gefasst sein, dass Aliens uns nicht fremder hingekriegt hätten.

Das beginnt schon mit der ersten fernsehtauglichen Zukunftsverfilmung: der "Raumpatrouille". Hier marschierte Major Cliff Allister McLane, der Kommandant des Schnellen Raumkreuzers Orion, in Seelenruhe an einer Gruppe turtelnder Fernsehballettmenschen vorbei, ohne seinen Dauerflirt mit Tamara Jagellovsk auch nur ansatzweise zu unterbrechen und zu staunen.

Man weiß gar nicht, was man in dieser Sequenz absurder finden soll: die Frisur von Tamara, das "Danke Schätzchen!" des Majors oder diese auf Trockendroge staksenden Tanzfigürchen, die von einem Garderobenständer und einem verliebten Schwan gemeinsam choreographiert worden sind?

All das ist jedoch kaum absurder als der heilige Ernst, mit dem dieser Gesellschaftstanz durchexerziert wird. Und das auch noch unter Wasser. Wir müssen uns den "Patrouillendienst am Rande der Unendlichkeit", wie es im Vorspann der "Raumpatrouille" immere überdramatisch hieß, wohl eher als Raumpflegedienst am Rande unendlicher Grenzwertigkeit vorstellen: Wenn die Zukunft den Dutt von Tamara tragen und von postapokalyptischen Menuett-Schnäblern begleitet werden wird, dann will man richtig froh sein, dass sie nur in einer Schwarzweißausgabe ausgeliefert wird.

Gaaaaanz anders dann dieses kleine Stückchen!

Es stammt aus den frühesten siebziger Jahren, zeigt selbstverständlich Raquel Welch in einer Choreographie, die man böswillig so beschreiben kann: Seitwärts-Step! Tritt den Ball! Streck dich! Zieh dich zusammen! Zeh nach vorn. Wechsel! Jetzt alles wieder zurück! Und immer an die Hüftarbeit denken!

Spannend an diesem Video ist übrigens nicht, dass der linke Tänzer bei Minute 1:44 einen Fehltritt macht. Spannend, also: wirklich spannend!, ist auch nicht Raquels Outfit, das dann ja doch aussieht, als habe man ein Funkenmariechen aus dem Kölner Karneval zum Themenabend: "Die Azteken - gestern, heute, morgen" gebeten.

Interessant daran ist, dass die futuristische Landschaft dieses Skulpturenparks tatsächlich schon gestrig war, als Raquel dort ihren bemerkenswerten Auftritt hinlegte - übrigens für das TV-Spezial "Raquel!" aus dem Jahr 1970.

Diese Stempel aus der Plastikmoderne bewalden den "Paseo de la amistad" oder "Freundschaftsboulevard", den man in Mexico City anlässlich der 68er-Olympiade hat anlegen lassen.

So sehr sich Raquel sitestepmäßig konventionell, wenn auch in maskierter Herrenbegleitung abstrampelt, sie kommt kaum an die naiv-laszive Solo-Performance heran, die das Raumgirl Barbarella, jene Prima Donna unserer Frauen im All, als etwas umständlichen Entkleidungsakt in simulierter Schwerelosigkeit vorträgt.

Bei diesem ersten Astronauten-Strip der Filmgeschichte aus dem Jahr 1968 hatte man sich ja seit je gefragt: Aus was schält sich Jane Fonda da eigentlich heraus - und wozu benötigt man es im Weltall? Und - zweitens - warum wuselt Barbarella da so umständlich liegend auf ihrer Glasplatte herum, warum steht sie nicht einfach auf, wenn sie ihre doch so hakelige Garderobe wechseln möchte? Wir lernen also: Das leben im All könnte einfacher sein, sähe dann aber nicht so gut aus.

Während Barbarella, will man diesem Fräuleinplunder doch noch etwas Positives abgewinnen, wenigstens die sexuelle Revolution ins All tragen konnte, jedenfalls eine frei flottierende Männerphantasie davon, zeigen sich heutige Zukunftstänze und -choreographen eher von der dystopisch-heiteren Seite. Nichts mehr zu verlieren am Ende der Welt, aber wenigstens Spaß dabei. Eine der frischesten dieser Negativ-Utopien stammt von Røyksopp. Dazu die Stimme von Karin Dreijer Andersson, ehemals The Knife, nun bekannter als Fever Ray.

In diesem Video rollt ein seltsames Schlagzeug-Fahrzeug, das von einem noch seltsameren älteren Herrn mit Katasteramt-Brille und Lendenshorts betrieben wird, in den Trailerpark eines postapokalyptischen White Trash.

Diese Übriggebliebenen, immer noch an Leib und Seele zivilisationsgeschädigt - sie sind übergewichtig und putzen sinnlos ihre Autos - finden sich in die Rolle von Jägern und Sammlern versetzt, die wilde Beeren ernten müssen und mit Drumsticks auf Tänzerjagd gehen.

Kommunikation ist Grunzen, der bebrillte Herr gibt den Takt vor. Ihr Sinn ist sinnlos. Røyksopp und Fever Ray leisten demnach Erstaunliches: Das Stück "This Must Be It" ist so eingängig, dass man dazu sogar in die ausgemalte Zukunft hineintanzen möchte - sollte man sie denn erleben.

Denn es ist ja auch denkbar, dass die Gigolos der Zukunft, die Eintänzer unserer Nachfahren, gar nicht mehr aus Fleisch und Blut sein werden, sondern aus Bits und Bytes - wie es etwa die seltsam umgewidmeten Fighterfiguren der Soul-Calibur-Reihe bereits heute eindrucksvoll in einem Machinima-Film belegen.

So lautet die wirklich letzte und ultimativ spannende Frage also: Welche hoffentlich intelligente Lebensform wird nach dem Ende der Welt am Controler hocken? Doch will man das noch wissen?

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