Internetvideo der Woche:Plumpsburger Puppenkiste

Ob ein böses Mädchen Heidi Klum den Stinkefinger zeigt oder Models bei Blitzeis über den Catwalk stolpern: die witzigsten Arten, den Model-Beruf kritisch zu zerlegen.

Christian Kortmann

Wer keine Lust mehr hat, gibt bitte ein Handzeichen: Die "Germany's Next Topmodel"-Anwärterin Tessa Bergmeier wurde aus Heidi Klums Castingshow verwiesen, weil sie der Jury, dezent in ihre Laufsteg-Kür eingebettet, den Mittelfinger entgegenstreckte. Sie war gefilmt und fotografiert worden, obwohl sie weinte, und wehrte sich mit der deutlichen Geste gegen die Verletzung ihrer Intimsphäre.

Zwar hätte auch eine 19-Jährige ahnen können, dass in Heidis Hasenstall keine Schonkost serviert wird, trotzdem war ihr Protest völlig berechtigt. Es war ein schöner Bruch in der faltenfreien Inszenierung, ein Aufscheinen des autonomen Subjekts innerhalb einer Gruppe von Anziehpuppen-Marionetten, die an den Fäden einer vorgegebenen Choreographie auf Stilettos umherstöckeln. Zur Krönung ihres Abgangs machte uns Tessa Bergmeier ein wunderschönes Geschenk, nämlich den Satz: "Ich stehe zu meinem Stinkefinger."

Sonst schweigen Models und die, die es werden wollen, ja meist, was, wie jede Äußerung Claudia Schiffers beweist, nicht falsch sein muss. Fallen sie aus der Rolle, dann durch bunte Eskapaden jenseits des Catwalks oder unfreiwillig, wenn sie nämlich das Gleichgewicht verlieren und bei der Modenschau ins Straucheln geraten. Solche Szenen werden gesammelt, seit es Internetvideos gibt.

Wie zwei Autos mit Sommerreifen bei Blitzeis rutschen die Schauspielerin Carmen Electra und eine Model-Kollegin im Clip "Carmen Electra slips and falls" über den Laufsteg. Das Gehen auf dem Catwalk erscheint hier als Vorstufe zum Eiskunstlauf, wo nach dem verpatzten dreifachen Axel die Musik auch gnadenlos weiterspielt und man sofort von der Blamage auf allen Vieren in den Modus des makellosen Triumphs zurückschnellen muss.

Haute Couture erreicht ihre außerirdische Wirkung dadurch, dass sie, vom Absatz bis in die toupierten Haarspitzen, grazile menschliche Turmbauten errichtet, die wie auf den Kopf gestellte Pyramiden wider Erwarten nicht umkippen. Die am großen schlanken Körper errichtete modische Illusion kommt bei Männern selten ins Wanken, da diese in der Regel festes Schuhwerk mit starker Bodenhaftung tragen dürfen. Modemänner können Quatsch machen, wie im Video "Fashion show accident", in dem ein Tänzer einen Rückwärtssalto versucht, auf dem Rücken landet und ein Loch im Catwalk hinterlässt.

Das ihm folgende Model tut ihrem Berufsbild nichts Gutes und macht einen Fehler aus der berüchtigt-unrühmlichen Kategorie, zum zweiten Mal auf die Harke zu treten: Sie fällt in das für alle sichtbare Loch, weil gut auszusehen für sie wichtiger ist, als gut zu sehen. Immerhin ergeht es ihr besser als der Kollegin, die komplett im Bühnenboden verschwindet.

Wenn weibliche Models von ihrem wackeligen High-Heels-Podest kippen, verwandeln sie sich von Fashionphantasmen in irdische Normalbürgerinnen. Was wie ein Kartenhaus zusammenbricht, ist allerdings keineswegs ein hochmütiges Individuum, sondern die Konstruktion eines Geschlechterbildes, das derart überhöht in der Realität nicht existieren kann. Auch im Clip "model falls and news anchor laugh their asses off" trifft das Lachen nicht nur Miss Missgeschick, sondern auch den surrealen Irrsinn der Haute Couture.

Von Vivienne Westwood mit dem sehr sinnvollen Accessoire einer mit Wasser gefüllten Gießkanne ausgestattet, stürzt ein Model in ihren Gartenarbeits-High-Heels, rappelt sich auf, gerät wieder in Turbulenzen und stürzt erneut.

Nach diesem Doppeldisaster, das wie in der Sportberichterstattung von der Zeitlupe gefeiert wird und bei den Moderatoren einen Lachanfall auslöst, kommt es im Studio ansatzweise zu einer Debatte über Geschlechterrollen: Was wollt ihr denn? Reißt euch zusammen, fordert die Moderatorin ihre Kollegen auf: Probiert ihr doch erst mal, in Stöckelschuhen zu laufen!

Tessa Bergmeier brachte ihren Eigensinn, für die Model-Rolle nicht alle persönlichen Überzeugungen zurückstellen zu wollen, mit einer in diesem Kontext unüblichen Handbewegung zum Ausdruck. Über den punkigen Mittelfinger staunten auch die Jurymitglieder von "Germany's Next Topmodel", die sich ihre jahrzehntelange Branchenerfahrung zugutehalten. "Das ist nicht unbedingt die Art eines Top-Models", flötete Heidi höchstselbst in die Kamera.

Sich auf dem Boden zu wälzen oder wie Rumpelstilzchen die Stöckelschuhe in den Catwalk zu rammen, wäre aber weniger bewusste Selbstdekonstruktion als verzweifelte Unterwerfung vor dem Gesetz. Nur mit einer vertikalen Geste, wie von Tessa ganz richtig erkannt, kann man sich über die Hochmode erheben. Nicht nur in Klums Plumpsburger Puppenkiste wollen wir mehr davon sehen. Hier die Grundregel, Mädchen: Die Mittelfinger müssen, wenn es darauf ankommt, mindestens so high sein wie eure Heels.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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