Internetvideo der Woche:Nur Lex im Kopf

Alle Männer gaffen, alle Türen öffnen sich dank Lexys Zauber-Look von selbst: Ein Video zeigt, wie die Welt durch die Augen eines blonden It-Girls aussieht.

Christian Kortmann

Manch einer mag sich den Kopf darüber zerbrechen, doch die Frage, wie andere uns sehen, bleibt eines der ungelösten Rätsel im Leben. Denn selbst, wenn andere uns sagen, was sie von uns halten, ist das Vermittlermedium stets die Sprache. Wir können weder sicher sein, ob die anderen das, was sie sagen, ehrlich meinen, noch, ob ihre Worte, das, was sie denken, adäquat wiedergeben und von uns richtig verstanden werden. Das klingt kompliziert, und es ist eine Stärke des Mediums Film, dass es diese Außenwirkungs-Neugier nicht langwierig erklären muss, sondern einfach im Bild zeigen kann: in der Point-of-View-Perspektive (POV), in der die Kamera zum Ich-Erzähler wird.

Über die eigene Nase hinweg sieht die Welt ein wenig verzerrt aus, und das ist sie ja auch, wenn sich das Subjekt ein egozentrisches Bild von dieser macht. Im Kino wird die POV-Perspektive deshalb sparsam eingesetzt, es muss schon einen guten Grund geben, wie im Film "Being John Malkovich", in dem Menschen in die körperliche Hülle des Schauspielers John Malkovich katapultiert werden, wenn sie in einen engen Gang im Büro kriechen.

In der kondensierten Form des Internetvideos vermittelt die Ich-Perspektive einen Eindruck davon, wie die Welt aussehen würde, wenn wir sie mit den Augen eines anderen sähen oder konkret: einer anderen, wie im Clip "POV: Really Hot Girl". Willkommen im Körper von Lexy, dem It-Girl, das vom It-Girl-Dasein genervt ist!

So könnte es also sein, wenn man als tief dekolletierte junge Frau durch die Nacht stöckelt. Alle VIP-Bereich-Absperrkordeln und P1-Türen öffnen sich wie von selbst, Lexys Look ist ein Zauberspruch, so dass selbst Ali Baba vor Neid verstummen würde. In Schlangen hat Lexy schon seit Grundschultagen nicht mehr gestanden. Der Preis für die Privilegien besteht in der gesteigerten Aufmerksamkeit, die sie auch von Jungs ertragen muss, die sie überhaupt nicht weiter bringen, wie man aus ihren gedanklichen Kommentaren erfährt.

Der satirische Clip überzieht die Realität nur geringfügig, sein Witz besteht in der Darstellung von Alltäglichem aus nicht alltäglicher Perspektive. So erlebt eben nicht jeder den Moment, in dem er eine Bar betritt, Lexy verändert die Struktur des Raumes, schließlich hat sie den Platz geschaffen, den es im "überfüllten" Laden angeblich nicht mehr gab. Die Gespräche in der Bar brechen ab, die Blickrichtungen der anwesenden Männer parallelisieren sich wie Magnetspäne, wenn der Nordpol zu Gast ist. Die Becircten wollen ihr unbedingt etwas spendieren, seien es Drinks oder gleich eine ganze Insel; die Frauen hingegen blicken nüchtern-aggressiv.

Mit debilen Mienen bestaunen drei Freunde den Neuzugang und verwickeln Lexy in Small Talk. Als sie etwas sagt, dass auch nur annähernd komisch sein könnte, brechen sie in übertriebenes Gelächter aus, als hätte Lexy den besten Witz der Welt gemacht. Die erregte Aufmerksamkeit verfolgt sie bis in die Ruhezone Damentoilette, wo ihr ein Verehrer eine Szene macht. Schön auch, wie der Blick des männlichen Gesprächspartners von der Augenhöhe nach unten gezogen wird, als sei die Gravitation gerade ganz besonders stark.

Die Macher dieses Clips, Regisseur Josh Ruben und sein Autorenteam, haben das Triebleben in der Großstadtwildnis genau beobachtet und umgesetzt. Zunächst bekommt der Zuschauer die Reaktionen auf Lexys Erscheinung serviert, die Hauptdarstellerin sieht er aber erst, als sie im Bad in den Spiegel blickt. Aha, versteht man dann, so sieht also jemand aus, der derartig angestarrt wird.

Doch man kann sich mit Hilfe von Bildern nicht in jeden hineinversetzen. Der Clip "Cat wears spy camera, makes film", in dem die Katze Squeaky mittels einer kleinen Kamera ihren Alltag dokumentiert, demonstriert die Grenzen der filmischen Ich-Perspektive. Da begegnet einem mal eine andere Katze, mal werfen einen riesige Menschen aus der Wohnung, dann wieder rufen sie flehentlich-bestimmt, und man weiß nie genau, was sie gerade von einem wollen (im Idealfall: füttern).

Doch für den menschlichen Betrachter ist die zwischen 0 und 30 Zentimetern vom Erdboden entfernte Region nicht so interessant, als dass sie die Aufmerksamkeit wirklich fesseln könnte. Man ahnt zwar, dass sich in diesem Katzen-Flachuniversum aufregende Abenteuer ereignen, verfügt aber über das falsche Gehirn, um sie zu würdigen. Auch als rettungsloser Schlangensteher ohne Dekolleté und Stöckelschuhe sind einem Lexys Nächte dann doch näher.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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