Internetvideo der Woche:Nachhilfe für Luca Toni

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Sie jonglieren so gut mit dem Ball, dass die besten Fußballspieler der Welt von ihnen lernen: Freestyle-Fußballkünstler in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Einer der schwersten Vorwürfe gegen einen Fußballprofi lautet, er "spiele für die Galerie". Denn mit der Produktion von zweckfreier Fußballkunst ignoriert er die ergebnisorientierte Arbeitsethik, die im Zentrum der Mannschaftssportart Fußball steht und die Oliver Kahn nach seinem Lauf in den Strafraum des FC Getafe mit dem inneren Drang beschrieb, "etwas Produktives tun zu müssen". Die Disziplin Freestyle-Football ist eine Auskoppelung aus der Effizienz-Rasenschlacht auf zwei Tore: Beim Freestyle geht es darum, die Grundbegabung des Ballgefühls zur Perfektion zu treiben, auf dass die Jonglier-Kunststücke sowohl auf wie in der Galerie für Begeisterung sorgen.

Ausgestellt werden die Werke der besten Freestyle-Fußballer als Internetvideos bei YouTube. So wurde der Engländer Billy Wingrove durch seine Werbeclips im Internet bekannter als durch sein eigentliches Produkt, die "Learn Freestyle Football"-DVD: treibende Instrumentalmusik, schwarze Kleidung, silberne Schuhe im Kontrast zu gleich zwei neongelben Bällen und tänzerische Leichtigkeit - man schaut sich das gerne an, macht sich aber seltener die Mühe, diese komplexen Übungen in zahllosen Stunden zu erlernen.

Wingrove verbindet die Ballbeherrschung mit anderen Bewegungsmustern der populären Kultur: Er trifft mit dem Fußball den Basketballkorb und tanzt einen Michael-Jackson-Moonwalk über den Bürgersteig. Dass er seinen Sport in der Stadt oder vorm Londoner Millennium Wheel ausübt, sind vor allem ästhetische Signale, die die Ortsungebundenheit des Spiels beweisen.

Auslöser und Inspirationsquelle für Wingroves Schaffen war angeblich der Werbespot, in dem die brasilianische Fußballnationalmannschaft während des Wartens am Flughafen einen Ballzirkus veranstaltet: Es sind wie so oft mediale Bilder, aus denen neue Bilder entstehen, die via YouTube ins Medium zurückfließen. Doch auch auf dem Platz kommen Wingroves Tricks an. Denn der 25-Jährige arbeitet als erster Freestyler für einen professionellen Fußballklub: Bei Tottenham Hotspur tritt er in Halbzeitpausen auf und bringt als Edeltechniktrainer Robbie Keane schon mal eine neue Finte bei - im Clip deutet Wingrove an, wie Artistik zu zählbaren Ergebnissen führt. Letztlich ist es eine Frage der ominösen "Spielintelligenz", wie sich aus vermeintlich zweckfreien Ornamenten sportlicher Vorteil erzielen lässt.

Der Clip "Brilliant freestyle football compilation" zeigt talentierte Amateure und Halbprofis, die über die Welt verteilt Freestyle-Football vorführen. Ähnlich dem Parkour-Turnen sind die Orte meist städtisch. Manchmal flüchtet sich der Football-Freestyler aber auch in die Garage, den typischen Ort für Schönwetterhobbys an Regentagen. YouTube wird hier zur virtuellen Verlängerung des Bolzplatzes, wo man auch immer staunte, welche Tricks die anderen beherrschten.

So sind die Bewegungsmuster global vereinheitlicht, wie etwa der schnelle Übersteiger in der Luft, der passenderweise "Around the world" genannt wird. Man beherrscht den Ball in jeder Lage: im Stehen, Hocken, Liegen. Ihn völlig ruhig auf dem Kopf oder an anderer Stelle zu fixieren, beweist die Macht über den so flüchtigen und schwierig zu kontrollierenden Gegenstand. Das ist ein ähnlicher Effekt wie bei einer Fermate, der bedeutungsvollen Pause im perfekt dirigierten Orchester. In Partituren wird die Fermate übrigens auch als Kasten mit Punkt, besser: Ball, dargestellt.

Vom hohen Niveau der Ballbehandlung im Netz setzt sich der Spieler Tsatsulow im Clip "the best street soccer freestyler" noch einmal ab: Seine Bewegungen sind noch schneller und irrer. Wenn er den Ball allein durch Bruce-Lee-hafte Körperspannung viele Meter hoch in die Luft schnellen lässt, werden eine Explosivität und eine Raffinesse deutlich, die wohl auch jeden Torwart verwirren würden. Wie zum Beweis lässt Tsatsulow einen scharf angeschnittenen Schuss ins Toreck segeln.

Jenseits von Waldhof Mannheim

Seine Gliedmaßen veranstalten einen Karate-Hagel, so dass man nicht weiß, mit welchem Körperteil er den Ball in der Luft gehalten hat. Tsatsulow nutzt die Stadt nicht nur als Kulisse, sondern lässt den Ball bewusst auf den Aspahltuntergrund springen, spielt über Bande und entwickelt ganz neue Bewegungen: Signore Toni, haben Sie schon mal mit einem Hinterkopfballaufsetzer getroffen?

Die Wurzeln des Freestyle-Footballs liegen ebenso im Bolzplatz-typischen "Hochhalten" wie im alten japanischen Spiel Kemari, bei dem der Ball den Boden nicht berühren durfte. "Frei" ist dieser Galerie-Fußball insofern im Vergleich zum Berufsfußball der Ligen, weil er zeigt, welche technischen Möglichkeiten die Spieler hätten, wenn es keine Gegner und keinen Kampf gäbe. Die Straßen, auf, die Brücken, unter, und die Parks, in denen sich Tsatsulow herumtreibt, sind also keine finsteren Ecken: Für seine Kunst bieten sie eine größere Freiheit, als ihm der grüne Rasen mit seinen Kahns, Manndecker-Gestalten und Abwehrriegeln jemals gewährte.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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