Internetvideo der Woche:Marx würde Manta fahren

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Was Opel für die Gesellschaft bedeutete, erkennt man am besten in den Werbespots aus der Zeit, als Manta, Rekord und Kadett noch geholfen haben.

Christian Kortmann

Armer Egon: Da rast er mit quietschenden Reifen durch die Kurven und lebt alleine seine automobilen Gelüste aus. Das herrliche Fahrgefühl lässt sich sogar auf größere soziale Einheiten übertragen, auf Egon und seine Freundin Hannelore nämlich, für die schon ein Blumenstrauß bereitliegt. Doch dann, "armer Egon", muss er Hannelores ganze Familie samt schwerem Gepäck mitnehmen. Das hatte er sich anders vorgestellt.

Aber Egon fährt eben einen Opel Manta, einen Sportwagen, der Egoismus nur begrenzt zulässt, um im entscheidenden Moment gesellschaftlich integrativ zu wirken und den Schwerenöter zum Schwiegersohn zurückzustufen: Egon ist zwar zwischenzeitlich mal der Schnellste, aber nur der Schnellste unter Gleichen. Das ist die soziale Dimension der im Werbespot aus dem Jahr 1970 gepriesenen "neuen Manta-Formel von Opel".

Es wäre zu einfach, aufgrund Opels heutiger wirtschaftlicher Misere die einst großsprecherischen Werbeclips der Lächerlichkeit preiszugeben. Denn Werbung muss übertreiben und zuspitzen, um im 45-Sekunden-Clip das Image eines Automobils zu prägen. Und so zeigen die Werbebotschaften von einst, wie Opel sich selbst darstellte und welche Rolle die Automobile in der Gesellschaft spielten. Man erkennt, warum Opels Niedergang auch die kollektive Befindlichkeit trifft: Die Idee des automobilen Egalitarismus steht auf dem Spiel.

Selbstverschuldet auf dem Dach gelandet

Die fünf Spots im Video "Opel Manta Werbeclips" zeichnen das Profil eines Autos, mit dem sich innerhalb einer prosperierenden Wirtschaft die Wünsche nach Fortschritt und individualistischer Selbstverwirklichung verbanden. "Außergewöhnlich in der Mittelklasse", wie es der zweite Spot formuliert: Dies ist nicht nur auf die Fahreigenschaften des Mantas gemünzt, sondern zugleich Ausdruck einer Normierung, der zum Wohle des gesellschaftlichen Friedens in der sozialen Marktwirtschaft niemand allzu leicht entkommt. Zwar gilt diese Verankerung in der gesellschaftlichen Mitte auch für VW, doch Opel verfügte über eine Modellpalette, mit der die Fahrer klar abgegrenzte Rollen verkörperten, ohne Neid auszulösen.

Manta zu fahren, war ein Spiel: In den achtziger Jahren rollt man posierend im Schritttempo durch die Stadt, schließlich ist der Manta "aufregend in seiner Erscheinung" und dabei "auffallend günstig im Preis". In einer Marlboro-Bonanza-Variante der Werbung wurde der Wagen in eine Italo-Western-Szenerie verfrachtet, inklusive eines Geparden, der so wenig in den amerikanischen Westen gehört wie ein Mantarochen in die Wüste - insofern ist der Stilmix schon wieder stimmig. "Kraftvoll, rassig, schön - wie ein Opel Manta", hieß es damals, jetzt wird Opel zum Opfer des Raubtierkapitalismus.

An mögliche Nachteile des Wirtschaftssystems verschwendete man im Jahr 1960 keinen Gedanken: Der Clip "Opel Rekord P2 Werbung Ehepaar" zeigt, wie Opel den Mobilitäts-Traum im Wirtschaftswunderland realisierte. "Du bist das Oberhaupt", sagt die Frau zum Mann, als das kantige Schuhschachtel-Mobil vor ihnen steht.

Alles hat seine Ordnung, dank des Kleiderhakens im Auto stellt sich die gewohnt gepflegte Häuslichkeit her. Wie Dorothy im Land hinter dem Regenbogen staunt das Paar über die kommoden Features ihres Mobils: Scheibenwischer (mit zwei Geschwindigkeitsstufen!), Zigarrenanzünder, abschließbares Handschuhfach. Sauber, gemütlich und sicher rollt hier die junge Bundesrepublik auf vier Rädern durch die Welt und gleicht deren "schlechte Wegstrecken" durch Stoßdämpfungs-Know-how aus.

Je weniger sozial die Marktwirtschaft ist, desto wichtiger werden automobile Statussymbole. So hatte der Spott der Mantawitze, die nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in den neunziger Jahren aufblühten, auch eine kapitalistisch-chauvinistische Note, weil damit die Ambitionen des Mantafahrers, gesellschaftlich abzuheben, drastisch zurück auf den Boden geholt wurden: Schämt euch, wurde ihnen vermittelt, dass ihr keinen Porsche fahrt!

Das stetige Bemühen, die Autos in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren, zeitigte mitunter seltsame Ergebnisse: 1976 warb Opel mit den berüchtigten Worten "Jedem den Seinen" für den Kadett. Anfang 2009 warben Tchibo und Esso mit dem gleichen Spruch, zogen die Kampagne, die man als Anspielung auf die von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Buchenwald installierten Worte "Jedem das Seine" verstehen kann, aber nach Protesten zurück.

In den späten Siebzigern beschwerte sich niemand, zumindest gibt es in den Archiven keinen Hinweis darauf. Aus heutiger Sicht wirkt die Opel-Werbung zwar unsensibel, aber von keinerlei bösen Absichten geleitet: Man hat es sich, wie andere Firmen, die mit dem antiken Suum-cuique-Spruch und seinen Abwandlungen warben, bloß zu einfach gemacht, als man einen Slogan für das perfekte Auto für jedermann suchte.

Im Clip "Opel Kadett C Werbung - Sonderschau" wählte man dann eine Modenschau, um die Eleganz, Variabiliät und ökonomische Erreichbarkeit für jedermann vorzuführen. Luxus zum günstigen Preis, ist hier weder Widerspruch noch Lockangebot, sondern ein gesellschaftliches Versprechen.

PS: Selbstverschuldet auf dem Dach gelandet, aber vom Kollektiv wieder in die Spur gestellt - folgender Clip könnte zum Sinnbild für die Opel-Krise werden:

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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