Internetvideo der Woche:Geschnitten oder am Stück?

David Beckham wurde enthauptet - zumindest als Werbefigur. In London geht ein Kopfjäger um, und Stars wie Amy Winehouse merken, dass dieser Headhunter es wirklich ernst meint.

Christian Kortmann

Eine neue Gefahr schleicht durch Londons neblige Nächte. The Decapitator, der Enthaupter, köpft Stars und Werbetreibende - oder vielmehr das, was von ihnen in der Öffentlichkeit sichtbar ist: ihre Fotos auf Plakaten und in Zeitungen. Doch für Prominente ist das allemal Grund genug für panic in the streets of London.

Internetvideo der Woche: Der Splasher, ein Verwandter des Decapitators, wütet in New York: Er übergießt Graffiti mit Farbe. Gesehen auf  new-art.blogspot.com.

Der Splasher, ein Verwandter des Decapitators, wütet in New York: Er übergießt Graffiti mit Farbe. Gesehen auf new-art.blogspot.com.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Mit lakonischem Schnitt, der an Terry Gilliams blutige Zeichentrick-Intermezzi in den "Monty Python"-Filmen erinnert, säbelt der Decapitator den Selbstdarstellern die Köpfe ab: Ob Kämpfer auf Box-, Amy Winehouse auf Werbe-, Schauspieler auf Filmplakaten, Animationsfilmbienen oder unschuldige Hühner, die gezwungen wurden, für eine Autoversicherung zu werben - alle stehen sie plötzlich kopflos in einer Blutfontäne da. Aus dem Hals kuckt immer ein unnaturalistisches Stück Knochen hervor, als sei der Oberkörper ein Eis am Stiel. Der burleske Schockeffekt ist gewollt, verweist er doch auf Jack the Ripper und Londons schaurig-mythische Verbrechenstradition.

Mittels Handarbeit greift der Decapitator in die industriell reproduzierten Massenartikel ein. Damit erinnert er an die Künstler Banksy, der manipulierte CD-Cover von Paris Hilton im Plattenladen platzierte, und Ron English, der Werbetafeln mit seinen Werken übermalt, sowie an das Splasher-Phänomen in New York, wo Graffiti mit Farbbeuteln überschüttet werden. Zusammenfassen lassen sich solche invasiven Kunststrategien, die das Entfernen oder Ironisieren von Marken im von visueller Marktschreierei überlasteten Raum zum Ziel haben, unter dem Begriff De-Branding.

Das De-Branding entstammt dem Mobilfunkwesen, wo Geräte oft an Hersteller gebunden sind, was ihre Nutzung einschränkt. Deshalb muss etwa ein iPhone, dass mit einem anderen Netz als T-Mobile benutzt werden soll, gedebrandet, also entmarktet werden.

So untrennbar wie Netz und Hardware sind die Versatzstücke in den Images öffentlicher Figuren miteinander verbunden und werden durch stete Reproduktion immer wieder vor aller Augen bestätigt: David Beckhams Gesicht repräsentiert nicht nur ein Individuum, sondern den metrosexuellen Männerkörper schlechthin.

Es fleht geradezu nach dem gründlichen Debranding, das der Decapitator im Clip "Decapitator: londonpaper hijack @ old street tube 30/01/2008" dokumentiert hat: Er veränderte eine David-Beckham-Mobilfunkwerbung in einem Teil der Auflage der Gratiszeitung thelondonpaper, intervenierte also dort, wo er mit kleinen handwerklichen Schritten eine große öffentliche Wirkung erzielt.

Der die Geschehnisse auf der Zeitlinie raffende Clip demonstriert, dass ein Teil der Kunst des Decapitators in der meisterlichen Logistik besteht: Die Entführung von thelondonpaper ist ein ambitionierter Wettlauf gegen die Höchstgeschwindigkeit in der lückenlosen Lieferkette einer Tageszeitung, die auf den frühmorgendlichen Erscheinungstermin hin produziert wird.

Werwolf des Schönen, Guten, Wahren

Um 3.50 Uhr liegt die Zeitung in den Ständern. Nun gibt es eigentlich kein Zeitfenster mehr, um in das Produkt einzugreifen, bevor es zum Leser kommt, und The Decapitator findet es doch. Um 4.15 Uhr kidnappt er die Zeitungsstapel, um die Mobilfunkwerbung mit David Beckham, die die gesamte Rückseite füllt, einzuscannen, zu verändern, seine Variante auszudrucken und die Zeitung damit zu überkleben.

In weniger als zwei Stunden hat er seine Mission erfolgreich beendet und befüllt die Zeitungsständer an der U-Bahn-Station Old Street mit den von ihm schlusskorrigierten Exemplaren. Pendler werden zur Gratiszeitung greifen, oder sie wird ihnen direkt in die Hand gedrückt: "Cut through the noise", lautet Beckhams Werbeslogan. Als folgte er diesem Motto, hat der Decapitator die Kommunikationsleitung gedebrandet und den aufdringlichen Bilderstrom für einige Momente abgestellt.

Damit erweist sich der Decapitator als Beherrscher der zeitgenössischen Informationsproduktion: Er verwandelt kommerzielles Kunsthandwerk durch seinen Eingriff in Kunst und zeigt, wie sehr die Gesellschaft von Images besessen ist und mit Gesichtern bestimmte Erwartungen verknüpft. Der Decapitator selbst ist maskiert und bleibt anonym. Denn die Anonymität ist wie beim Graffiti Grundlage seines Arbeitens, da diese Kunstform von manchem als Sachbeschädigung verstanden wird.

Anders als die New Yorker Splasher, die Werke anderer Straßenkünstler verändern, nimmt sich der Decapitator die kulturindustrielle Bilderproduktion vor. Wie ein Werwolf des Schönen, Guten, Wahren zieht er durch die Nacht, und man hörte das Triumphgeheul auch ohne "Carmina Burana"-Soundtrack aus seinen Bildern heraus.

Den moralischen Zeigefinger seines bilderstürmerischen Gestus verzeiht man ihm wegen des Witzes, den seine Grand-Guignol-Leichen in diesen Szenen entwickeln, in denen sie doch eigentlich Vitalität und kommunikative Freude vermitteln sollen: Beckham ohne Kopf, was für ein gelungenes Piktogramm für "endlich Ruhe".

Das "Leben der Anderen" kommt nach Salzburg: Am heutigen Donnerstag, dem 28. Februar 2008, stellen Matthias Günther (Münchner Kammerspiele) und Christian Kortmann um 20 Uhr in der ARGEkultur Salzburg die besten Internetvideos vor und diskutieren über aktuelle Netzphänomene.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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