Internetvideo der Woche:Einen an die Waffel

Es gibt Autofahrer, die stundenlang vergeblich versuchen, einzuparken, und solche, die jeden Zentimeter nutzen. Extrem schnelles Einparken in kleinste Lücken in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Vor allem bei kurzen Autofahrten in der Stadt nimmt der eigentliche Transfer oft weniger Zeit in Anspruch als die Suche eines Parkplatzes samt Einparken. Das muss nicht sein: Wenn man schon auf Bus, Bahn und Fahrrad verzichtet, sollte man die Vorteile des Automobils optimal ausnutzen. Dafür braucht man vielleicht ein wenig Übung, aber die Technik, die man dabei erlernt, ist es wert. Denn sie löst die beiden schwerwiegendsten Einparkprobleme - dass Parklücken oft zu klein sind und auch bei größeren Lücken umständlich rückwärts hineinrangiert werden muss - besser und eleganter als jede elektronische Einparkhilfe.

Wir haben uns an dieser Stelle bereits der Frau gewidmet, die Mut zur Lücke bewies und einen Einparkvorgang nach zähen vergeblichen Minuten abbrach, um einen brachliegenden Volksfestplatz oder ähnliche Weiten aufzusuchen. Nun kommen wir zu denen, die die Enge der Lücke zum Sport machen und besonders schnell in sie hineinflutschen. Diese Alternative zum Rückwärtsrangieren mit Schulterblick wird im Clip "Sprintcuts: Turbo Parking" genau erklärt.

Alles ganz einfach: Man nimmt Anlauf, reißt das Lenkrad herum, zieht die Bremse und schlittert präzise in die Lücke, so dass der Wagen knapp vor der Bordsteinkante zum Stehen kommt. Dann überprüft man den Sitz der Frisur im Rückspiegel und steigt gelassen aus. Man hat ja keine Eile, denn schließlich, so verspricht der Clip, spart man durch das Turboeinparken eine Woche seiner Lebenszeit für andere Dinge auf.

In der Demonstrationsszenerie des Videos hat man einen zerbrechlichen Eis-Stand mit Sonnenschirm am Rand der Lücke platziert. So wird gezeigt, dass selbst zartesten Waffeln durch die sportlich-dynamische Einparktechnik kein Schaden droht. Der Eisverkäufer und sein Kunde flüchten zwar, als sie das Quietschen der Reifen hören und das Auto auf sie zuschleudert, doch beim nächsten Mal werden sie wohl seelenruhig stehen bleiben, weil sie jetzt vom Können des Fahrers überzeugt sind. Stiege das kollektive Fahrkönnen dergestalt an, würden in der Zukunft Passanten in der City flanieren, während um sie herum Elektro- und Solarmobile turboeinparkend in die Lücken sliden.

Nun ist die Lücke zwischen Eisverkäufer und anderem Auto noch relativ komfortabel. Doch auf den Ehrgeiz der Guinness-Buch-und-"Wetten, dass..?"-Fraktion ist Verlass: Kürzlich wurde in China ein neuer Weltrekord aufgestellt und ein Auto in eine Parkbucht bugsiert, die nur 32 Zentimeter länger ist als das Auto selbst.

Im Clip "Tightest Parallel Parking" wird dieses Manöver in zahlreichen Wiederholungen gefeiert. Immer schneller aufeinander folgend kommt der Kleinstwagen angeflitzt wie ein ferngelenkter Curling-Stein. Wenn die Reifen nicht per se dieses Geräusch machen würden, müsste man das Reifenquietschen erfinden. Denn im Gegensatz zum Halbstarken-Start an der Kleinstadt-Ampel sind quietschende Reifen in diesem Clip ein perfekter Tusch für fahrerisches Können.

Rekordjäger-Team und Rekordjagd-Publikum interessieren sich weniger für den Fahrer als für die Tatsache, dass das Auto im Idealmaß eingeparkt ist, als sei dies Ausdruck metaphysischer Perfektion. Die Regie kann gar nicht genug von den Bildern bekommen, in denen der Wagen in die Lücke getackert wird wie der Zimmermannsnagel in den Dachbalken. Beides hat etwas temporär Endgültiges. Denn so schön das Einparken auch ist, diese philosophische Frage muss erlaubt sein: Wie parkt man aus einer 32-Zentimeter-Abstand-Lücke wieder aus? Denn "aus eigener Kraft", würde ein Fußballspieler sagen, wenn es sein Wagen wäre, "können wir das nicht mehr schaffen".

Da hätte er ganz recht, und es dauert ein wenig länger als in die Lücke reinzukommen. Der Clip "How to tow a car from a tight parallel parking" liefert einen schönen Beleg für menschlichen Erfindergeist und zeigt, wie eng eingeparkte oder blockierte Autos mit mechanischer Hilfe ausgeparkt werden.

Ganz ruhig entflechtet der Abschleppwagen das Auto aus dem Parkgestrüpp und erinnert dabei an einen Spieler, der einen Holzstein aus einem Jenga-Turm zieht, mit dem Ziel, den Turm bloß nicht einstürzen zu lassen. Die tiefe Erzählerstimme wirkt mit der Hintergrundmusik wie Spoken-Word-Liedgesang. Mit dieser kontemplativen Vorführung von Ingenieurkunst ist der Clip auch ästhetisch ein Gegenpol zu den aufregenden Turboeinpark-Videos.

Sie illustrieren vielmehr die Vorstufe zur Kontemplation, den Moment, in dem man noch einmal maximal beschleunigt, bevor man zum Erliegen kommt: rasenden Stillstand. So ist das Turbo-Parking ein Symbol für die Zweifel an den Segnungen des automobilen Zeitalters: Das Auto wird noch einmal mit sportlichem Elan und Tempo bewegt, für das man es ein Jahrhundert lang feierte, aber es wird mit vollem Schwung abgestellt.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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