Internetvideo der Woche:Die Platz-Anweiserin

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Diese Frau haucht einem ganzen Universum Leben ein: die besten Kaugummiblasen und ein ganz großer Knaller in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Es ist ein Signalballon des so stillen wie kunstvollen Protests, der jederzeit lautstark eskalieren könnte: In Gesellschaft, etwa in der letzten Reihe einer Schulklasse, signalisiert eine prall mit Luft gefüllte Kaugummiblase vor dem Mund, dass der Kaugummikauer gerade keine Lust zum Reden hat, weil er mit sich selbst beschäftigt ist - und das nicht zum ersten Mal, denn sonst gelängen ihm keine prächtigen Blasen, sondern nur golfballgroße Knallballons.

Erst das Ende der Performance entscheidet darüber, ob hier jemand wirklich konstruktiv oder doch nur destruktiv tätig war: Wer die Blase am Ende platzen lässt, macht es den Interpreten leicht, dies als bloßen Akt der Störung auszulegen, wie eine aufgeblasene Brötchentüte, die man zwischen den Händen zerbersten lässt. Faltet man die transparente Membran der Blase, sobald sie kollabiert ist, jedoch elegant mit der Zunge zurück in den Mund, ähnlich einem Heißluftballon, der nach der Landung kompakt zusammengelegt wird, demonstriert man rückwirkend die Durchdachtheit der Aktion. So macht es auch die Kaugummiblasenmeisterin im Clip "Girl blowing a bubble".

Wir haben es mit einer regelrechten Weltenbauerin zu tun, die vier Sphären ineinander entstehen lässt: Die äußere, größte Blase ist ein Kosmos, der drei pulsierenden Planeten Raum schenkt. Wie eine Sonne spiegelt sich die Lichtquelle im Zentrum der Galaxie. Da, wo ein Kaugummianfänger alles erreicht hätte, eine perfekte runde, durchscheinende Blase, beginnt für die Frau auf der Couch die Herausforderung: Sie presst einen weiteren Kaugummiwulst zwischen den Lippen hervor und formt eine zweite Blase in der ersten.

Dass ihr noch eine dritte Blase gelingt, die sich in der zweiten entfaltet, glaubt der Zuschauer zunächst nicht, da sie wie ein Schemen hinter den zwei durchsichtigen Wänden heranwächst. Spätestens der Fingerzeig der Artistin, nun drei Blasen kreiert zu haben, würde Szenenapplaus auslösen, führte sie ihr Kunststück im Zirkus und nicht im Internet vor. Kurz bleibt sogar die Struktur der vierten Blase intakt, ehe die Planeten implodieren, was an einen Spezialeffekt aus einem Science-Fiction-Film erinnert. Die Schöpferin wird zum weltenverschlingenden Leviathan.

Und all das gelingt der Frau beim Sitzen auf der Couch. In einer Position, mit der man Passivität assoziiert, produziert sie etwas Schönes und braucht dazu noch nicht einmal die Hände wie ein anderer großer Couchkünstler im Netz, der Quietschmusiker Manualist: So wie Kaugummiblasen eine Begleiterscheinung der amerikanischen Popkultur sind, sind sie vielleicht auch die beiläufigste Form des Kunsthandwerks.

Wie sich ein und dieselbe Tätigkeit verändert, wenn sie in einem anderen Rahmen ausgeführt wird, zeigt der Clip "World Record Bubble Blower". Die Frau, die sich in einer Fernsehshow auf Rekordjagd nach der größtmöglichen Kaugummiblase begibt, nimmt die Hände zur Hilfe, weil das Ungetüm in sich nicht stabil genug ist.

Sie sitzt nicht entspannt zu Hause und produziert zweckfreie Kaugummikunst, sondern will vor Publikum den Weltrekord brechen. Doch die Attitüde und die Mittel - man achte nur auf das pinke unförmige Blasenmessgerät - sind zu gewollt und deshalb nicht angemessen. Eine Kaugummiblase muss lässig sein, alles andere hat keinen Wert: "Mit Händen gildet nicht", hätte man früher auf dem Schulhof gesagt.

All der Ehrgeiz bei einer Handlung, die doch Dolce-far-niente ausdrückt, verkehrt die Situation ins Monströse. So hat der Moderator ganz recht, wenn er sich bei dem Schauspiel an den Horrorfilm "Alien" erinnert fühlt, in dem eine außerirdische Kreatur aus einem menschlichen Körper hervorbricht. Besonders appetitlich wird's am Ende, wenn sich die Rekordjägerin die geplatzte Blase einverleibt. Die düstere Begleitmusik gibt der Sache den Rest.

Seine Wettbewerbsenergie und die pathetische Begleitmusik sollte man sich lieber für Herkules-Aufgaben aufsparen, wie jene, die im Video "Woman Blows Up Hot Water Bottle" dokumentiert wird: Eine Frau will als erste Vertreterin ihres Geschlechts eine Wärmflasche allein Kraft ihrer Lungen zum Platzen bringen. Dabei erwartet nun niemand Lässigkeit, da darf man sich ruhig anstrengen.

Wärmflaschen beiläufig im Alltag aufzublasen, das wäre arg sonderbar, allein schon der Skibrillen wegen, die die Athletin und ihr Assistent tragen. Wenn sie dennoch bald daheim auf der Couch nebenbei Wärmflaschen zerbersten lässt, so wie andere Kaugummiblasen, sollte sie uns das bitteschön via YouTube wissen lassen.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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