Internetvideo der Woche:Der zuckersüße Killer

Vom Schlangengift gelähmt liegt der Honigdachs auf dem Rücken ... Dann zeigt seine furiose Fressattacke, warum ihn sogar Löwen fürchten: das mutigste Tier der Welt in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Einen Trost bei alltäglichen Sorgen oder existenziellen Ängsten stellt die Anwesenheit eines Tieres dar. Furcht ist ja meist aus dem eigenen Nachdenken geboren. Als Heilmittel wirkt die nicht grüblerische, ruhige vegetative Präsenz eines Lebewesens und das Streicheln seines warmen weichen Fells nahezu magisch, nicht nur bei Therapiehunden, sondern auch in weniger pathologischen Fällen. Ein Tier beweist, dass es noch eine andere, nicht menschliche Daseinsform gibt; dass, wenn alle Stricke reißen, zumindest diese harmonische Zweisamkeit des "Just be" ungefährdet ist.

Dabei ist es nicht so, dass Tiere keine Angst hätten, ganz im Gegenteil: Tierische und menschliche Intelligenz haben sich unter dem Druck existenzieller Bedrohungen und deren Vermeidung (Jagen, Sammeln, Schulabschluss) entwickelt: Die Angst schärft den Blick auf die Welt. So kann auch ein großer starker Hund ein Angsthase sein, der bei einem Händeklatschen verstört zusammenzuckt. Ein Tier gibt es jedoch, dass es aufgrund seiner Furchtlosigkeit zur Berühmtheit gebracht hat: der in Afrika und Asien ansässige Honigdachs (Mellivora capensis), englisch: Honey Badger.

Der Clip "MUST WATCH: Honey Badger-The Most Fearless Animal on Earth" zeigt einen Tag im angstfreien Leben des Honigdachses. Von Anfang an erkennen wir, dass es, sollten wir uns den Honigdachs zum Vorbild nehmen, nur noch eine Richtung in unserem Leben geben darf: voran! Wunderbar fängt die Kamera einen repräsentativen Vogel ein, der den gewohnten Respekt erwartet, nun aber zurückspringen muss wie ein Fußgänger am Zebrastreifen, als der schwarzweißlackierte Honigdachs-Panzer vorbeibrettert.

Sein niedriger Schwerpunkt verleiht dem Honigdachs eine stabile Straßenlage auf jedem Untergrund. Rastlos angetrieben, schwebt er mit seinem federnden Gang über den Gefahren der Ebene. Bis zu 40 Kilometer legt er pro Tag zurück und verspeist Insekten, Vögel, Nager, Schlangen, die er bis in Baumkronen verfolgt, sowie Bienenstöcke, sein wächsernes Leibgericht. Zwischendurch buddelt er mit Riesenkrallen bis zu 50 tiefe Löcher; ein flüchtendes Kaninchen lernt seine Sprinterqualitäten kennen. Sogar kleine Krokodile sind nicht sicher.

Als wahrer Star lebt der Honigdachs zurückgezogen und wird bei seinen Beutezügen von Schakalen und Raubvögeln umschwärmt, die wissen, dass er überall mächtig viel Staub und Fauna aufwirbelt. Das gefällt dem Honigdachs nicht, er zieht drohend die Lefzen hoch, aber was soll er machen? Es ist der Preis des Ruhms.

Derart kühn ist der Honigdachs, dass er einem tödlichen Gegner die Beute raubt. Mitten in der Nacht stibitzt er ein Nagetier aus dem Maul einer giftigen Puffotter. Dann nimmt er sich die Schlange selbst vor und erlegt sie, doch sie hat ihn erwischt: Ihr Gift lähmt den Honigdachs und wirft ihn auf den Rücken. Schon denkt man, das sei das Ende des furchtlosesten Tieres des Internets, doch da wacht er auf und stellt seine Nehmerqualitäten unter Beweis: Ein kleiner Todesschlaf bringt ihn nicht um, ist sogar eingeplant - der Honigdachs frisst die Schlange auf wie ein Stück kalte Pizza nach dem Drogentrip. Und am Morgen geht die Jagd von vorne los.

Im Clip "HONEY GUIDE BIRDS" bringt sich ein junger Honigdachs das Überleben in der Wildnis selbst bei. Schließlich nimmt ihn ein Honiganzeiger-Vogel (Indicatoridae) unter seine Fittiche und zeigt ihm den Weg zum Bienenstock. Ob diese Symbiose (die zwischen Vogel und Mensch belegt ist) tatsächlich existiert, ist umstritten. Jedoch zeigt der Clip, was den Honigdachs nicht nur in der Tierwelt, sondern auch bei YouTube zum Mythos macht: sein Verhalten wider die im Tierreich geltende Hierarchie von Größe und Stärke.

Keine Zeit für Zweifel

Der Honigdachs will sich nicht via Ochsentour an die Spitze arbeiten. Er nimmt es von Anfang an mit den Hyänen und anderen Mächtigen auf, zeigt ihnen durch seinen puren Willen und sein Geschick, wer der Stärkere ist. Den Respekt der Raubtiere (man sagt, selbst Löwen fürchteten ihn) hat der Honigdachs durch seine Taktik erlangt, die Geschlechtsteile von Angreifern zu attackieren. Dies ist zwar nicht dokumentiert, trägt aber zum unerschrockenen Ruf bei. Wenn es ums Überleben geht, darf man keine Angst haben, den Fairplaypokal nicht zu gewinnen.

Sind es wirklich Mut und Furchtlosigkeit, die den Honigdachs leiten? Wägt er Risiken ab und entscheidet dann: "Ja, ich greife an."? So bestimmt geht er seinen Weg, als sei ihm die Angriffslust in sein genetisches Programm eingeschrieben. Für Selbstzweifel ist keine Zeit, hier versagt er als Ratgeber für menschliche Lebensführung. Die Unnachgiebigkeit nach und Unbeeindruckbarkeit durch Niederlagen indes ist eindrucksvoll. Wer die schmerzhaften Nasenstiche und den brausenden Stress beim Ausrauben von Bienenstöcken gewöhnt ist, verliert die Angst vor anderen Dingen.

Mund abputzen, weitermachen: Könnte der Honigdachs reden, wäre er ein sehr meinungsfreudiger Video-Blogger, ein Killer mit zuckersüßem Künstlernamen.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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