Internet:Die Arbeit der Zeit

Eine neue Software macht's möglich: Alle Bilder, die im Netz zu ein und demselben Motiv existieren, können ab sofort zu Zeitraffer-Videos montiert werden. Das Programm arbeitet mit den GPS-Daten, die jedes digitale Bild beinhaltet.

Von Johannes Boie

Das sind wirklich ganz tolle Fotos, die die Freunde da wieder aus ihren Urlauben in Japan, China und Thailand mitgebracht haben, gigabyteweise, hochauflösend, aber will man sie mehr als einmal anschauen? Falls überhaupt?

Zum Glück gibt es noch andere Möglichkeiten, die Bilderberge im Netz sinnvoll zu verwenden. Forscher der Universität von Washington in Seattle haben zusammen mit Google eine neue Software geschrieben, die die Millionen im Netz verfügbaren Bilder durchsucht, darunter ganze Archive privater Urlaubsaufnahmen. Die Software verwendet dabei jeweils nur Bilder, die ein bestimmtes Objekt zeigen, das von Interesse ist. Etwa die Skyline von Manhattan. Tag für Tag fotografieren Touristen und New Yorker die Stadt und laden ihre Aufnahmen ins Netz hoch. Die Software sortiert in einem zweiten Schritt alle gefundenen Aufnahmen, die eine ähnliche Perspektive haben, hintereinander, sodass eine Art von Slow-Motion-Abfolge Manhattans im Lauf der Jahre entsteht. Dabei korrigiert die Software automatisch unterschiedliche Winkel und entfernt, was der eigentliche Grund der Aufnahme gewesen sein mag, nun aber ein Fremdkörper ist - zum Beispiel eine winkende Person vor der Skyline.

Möglich wird diese vollautomatisierte Technik, die noch vor ein paar Jahren Hunderte Mitarbeiter benötigt hätte, weil die allermeisten Digitalfotos speichern, wo und wann sie aufgenommen wurden. Die gesuchten Bilder aufzuspüren und in die richtige zeitliche Abfolge zu bringen kann deshalb ein Computer problemlos erledigen. Bereits jetzt haben die Wissenschaftler für Demozwecke Gletscherveränderungen, Stadt- und Pflanzenwachstum mithilfe frei verfügbarer Fotos visualisiert. Das ist nicht nur hübsch anzusehen, es birgt auch enormes Potenzial für die Forschung.

Die neue Technik ermöglicht es, aus existierenden Daten neue Rückschlüsse zu ziehen. Sie steht damit stellvertretend für viele Erfindungen, die gerade erst oder künftig entwickelt werden, aber auf Daten zurückgreifen werden, die heutzutage entstehen oder schon archiviert sind. Die Technik verwendet das Internet in seiner Funktion als großes Weltgedächtnis, das von Software nur neu sortiert werden muss, um schleichende Veränderungen sichtbar zu machen: schmelzende Gletscher, Küstenveränderungen, Gesteinserosion, Stadtwachstum - so interessant waren die Urlaubsfotos der Freunde noch nie.

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