Internet:Daten und Demokratie

Lesezeit: 2 min

Zum Gedenken an den verstorbenen FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher (Foto) fand in Berlin ein Symposium statt. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Nur kurz lag die Diskussion über die digitale Revolution im Windschatten der Debatte über den Populismus. Das Gedenksymposium für Frank Schirrmacher in Berlin zeigt: Beides hängt auf fatale Weise zusammen.

Von Andrian Kreye

Es lag Verzweiflung in den Stimmen, als die Internetkritikerin Yvonne Hofstetter und der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem beim Gedenksymposium für FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher klagten, die technologische Entwicklung habe Recht und Politik abgehängt. Hofstetter verglich die Folgen der digitalen Revolution mit dem Kolonialismus im Kielwasser der Industrialisierung. Hoffmann-Riem rief dazu auf, rasch einzugreifen, um noch an der Gestaltung des Lebens teilzuhaben, die gerade unkontrollierbaren Kräften ausgesetzt ist.

Die digitale Debatte erhielt wegen des Populismus einen neuen Schub. Inzwischen ist klar, dass das eine mit dem anderen zu tun hat, dass schlimmstenfalls die digitale Welt das Leben so weit verändert hat, dass sich unbekannte weltpolitische Kräfte entladen. Es gibt eine neue Dringlichkeit. Das stand schon im Symposiums-Motto "re:claim autonomy" (Rückeroberung der Selbstbestimmung).

Es war nicht geplant, dass die digitale Debatte in Berlin in diesen Tagen einen solchen Schub bekommen würde. Die "Charta für digitale Grundrechte", die Intellektuelle, Aktivisten und Politiker am vergangenen Mittwoch veröffentlichten, war 14 Monate lang in Arbeit. Die Einladung für das Symposium wurde im Oktober verschickt. Doch dann kamen Trumps Sieg, der Triumph der Populisten in Italien, der knappe Sieg über einen der Rechtesten aller Rechten in Österreich. Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese neue Technologie nicht nur unser Leben, sondern sogar den Lauf der Geschichte verändert.

Der Co-Initiator der Charta für digitale Grundrechte, EU-Kommissar und SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz kommentierte den matten Jubel über die Österreichwahl in seiner Eröffnungsrede noch: "Warum sind wir so bescheiden, wenn ein überzeugter Pro-Europäer die Wahl gewinnt? Freut euch doch!" Er stand für die vielen Einzelinteressen, die in der digitalen Debatte die Frontverläufe so diffus machen.

Europa, so die Forderung, müsse ein Hafen für die Vernunft werden

Denn in Brüssel geht es eben nicht nur darum, Demokratie und Vernunft gegen Populismus und Emotion zu verteidigen. Das waren zwar die Leitmotive des Symposiums und der Charta. Der wissenschaftliche Psychiater Jan Kalbitzer forderte sogar eine Rolle Europas als Schutzhafen der Vernunft. Donald Trump dient da als eine Art "Future Shock", als aufrüttelnder Moment, in dem sich zeigt, dass sich die Welt gewaltig ändert, nur leider ohne die wunderbar demokratische Garantie von Fortschritt und Wachstum für alle.

Es geht für Martin Schulz in Brüssel aber auch immer noch darum, die ehrbare mittelständische Wirtschaft Europas gegen die Übermacht der amerikanischen Fünf zu verteidigen. Dieser Begriff kommt aus der Großwildjagd. In der digitalen Debatte meint man damit die Daten-Giganten Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft. Doch das Spielfeld hat sich in den letzten vier Wochen grundsätzlich verändert. Internetkritiker Evgeny Morozov warnte vor einem trägen Europa, das sich auf Amerika verlässt: "Amerikanische Politik wird so unberechenbar sein, dass wir nicht mehr davon ausgehen können, dass es da einen good cop im Weißen Haus gibt. Es muss eine Gegen-Agenda geben." Symposiums-Veranstalter Jakob Augstein wagte sogar die Frage, ob man im digitalen Zeitalter eine neue Definition der Demokratie brauche. Die Soziologin Saskia Sassen meinte: "Wenn das System versagt, müssen wir es neu erfinden." Morozov fand: "Wir brauchen keine neue Definition, sondern eine ehrliche Debatte, wie weit Demokratie reichen soll."

Relevant sind die Debattenpunkte alle. Mehr denn je. Gerade wenn sich auch noch ein Generationenkonflikt darüberlegt, in dem Begriffe wie Datenschutz, Transparenz und Privatsphäre unterschiedlich ausgelegt werden. Wie kein Zweiter stieß Frank Schirrmacher solche Gedanken an und bündelte Debatten. Wenn der Diskurs nun in seinem Namen wieder solche Fahrt aufnimmt, so ist das auch ein großes Erbe. Und als Martin Schulz die Charta für digitale Grundrechte am Montagnachmittag in Brüssel dem Innen- und Justizausschuss des Europäischen Parlaments vorlegte, wurde aus dem Erbe des Theoretikers aktive Politik.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: