Installationen:Die Kunst der Systemkritik

Carlos Garaicoa lebt und arbeitet zwischen Havanna und Madrid - eine Ausstellung in der Villa Stuck stellt sein Werk in all seiner Vielfalt vor

Von Evelyn Vogel

Eines muss man ihm lassen: Der Mann brennt für sein Werk. Wer von Carlos Garaicoa durch die Ausstellung in der Villa Stuck geführt wird, kommt kaum dazu, zu verweilen und sich auf das Werk einzulassen, so wortreich erläutert er alles - sekundiert und im Erklärmarathon nur noch übertroffen von seinem spanischen Kurator. Kommt man dann zur Ruhe und zum Nachdenken, wirken viele Aspekte vielschichtiger als zunächst angenommen. Im Vordergrund steht Gesellschaftskritik, Kritik an der Finanzkrise, an Raum- und Stadtplanung. Neben Fotografie und Installationen gibt es Objekte aus Materialien verschiedenster Art. Allerdings wird auch hier mitunter ein bisschen zu viel des Guten getan. Die häufigen Wiederholungen ähneln ein wenig der Holzhammermethode: Und noch eins druff, damit es ja jeder versteht. Dabei ist Kritik an der Finanzkrise und deren Folgen für die gesellschaftlichen Systeme, selbst wenn sie frühzeitig künstlerisch artikuliert wurde, nun wirklich nicht ungewöhnlich.

Der 1967 in Havanna geborene kubanische Künstler lebt seit einigen Jahren in Madrid, wo er ebenso wie in seiner Heimatstadt ein Atelier unterhält. Er ist einer, der zwischen zwei Welten und zwei Systemen pendelt. In seiner Ausstellung "Unvollendete Ordnung (Orden inconcluso)" im Museum Villa Stuck kommt dies aber nur am Rande zum Tragen. Erstaunlicherweise hat man den Eindruck eines sehr europäischen Blicks auf die Gesellschaftsordnungen. Selbst die urbanistischen Themen weisen so viele Anklänge an europäische Traditionen auf, dass man nicht unbedingt einen kubanischen Künstler dahinter vermuten würde. Das mag bei den vorhergehenden Schauen vielleicht anders gewesen sein - die Ausstellung ist eine Kooperation des Centro de Arte Dos de Mayo in Móstoles bei Madrid und des Nationalmuseums für Kunst, Architektur und Design in Oslo. Darauf weist der Katalog hin. Andererseits setzt sich Garaicoa an Ort und Stelle aber auch mit München und seiner Geschichte auseinander, was die Ausstellung bereichert.

Selbst die vielen großformatigen Wandarbeiten, deren Ursprünge in Havanna liegen und auf die der Besucher zum Auftakt der Ausstellung trifft, wirken - da sie letztlich auf koloniale Traditionen zurückgehen - europäisch. Im Mittelpunkt stehen historische Werbetafeln, vorwiegend für Heil-, Genuss- und Potenzmittelchen. Während die oftmals beschädigten und mit ironischen Text- wie Bildkommentaren versehenen Wandarbeiten nur als Fotoarbeiten aus dem Stadtraum heraus wiedergegeben sind, hat Garaicoa sie in traditioneller Fliesenkeramiktechnik nachgebaut. Das Original mutiert zur Kopie, die Kopie zum künstlerischen Original. Der Gegensatz von Original und Kopie spielt eine wichtige Rolle in Garaicoas Werk.

Auch andere Gegensätze werden oft thematisiert: außen und innen, kompakt und fragil, steinern und gläsern, Privates tritt gegen Öffentliches an, Geschichte gegen Aktualität. Oft setzt Garaicoa das in echten Gegensatzpaaren um, wie dort, wo er Aufnahmen skeletthafter Gebäuderuinen mit utopistischen Urbanistikmodellen konterkariert oder sepiatonige Architekturfotografie mit Röntgenaufnahmen menschlicher Skelettteile kombiniert. Da schwingen sich Brückenbögen neben Rippenbögen empor, Fassadenstrukturen gleichen Handwurzelknochen. Manchmal stellt er auch singuläre Objekte in den Raum, lässt deren historischen Hintergrund mitschwingen, wie bei dem gläsernen Modell vom Haus der Kunst. Brachiale Architektur der Unterdrückung und der Stigmatisierung wird zum lichten Musentempel. Hier, wo er auf die Imaginationskraft des Betrachters, dessen Kenntnisse und Neugierde vertraut, ist er besonders stark. Wem das bekannt vorkommt: Diese wie andere Arbeiten waren vor zweieinhalb Jahren bereits in der Galerie von Barbara Gross anlässlich des Kunstwochenendes zu sehen.

Es gibt auch ein paar, in all ihrer Geschichts- und Gesellschaftskritik vorwiegend humorvolle Reihen. Die selbstentworfenen Briefmarken beispielsweise, bei denen die Dualität von Original und Kopie verschmelzen. Oder die Reihe der Cutouts mit den davonfliegenden Staatssymbolen. Auch die der "Kronjuwelen": Auf Stelen werden spotlightartig beleuchtete, in Silber ausgeführte Miniaturmodelle von Gebäuden präsentiert. Keine Repräsentationsbauten. Sondern Gebäude staatlicher Unterdrückung: Neben KGB- und Stasizentrale leuchten dem Betrachter das Modell des Foltergefängnisses in Guantanamo neben dem des Pentagon entgegen. Auch diese Reihe ist umfänglich, aber sie erschöpft sich nicht, weil die Gebäude architektonisch wie vor allem von ihrer Aufgabe und ihren Nutzern her eine sinnvolle Bandbreite erschließen. Bei anderen würde man sich wünschen, Garaicoa hätte das Sprichwort "weniger ist mehr" beherzigt und es - ebenso wie sein Kurator - in den Ausführungen zur Ausstellung befolgt.

Carlos Garaicoa: Unvollendete Ordnung (Orden inconcluso), Museum Villa Stuck, bis 4. September, Di-So 11-18 Uhr, erster Freitag im Monat (Friday Late) 18-22 Uhr

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