Industriekultur:Bochum, ich komm' aus dir

Ein opulenter Bildband erzählt von einer Firma für Stahlformguss in Bochum.

Rezension von Johan Schloemann

Bochumer Verein? Das sollte man nicht verwechseln mit der Fußballabteilung des Vereins für Leibesübungen (VfL) derselben Stadt im Ruhrgebiet, der heute im Mittelfeld der 2. Bundesliga spielt.

Nein, der "Bochumer Verein" war einmal eine der wichtigsten Stahlfirmen. Ihr Gründer, der Uhrmacher und Bauernsohn Jacob Mayer, erfand im Jahr 1850 den Stahlformguss. Damit konnte man erstmals flüssigen Stahl direkt in Formen für fertige Produkte gießen.

Etwa Räder, Schienen und Achsen für die boomende Eisenbahn in aller Welt. Aber auch Maschinen- und Schiffsteile, alles Mögliche von 40 Tonnen schweren Kurbelwellen bis zu den klitzekleinen Schreibfedern für Füllfederhalter.

Schuften wie blöde

Das war so erfolgreich, dass um 1900 vierzig Prozent der Bochumer Bevölkerung, wenn man die Angehörigen der Beschäftigten mitrechnet, zu dem Unternehmen gehörten. Es besaß inzwischen eigene Hochöfen, Kohlezechen und Erzgruben, also alles vom Rohstoff bis zum Endprodukt.

Und es betrieb, wie es damals üblich war, eine eigene patriarchalische Sozialpolitik, mit Werkswohnungen, Läden, Unterstützungskassen und Betriebssport, damit Gewerkschaften und Sozialisten nicht zu viel Ärger machten. Denn die Arbeiter schufteten wie blöde, bis zum Ersten Weltkrieg waren 12-stündige Schichten an sechs Wochentagen normal.

All das kann man jetzt in einem großartigen Bildband sehen. Etwa 125 000 Aufnahmen aus der Firmengeschichte werden im Historischen Archiv des Krupp-Konzerns verwahrt - also der Konkurrenz im benachbarten Essen, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Bochumer Verein schluckte.

Seitdem fusionierten nicht nur wiederum Krupp und Thyssen, sondern die Globalisierung schreitet so gnadenlos voran, dass ThyssenKrupp nun das Stahlgeschäft mit dem indischen Giganten Tata zusammenschlägt.

Aber das Bildarchiv aus Bochum bleibt eine der umfassendsten Sammlungen von Industriefotografie überhaupt. Der Historiker und Archivleiter Ralf Stremmel hat sie erstmals komplett gesichtet und 263 Motive für das Buch ausgewählt.

Die eigens angestellten Werksfotografen hielten damals keineswegs nur verhärmte Gesichter oder technische Einzelheiten fest: "Sie feiern", schreibt Stremmel, "den Kult des Stahls; sie erliegen dem Rausch des Gigantischen und der Magie des Massenhaften."

Die berühmtesten Produkte des Bochumer Vereins waren Glocken aus Gussstahl. Die hier von zwei unbekannten Jungs präsentierte Glocke war für die Georgenkirche in Berlin bestimmt , auch die Glocken der Weltfriedenskirche in Hiroshima kommen aus Bochum. Und die einstige Gaskraftzentrale ist dort heute als "Jahrhunderthalle" ein Monument der Industriekultur.

Ralf Stremmel: Industrie und Fotografie. Der "Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation", 1854-1926. Aschendorff Verlag, Münster 2017. 248 Seiten, 29,95 Euro.

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