Indiepop:Pop und Manierismus

Das Solo-Debüt des New Yorker Indiepop-Tüftlers Rostam, der mit seiner alten Band "Vampire Weekend" den Indiepop zweimal neu erfand.

Von Maximilian Sippenauer

Lässt sich in New York jemand einen Irokesen scheren, kommt einen unweigerlich Robert De Niro in dem Film "Taxi Driver" in den Sinn, dann denkt man an einen missverstandenen Außenseiter, man denkt an einen Bad Boy, der im nächsten Moment durchdreht, man denkt aber mit Sicherheit nicht an Rostam Batmanglij, das schüchterne Engelsgesicht, das zehn Jahre lang bei der Indie-Hipster-Band Vampire Weekend hinterm Keyboard saß. Doch genau dieser Rostam Batmanglij trägt, seit er seiner Band den Rücken gekehrt hat und es als Rostam solo probiert, Irokese. Wenn nun also sein Debüt "Half-Light" (Nonesuch) erscheint legt nicht zuletzt die Frisur die Frage nahe, ob hier wieder ein notorisch Missverstandener aus der zweiten Reihe ins Licht drängt oder tatsächlich etwas Neues beginnt?

Mit seiner alten Band "Vampire Weekend" erfand er den Indiepop gleich zweimal neu

Vampire Weekend, das war im Jahr 2008 die Band der Stunde. An der Columbia Universität in New York hatten vier junge Männer um Ezra Koenig beschlossen, sich gegen den omnipräsenten Gitarren-Chauvinismus im Indierock mit Weltmusik zu immunisieren. Als Vampire Weekend komponierten sie fortan Indie-Hymnen mit afrikanischen Rhythmen und Orgelflöten, ohne dabei jemals zu kunstbeflissen oder nach New Age zu klingen. Als nach zwei Alben dieser Sound trotzdem ausmusiziert schien, überhaupt die letzten Röhrenjeans-Rocker ihre Gitarren längst gegen Synthesizer getauscht hatten, gelang es der Band im Jahr 2013 überraschenderweise, den Indiepop ein zweites Mal neu zu erfinden. Auf "Vampire Of The Modern City" bedienten sie sich im Instrumentarium der Kammermusik, experimentierten mit Cembalo und Streichern und schafften es trotzdem, dass sich auf ihre Songs nicht Menuett tanzen ließ. Allein wegen dieser kontinuierlichen Balance zwischen Experimentierfreudigkeit und einem Gefühl für die Konventionen des Pops zählen Vampire Weekend zu den Ausnahmeerscheinungen der vergangenen zehn Jahre Musikgeschichte. Aber Musikgeschichte will Rostam nicht sein.

Indiepop: Mächtig überbordend: Rostam Batmanglij alias Rostam.

Mächtig überbordend: Rostam Batmanglij alias Rostam.

(Foto: Alex John Beck/Warner)

Als erstes verabschiedet er sich auf "Half-Light" deshalb von dem Balancegedanken und lässt dem De Niro in sich freien Lauf. Über fünfzehn Songs entfaltet Rostam einen zügellosen Popmanierismus, der maschinengewehrartige Schlagzeug-Salben mit zärtlichstem Piccologeflöte kontrapunktiert oder in der letzten Minute des wunderbaren Titeltracks das Prinzip Popsongende einmal von A bis Z durchdekliniert: Da verwandelt sich das balladenhafte Verhallen seines Falsettgesangs abrupt in ein Piano-Nachspiel, das sogleich in Lagerfeuergitarren-Romantik überschlägt, um sich unvermittelt am digitalen Horizont humanoid zu verpixeln. Dabei wird nicht nur kompositorisch mächtig angegeben. Der Mann, der die meiste Zeit seiner Karriere am Keyboard schwieg, überrascht auch mit einer Stimme, die so präzise durch die oberen Oktaven wandert, als ob sie Glas schneiden könnte - um im nächsten Moment selbst ganz gläsern zu klingen.

Rostam marschiert so auf "Half-Light" mit steilem Iro noch einmal entlang der Etappen der eigenen Bandgeschichte und zeigt überall mit ein, zwei Handbewegungen auf, was alles drin war und was noch so alles drin gewesen wäre. Hier eine Sitar, da ein Tamburine, vielleicht noch ein sakraler Chor obendrauf. Sogar der Erzfeind des Indiepop, das Saxofon, bekommt seinen Auftritt. Bleibt während der ersten Tracks noch der Eindruck, dass da jemand der Vergangenheit nachtrauert, hebt Rostam genau an diesem Punkt zu einer Feier des Eklektizismus an. Nach Hören dieses an allen Ecken und Enden überbordenden Debüts sieht man einen Rostam vor sich, der an den De Niro in der letzten Szene von "Taxi Driver" erinnert. Unsicher, ob nach dem Gewaltakt die Dinge klarer oder doch verwirrender erscheinen, scheint trotzdem irgendwie ein Punkt gemacht.

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