In Saddams Folterzellen:Der Schlächter von Bagdad

Der heute beginnende Strafprozess gegen Saddam Hussein ist sicherlich ein historisches Verfahren. Für den irakischen Schriftsteller Najem Wali ist er aber auch eine sehr persönliche Angelegenheiten: Wochenlang saß er in einem von Saddams Gefängnissen, wo schon ein Türöffnen zu einem grausamen Folterinstrument wird. Ein Bericht von Najem Wali

Heute ist der erste Prozesstag im Strafverfahren gegen Saddam Hussein - vielleicht auch ein politisches Verfahren, ganz sicher ein historisches. Für Najem Wali allerdings ist der Prozess gegen den Ex-Präsidenten des Irak eine sehr persönliche Angelegenheit: Wali, irakischer Schriftsteller, ist eines von vielen tausenden Opfern des Diktators. Geboren 1956 in Basra, schrieb Wali als junger Journalist über den Krieg gegen die Kurden, später gehörte er einer oppositionellen Studentengruppe an.

Gefängnistüren

Gefängnistüren in einem irakischen Gefängnis.

(Foto: Foto: AFP)

Als er nach der Einberufung zum Militär auch noch Befehle verweigerte, wurde er verhaftet. Sechs Wochen saß er im Gefängnis, bis er an die kurdische Front zwangsversetzt wurde und 1980 mit gefälschten Papieren über die Grenze zur Türkei fliehen konnte. In Deutschland wurde er nach vielen Verhandlungen als Flüchtling anerkannt. Heute lebt er in Köln. Najem Walis jüngster Roman ist die "Die Reise nach Tell al-Lahm" (Hanser Verlag).

Wem je das Unglück zustieß, in einer der Folterzellen des Saddam-Regimes zu landen, der wird seine Wunden und Albträume nur schwer vergessen. Als ehemaliger Gefangener zuckt man noch lange danach bei jedem Öffnen oder Schließen einer Tür zusammen, denn vom ersten Tag der Haft an hat man gelernt, dass Türen auch noch eine ganz andere Funktion haben können, als man bisher dachte. Eine Tür kann die Schwelle zwischen Leben und Tod darstellen.

Verborgene Folterkammer

Jedesmal, wenn sich die Tür öffnete, waren die Häftlinge auf das Schlimmste gefasst. Meist wurde man zu einer weiteren Tür geschleift, hinter der sich eine andere Folterkammer verbarg. Dem Gequälten lief es kalt den Rücken herunter, sobald er nur einen Blick zurück auf die Stahltür warf, die sich hinter ihm geschlossen hatte. So wurde schon die Tür allein zu einem Folterinstrument.

Es ist schwer, die rohe Art zu vergessen, mit der die Folterknechte Saddam Husseins Türen mit Fäusten oder Militärstiefeln aufstießen. Jede Tür hatte ihren eigenen Schlüssel, zu jedem Schlüssel gehörte ein anderer Folterknecht, und jeder dieser Verbrecher war auf eine andere Abart von Folter spezialisiert.

Das Szenario hätte einer Geschichte von Kafka oder Dostojewski entstammen können, doch es handelt sich um eine wahre Erinnerung, die sich tief in mein Gedächtnis eingegraben hat. Sie begleitete mich jahrelang bis in den Schlaf und verwandelte meine Nächte in einen Albtraum, obwohl es mir im Gegensatz zu zehntausenden anderen, die in den Kerkern starben, gelang, mich aus dem Würgegriff der Diktatur zu befreien.

Ein Lächeln zur falschen Zeit

Dennoch blieb meine Erinnerung lange Zeit schmerzhaft, selbst als ich schon in Europa Zuflucht gefunden hatte. Die Gründe meiner Verhaftung tun hier nichts zur Sache, in einer Diktatur kann ein Lächeln zur falschen Zeit jemanden ins Gefängnis bringen, wie dies einer Romanfigur Heinrich Bölls widerfuhr.

Man kann sich also ausmalen, wie es jemandem wie mir erging, als junger Autor und Journalist, der sich gegen Diktatur, Krieg und Militarismus stellte und in diesem Sinne Texte schrieb. Ich bin bestimmt nicht der einzige ehemalige Gefangene, der seine Wohnungstür selbst im sicheren Exil, in Hamburg, mehr als zwei Jahre sommers wie winters offen stehen ließ. Die Folter kann noch so kurz sein - das Vergessen dauert Jahrzehnte.

Wenn man auf einem Kontinent wie Europa Zuflucht gefunden hat, denkt man vielleicht an die Aufklärung, an die hier überwundenen Diktaturen oder, wie ich, an die europäische humanistische Literatur. Bis man verdutzt feststellt, dass eben dieses Europa gemeinsam mit seinem Verbündeten, den USA, Saddam nicht nur verteidigt und in Kriegen unterstützt, sondern ihm auch noch Waffen und Foltermaterial geliefert hat.

Der kalte Blick dieser Bestie

Später vergisst man, die erlittene Folter verblasst; auch ich glaubte stolz, ich hätte alles bewältigt. Doch dann, nach Jahren, ist die Erinnerung eines Abends mit einem Schlag zurückgekehrt. Als mir beim Zappen die Gestalt jenes Mannes begegnete, der mir Tage, Monate, Jahre meines Lebens geraubt hat, war alles wieder da. Da saß er vor dem Untersuchungsrichter, scheinbar unbesiegbar, alles überdauernd, und schwang Nazireden.

Seltsam: Immer wenn ich diesen Mann sehe, wirkt er kein bisschen verändert. Nur ich bin nicht mehr derselbe. Wie unbeirrbar er war! Ob auch er jetzt die andere Funktion von Türen kennt? Hat die Tür seines Gefängnisses ihn zusammenzucken lassen, als sie sich schloss?

Doch seine ganze Art, mit der er sich lautstark vor dem Untersuchungsrichter rechtfertigte, deutet daraufhin, dass er nicht das erlebt hat, was ich und tausende andere mit mir unter seiner Herrschaft erdulden mussten. Er sprach offen über seine Gegner, über Menschen wie mich, die für ihn "Verräter" waren.

"Als Präsident des Irak" habe er "die Pflicht" gehabt, "dieses rechtlose Gesindel liquidieren zu lassen, um das Land vor Schaden zu bewahren." Jede der Hinrichtungen sei eine "gerechte Strafe" gewesen. Da müsste ich ihm wohl dankbar sein, dass man mich am Ende meiner Haft als Soldat in die Provinz Sindjar im Nordirak verlegt hatte. Ich sollte dort von meinen "kurdischen Freunden eigenhändig umgelegt werden", wie es der Geheimdienstoffizier ausdrückte.

Blutiges Stück Fleisch

Was für ein Mensch ist Saddam? Woher nimmt er seine Sicherheit? Weiß er, dass viele von uns die Todesstrafe ablehnen? Oder liegt es einfach daran, dass er, anders als wir seinerzeit, gut behandelt wird?

Der Schlächter von Bagdad

Wir wurden auf den nackten Boden gestoßen, die Folterknechte trampelten mit Stiefeln auf uns herum, es hagelte Schläge. Wir durften nicht liegen bleiben, die Stockhiebe fingen einen auf, bevor man zu Boden sank, sogar dann, wenn man nur noch ein blutiges Stück Fleisch war und ganz egal, ob man nur bewusstlos war oder schon tot.

Das letzte Bild auf dem Bildschirm zeigte denselben kalten Blick dieser Bestie, dieses Mörders, dessen Anblick allein die Qualen und Schreie der Opfer heraufbeschwört. Ich schaute ihn mir genau an. Er saß da wie immer, die Brust stolz herausgestreckt, und antwortete wie aus der Pistole geschossen auf die Fragen des Richters: Er hatte alles einkalkuliert.

Reines Gewissen

Die Konfrontation mit dem Richter diente ihm, dem "Edelmütigen", nur dazu, seine Standhaftigkeit zu beweisen, zu zeigen, dass er keine Reue, keinen Zweifel kennt. Auf alle Fragen wusste er eine Antwort, hatte alle Argumente zur Hand: außer ihm gebe es keinen rechtmäßigen Präsidenten des Irak, nur mit ihm könnten wir den einzig wahren Weg einschlagen.

Es ist seltsam, sagte ich mir an jenem Abend: Ganz gleich, wie er sich verhält, Saddam Hussein bleibt sich treu, er ist immer der Alte. Er glaubt sich stets im Recht, sein Gewissen ist rein, er beharrt auf seiner Botschaft mit der Geduld eines Menschen, der sich seiner Sache sicher ist, der aber auch weiß, wie schwierig seine Aufgabe ist, weil "alle die von den Zionisten und Kolonialisten gedungenen Feinde und Agenten" versuchen, ihn vom "heroischen Kampf zum Wohl seines Volkes" abzubringen. Bei ihm gibt es keine Umkehr, keine Bitte um Vergebung, er erwähnt nicht eine einzige seiner Freveltaten, sondern beteuert seine Unschuld.

Das Gericht ist in seinen Augen nicht rechtmäßig, die Anklage von den Besatzern frei erfunden. Jeder, der die Besatzung ablehnt, müsste sich nach dieser Logik auf seine Seite schlagen. Er weicht keinen Zoll von den Wahnvorstellungen ab und preist sie an, sei es durch eigene Propaganda, sei es durch arabische "Rechtsexperten", die plötzlich, zum ersten Mal, in seinem Namen auf die Achtung der Menschenrechte pochen.

Schwarze Komödie

Ich hatte ernsthaft geglaubt, dieses Monster vergessen zu können. Vielleicht hatte ich nur Angst, für ihn Mitleid zu empfinden, wie ich es gewöhnlich für Verlierer verspüre, obwohl ich genau weiß, wie sehr Saddam es hasst, bemitleidet zu werden und wie sehr er darauf besteht, standesgemäß behandelt zu werden. Seine Verehrer haben ihm bereits 99 Namen zugedacht, es bleibt nur ein einziger, den wir hinzufügen können: der Schlächter!

Ich hätte auf eine Unterhaltungssendung umschalten können, aber ich starrte weiter fasziniert auf Saddam, als sei er ein Komiker - nur dass es sich um eine schwarze Komödie handelt. Ja, vielleicht ist dies die Erklärung?

Ich weiß, dass sich Saddam vorerst nur für das Verbrechen, das an den Bewohnern von Dudschail verübt worden ist, verantworten muss, für alle anderen aber im jetzigen Prozess noch nicht. Im Übrigen kann man davon ausgehen, dass britische und amerikanische Geheimdienste nach dem Einmarsch in Bagdad alle Dokumente vernichtet haben, die ihre Zusammenarbeit mit Saddam während der diversen Kriege betreffen. Wahrscheinlich befanden sich darunter auch Beweise für Waffenlieferungen von europäischen und amerikanischen Firmen.

Neubewertung der Geschichte

Weder im Irak noch anderswo auf der Welt wird die Öffentlichkeit wohl je erfahren, wer alles zu den Vernichtungsaktionen beigetragen hat. Und auch das Strafverfahren wird schon deshalb nicht wirklich transparent sein, weil die Justiz im Irak, wie die in allen anderen arabischen Ländern, die jetzt Saddam nachtrauern, erst einmal eine Neubewertung der Geschichte bräuchte.

Trotzdem ist es richtig, diese Bestie im Irak vor Gericht zu stellen, denn Täter und Opfer sind Iraker. Wir wissen, wie es Saddams Freund Slobodan Milosevic ergangen ist, dem außerhalb seines Landes der Prozess vor einem internationalen Gericht gemacht wird - bisher ohne greifbare Ergebnisse.

Außerdem stehen Saddam und seine Spießgesellen stellvertretend für die politischen und militärischen Institutionen und für den Sicherheitsapparat eines Systems, das das Land über Jahre hinweg unterdrückt und zerstört hat. Jede Familie bekam dies zu spüren.

Symbolprozess

Der gesamte Staatsapparat war das Musterbeispiel einer arabischen Diktatur, die sich auf das Militär, Geheimdienste und andere Repressionsinstrumente stützt. Wenn man dem "Schlächter von Bagdad" nun den Prozess macht, stehen symbolisch alle arabischen Despoten mit vor Gericht.

Doch kein kurzer Prozess, der vorschnell auf eine Hinrichtung zusteuert, sondern nur ein sorgfältiges Gerichtsverfahren, das weder politischen Zwängen noch Rachemotiven der Schiiten und Kurden nachgibt, wird es den Irakern erlauben, gemeinsam zurückzublicken auf dieses tragische Kapitel ihrer jüngsten Vergangenheit.

Dann können vielleicht auch jene tausende Helfer, die an Saddams Verbrechen beteiligt waren, ihre eigene Schuld überdenken. Und erst dann werden wohl auch hunderttausende andere ohne Angst leben und Türen normal öffnen können.

Deutsch von Nicola Ben Said

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