In der Krise: Bayerisches Staatsschauspiel:Insel der Unseligen

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Dieter Dorn und die Krise des Bayerischen Staatsschauspiels: Ist das einstmalige Vorzeigetheater noch zu retten?

Christopher Schmidt

Erinnert sich noch jemand an den Zustand des Bayerischen Staatsschauspiels Ende der neunziger Jahre?

Jetzt heißt es: Augen auf. Das Bayerische Staatsschauspiel muss viel verändert, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. (Foto: Foto: dpa)

Damals inszenierte dort der Regisseur Klaus Emmerich ein Stück nach dem anderen, denn einer wie er wurde dringend gebraucht: ein fleißiger Handwerker, ebenso metier- wie wirkungssicher.

Überspannte Genies gab es ja schon genug. Es war das Chaos drumherum, dass Emmerichs Vollkasko-Theater so wertvoll machte.

Längst hatte damals der Intendant Eberhard Witt die Führung über sein Theater verloren, kopf- und planlos wurden Spielpläne und Besetzungen zusammengeschustert. Eine künstlerische Linie ließ sich nicht mehr erkennen.

Immer neue, eiligst ans Haus geholte Regisseure ließen einen Versuchsballon nach dem anderen steigen. Zuletzt regierte die Scheckbuch-Dramaturgie: Illustre Gäste sollten der Bühne den Erfolg bringen, der ihr aus eigener Kraft nicht mehr gelang.

Toter Körper

So verbrachten nahezu alle, die in der Branche einen klingenden Namen haben, früher oder später einen lukrativen Arbeitsurlaub an dem Münchner Theater. Geld war ja da.

Böse gesagt: ein Körper, der künstlerisch mausetot war, zog die Parasiten an. Trotzdem war der Vertrag des Intendanten Witt vom damaligen bayerischen Kunstminister Hans Zehetmair noch einmal verlängert worden.

Um seinen Fehler auszubügeln, griff Zehetmair zu einem unsauberen Trick, woraufhin sich Witt gezwungen sah, sein Amt vorzeitig niederzulegen. Dass sich seinerzeit niemand über die Art empörte, wie Witt die Tür gewiesen wurde, lag zum einen daran, dass keiner in München dem Intendanten eine Träne nachweinte. Zum anderen konnte Zehetmair mit einem Coup aufwarten, als er als Nachfolger am Bayerischen Staatsschauspiel Dieter Dorn präsentierte.

Nach 18 Jahren als Intendant der Münchner Kammerspiele war kurz zuvor Dorns Vertrag nicht verlängert worden. Dorn empfand das vielleicht als persönliche Beleidigung, nur aus diesem Gefühl der Kränkung heraus lässt sich verstehen, weshalb er sich auf den politisch anrüchigen Kuhhandel einließ und darüber hinweg sah, dass die Umstände, die zu seiner Inthronisierung auf der anderen Seite der Maximilianstraße führten, mindestens so unappetitlich waren wie die, die ihn um seinen Posten an den Kammerspielen gebracht hatten.

Ruhe vor dem Sturm

So aber bot sich ihm die Möglichkeit, zeitgleich mit seinem Nachfolger an den Kammerspielen noch einmal beginnen zu können. Und sich und der Welt zu beweisen, wer der Bessere ist.

Man muss diese Vorgeschichte erzählen, um besser zu verstehen, was sich derzeit am Bayerischen Staatsschauspiel, einem der größten deutschsprachigen Sprechtheater, abspielt, das heute wieder in einer tiefen Krise steckt, wenngleich diese Krise andere Züge trägt als vor zehn Jahren.

Obwohl es auch heute in Gestalt von Thomas Langhoff einen neuen Klaus Emmerich gibt, der mit zwar unzeitgemäßen, aber allemal wasserdichten Inszenierungen zwei mal pro Saison die Position auf der großen Bühne souverän ausfüllt - so fliegen einem insgesamt nicht die losen Trümmer einer zu Bruch gehenden Intendanz um die Ohren: kein durch Legionäre verstärkter Schauspielkader, keine rapiden Qualitätseinbrüche und waghalsigen Stilwechsel. Und doch ist das Fehlen all dessen bereits ein Teil des Problems.

Ruhig, allzu ruhig geht es zu an diesem Theater, das kaum mehr von sich reden macht - in der Stadt oder gar über München hinaus. Auch dringt nichts an die Öffentlichkeit von den inneren Spannungen, die das Haus allmählich zu zerquetschen scheinen.

Trügerische Fassade

Die Krise vor zehn Jahren glich einer Explosion, die jetzige Krise hat mehr den Charakter einer Implosion. Nach außen wirkt alles heil, aber man spürt, wie die Fassade vibriert, von der Hitze, die sich dahinter angestaut hat. Die gerade zu Ende gehende Spielzeit markiert den vorläufig tiefsten Punkt in den sieben Jahren, in denen Dorn Intendant am Staatsschauspiel ist.

Zugegeben: Das Theater hatte viel Pech in dieser enttäuschenden Spielzeit. Erst brach Franz Xaver Kroetz die Proben ab, während Dorn in New York inszenierte. Dann sagte Andrea Breth ihr München-Debüt ab.

Doch aus unverschuldetem Unglück wurde Fahrlässigkeit, als man den unerfahrenen Regisseur Andreas Wiedermann offenbar unbesehen als Breth-Ersatz engagierte, bis - wie schon bei Kroetz - die Resi-Spieler streikten.

Aber auch schon der Gedanke, mit Andrea Breth eine der besten Regisseurinnen nach München zu holen, ging ebenso wenig auf Dorn oder seine Berater zurück wie der zweite Versuch, einen der bedeutendsten Regisseure der Gegenwart für eine Zusammenarbeit zu gewinnen: Jürgen Gosch, dessen in Aussicht genommene Regiearbeit an Dorns Haus nun äußerst unsicher geworden ist, nachdem der Regisseur schwer erkrankt ist.

Aus für Nebenbuhler

Aus freien Stücken scheint Dorn keinen Regiegott neben sich zu dulden. Fast wirkt es, als müsste das Haus dafür büßen, dass Dorns Stern jenseits von München längst untergegangen ist, indem es seine Alleinherrschaft hinnimmt.

Inszeniert der Hausherr nicht selbst, muss das Ensemble jedenfalls mit mediokren Regiekräften vorliebnehmen. Dass Dorn angeblich immer nur das Wohl seines erlauchten Ensembles im Sinn hat, erweist sich dabei als Schutzbehauptung.

Lesen Sie auf Seite 2, wie am Residenztheater mit Talenten umgegangen wird.

Läge ihm wirklich so viel an seinen Schauspielern, müsste er alles tun, um ihnen die Arbeit mit starken Künstlerpersönlichkeiten zu ermöglichen. Doch anstatt davon zu profitieren, wie sie sich unter anderen Regiehandschriften weiterentwickeln, schickt er sie lieber auf die Reservebank.

Noch lädt er den Zuschauer ins Münchner Residenztheater, aber Dieter Dorns Tage als Intendant sind gezählt. (Foto: Foto: dpa)

Da ist es kein Wunder, dass mangels Herausforderung nicht nur seit langem keine tollen Schauspieler mehr zum Ensemble gestoßen sind, sondern sich auch unter den vorhandenen Absetzbewegungen formieren. Zumindest unter denen, denen das Erreichte nicht genug ist.

Die übrigen, eingelullt von Staatstheater- und vermeintlichem Star-Status, zerfleischen sich in Rangordnungskämpfen - und selbst ehemalige Weggefährten Dorns sind oft entsetzt, wie selbstgenügsam und unangefochten hier inzwischen Theater gespielt wird.

Der Dünkel am Haus wirkt umso absurder, wenn man bedenkt, dass durch den Wechsel von den Kammerspielen an das größere Staatsschauspiel Schauspieler aus dem Mittelbau ohne eigenes Zutun aufrücken und höhere Aufgaben übernehmen konnten.

Was die Regisseure angeht, war es freilich immer schon so, dass Dorn starke Antagonisten nur schwer zu ertragen schien. Talente mussten stets gehen, ehe sie gefährlich werden konnten. Bleiben durften die Leisetreter und Handwerker.

Der letzte, den Dorn länger duldete, war sein Oberspielleiter der Anfangsjahre am Staatsschauspiel, Elmar Goerden. Doch - und auch das muss man leider sagen - der Hochmut, an dem Goerden später als Intendant in Bochum scheiterte, er ist in München gezüchtet worden.

Nach Goerden war Barbara Frey der noch übrige Aktivposten für die große Bühne. Sie war es auch, die das Haus zum einzigen Mal zum Berliner Theatertreffen getragen hat und ihm zum letzten Mal eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen ermöglichte - da konnte ein von Dorn geleitetes Haus nochmal anknüpfen an den Rest der Theaterwelt, zu der alle Verbindungen abgeschnitten waren.

Trotzdem glaubte man, Barbara Freys Dienste nicht mehr nötig zu haben, und verzichtete auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit. Demnächst ist Frey nun selbst Intendantin in Zürich.

Künstlerische Eiszeit

Und wer schafft nun die prägenden Aufführungen auf der großen Bühne? Derzeit ist es Tina Lanik, die bereits mehrmals bewiesen hat, zuletzt mit einer forciert jugendbewegten Inszenierung von "Romeo und Julia", dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. Vielleicht noch nicht.

Das Haus stagniert - auf immer weniger hohem Niveau: eine aufsehenerregende Inszenierung hat es hier lange nicht gegeben, einen starken thematischen Zugriff schon gar nicht. Das Ensemble bröckelt, und Dorn macht sich unerreichbar. Umgeben von den schlechtesten Beratern, verwaltet er seinen eigenen Mythos. Und das Publikum? Ist mittlerweile doch recht überaltert.

Natürlich ist die jetzige Misere eine Spätfolge der künstlerischen Erstarrung, die schon an den Kammerspielen begonnen hat. Es war Dorns Fehler, zu meinen, er könnte die Kammerspiele einfach an einem anderen Theater fortsetzen.

In den Anfangsjahren profitierte er noch von den Anlaufschwierigkeiten Frank Baumbauers. Doch mittlerweile ist bei Baumbauer all das zu finden, was man bei Dorn vermisst - und wohl deswegen sieht man so oft Resi-Schauspieler in den Kammerspiel-Premieren. Sie blicken sehnsüchtig von ihrer Insel der Unseligen herüber.

Dorn wirbt neuerdings mit ausgefahrenen Ellbogen für sein Haus. "Das Theater" ist protzig auf den Plakaten des Bayerischen Staatsschauspiels zu lesen. Doch "das" Theater steht, Dorns Alleinvertretungsanspruch zum Trotz, leider auf der anderen Seite der Maximilianstraße.

Der Wechsel am Staatsschauspiel ist überfällig, doch allmählich zeigt sich, wie fatal es war, Dorn in letzter Minute doch noch einmal um zwei weitere Jahre zu verlängern, bevor dann, im Jahr 2011, Martin Kušej übernimmt - zu einem Zeitpunkt, da wiederum an den Kammerspielen bereits seit zwei Jahren ein neuer Intendant die Geschäfte aufgenommen haben und Dorn 28 Jahre lang Theaterintendant in München gewesen sein wird.

Exorzismus

Wie schon damals, als er von den Kammerspielen nicht weichen wollte, begründete Dorn auch 2007 seinen Wunsch nach zusätzlichen zwei Jahren über 2009 hinaus damit, seinem Nachfolger ein Haus mit gesunden Strukturen übergeben zu wollen.

Der Zustand seines Hauses hat Dorns Aussagen mittlerweile entlarvt, denn ungesunder, inzestuöser, kameralistischer und selbstzerstörerischer könnten die Strukturen nicht sein, die am Staatsschauspiel wuchern. Dorn scheint schlicht vergessen zu haben, dass er ein öffentlicher Angestellter ist.

Er hatte ja schon die Kammerspiele für seinen Erbhof gehalten. Genauso ist es jetzt wieder. Einer der wichtigsten Schauspieler am Haus drückt das so aus: "Wenn Kušej kommt, wird er hoffentlich tun, was unbedingt getan werden muss: das Haus ausräuchern. Ausräuchern bis in den letzten Winkel."

© SZ vom 10.7.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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