In den Kammerspielen:Gelobt sei die Nische

"The Notwist" gelingt mit der Alien Disko ein brillantes Festival

Von Martin Pfnür

Es konnte einem angst und bange werden, als Markus Acher am Freitagabend auf die Bühne der ehemals "Schauspielhaus" genannten Kammer 1 trat, um dort auf seine sympathisch unprätentiöse Art das Publikum zu begrüßen. Stand Acher dort doch vor derart lichten Reihen, dass man sich schon fragen durfte, wo sie denn nun abgeblieben ist, die nischen- und subkultur-affine Münchner Szene, die man in dieser musikalisch eher dem Mainstream zugeneigten Stadt oftmals suchen muss wie die Nadel im Heuhaufen.

Aus gegebenem Anlass also gleich zwei Entwarnungen: Ja, es gibt in München tatsächlich eine solche Szene. Und ja, sie war auf diesem brillant zusammengestellten zweitägigen Festival auch reichlich vertreten. Nur hatte sie sich eben mal wieder "versteckt"; hatte sich frühzeitig auf die Kammern 2 und 3 verteilt, um so zwar das Indie-Rock-Konzert des All-Girl-Duos Sacred Paws zu verpassen, dafür jedoch vor allem dem elfköpfigen Orchestral-Kollektiv Stargaze zu lauschen, das sich in der Kammer 2 daran machte, die Downtempo-Elektronika des Duos Boards Of Canada ins Analoge zu übersetzen.

Der Unterschied dieser beiden Acts steht wiederum bezeichnend für die wunderbare musikalische Diversität des Programms, das hier über die Bühne ging. Ausgehend vom Umstand, dass sich experimentelle Nischenmusiken traditionell schwer tun, in München ein Publikum zu finden, hatten sich Markus und Micha Acher ein Herz gefasst und ein Festival auf die Beine gestellt, dessen Zielrichtung in der Vermittlung "des Fremden" lag. Unterschiedlichste Bands aus allen Teilen dieser Welt also, deren Qualitäten ihnen als Musiknerds zwar bekannt waren - weiten Teilen ihres Publikums jedoch eher nicht.

Somit gerieten auch die beiden Abende selbst zu einer Art Experiment, das sich alsbald als Fest der spontan evozierten Euphorie entpuppte. Denn "gefremdelt" wurde hier tatsächlich nur selten. So erwies sich am Freitag vor allem der Auftritt des US-amerikanischen Sun Ra Arkestras als Triumphzug einer zwölfköpfigen Formation voller steinalter Herren im Glitzergewand, die mit gewaltiger Bläsersektion das Erbe des Space-Jazz-Visionärs Sun Ra derart lebendig weiterführen, dass sogar Räder und Flick-Flacks auf der Bühne sowie blasmusizierende Spaziergänge durchs entfesselte Publikum zum Repertoire zählten. Ein Auftritt war das, dem in seiner Intensität letztlich nur die Acher-Brüder und diverse Musiker ihres Labels Alien Transistor selbst beikamen, indem sie einen "Alien-Transistor-Soundclash" aufzogen - eine Art Zweikampf also, bei dem man sich, umringt vom Publikum, mit gewaltigen Synthie-Grooves auf der einen sowie der Fülle von Tuba, Posaune auf der anderen Seite duellierte.

Nicht minder spannend dann der Samstag, den The Notwist nutzten, um ihre eigene Lust am Experiment zu demonstrieren, indem sie während ihres umjubelten Konzerts den Klassiker "Pilot" plötzlich als Four-to-the-Floor-Clubnummer auswalzten. Abermals konnte man sich hier durch ein Programm schleusen lassen, das im Fall von Formationen wie Jam Money oder Mimicof als introspektiver audiovisueller Trip daherkam, das The Comet Is Coming mit einer bratzigen Mischung zwischen Techno und Freejazz bereicherten, und das schließlich vom fabelhaften Genfer Duo Hyperculte mittels Drums und gelooptem Kontrabass einem glorreichen Abschluss zugeführt wurde.

Unglaublich erfreut sei man über die Einladung, versicherte Schlagzeugerin Simone Aubert, die ihre kurze Ansprache mit einem "Danke, The Notwist, dass ihr existiert" schloss. Angesichts des gleichermaßen gewagten wie gelungenen Festival-Experiments kann man sich da einfach nur anschließen.

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