Impressionismus:Eine Staffelei und ein Herr in drei Mänteln

Monet, Sisley oder Signac werden oft als Schöpfer gefälliger Werke gesehen. Das täuscht: Die Maler setzten sich bewusst der Natur aus und gingen dabei auch bis an ihre Schmerzgrenzen.

Von Sandra Danicke

Da steht eine Frau auf einer Blumenwiese. Sie trägt einen Hut, Genaueres ist nicht zu erkennen. Weiter hinten im Bild sieht man eine Reihe von Bäumen, die sich durch den Bildtitel "Unter den Pappeln" mühelos identifizieren lassen. Am Horizont stehen Berge. Schaut man das Bild ein wenig genauer an, bemerkt man, dass sich noch weitere Personen darin befinden. Handelte es sich um eine Fotografie, wäre eine Lupe hilfreich. Bei einem impressionistischen Gemälde wie diesem nutzt es nichts, näher heranzuzoomen - im Gegenteil: Die Personen, die einzelnen Blüten lösen sich in Flecke auf.

Das Bild, das Claude Monet 1887 gemalt hat, zeigt also Personen in der Landschaft; das klingt nicht gerade spektakulär. Tatsächlich gilt das für zahlreiche Bilder der Impressionisten: Es sind Landschaften drauf. Keine dramatischen mit wilden Schluchten und reißenden Wasserfällen. Führe man ein paar Kilometer weit in die Natur, man fände ähnliche Szenerien.

Das mag der Grund dafür sein, dass Gemälde wie dieses Monet-Werk heute eher langweilig, ja, geradezu gefällig erscheinen. Sie kommen einem harmlos vor, auch weil man sie als billige Drucke in mittelmäßigen Hotelzimmern findet. Steht man vor den Originalen, hilft es, ganz dicht heranzugehen, um ihr revolutionäres Potenzial zu erahnen: Was gerade noch lieblich erschien, wirkt nun womöglich regelrecht wild und verwegen. Vor allem, wenn man sich in die Entstehungszeit dieser Werke zurückversetzt. Nehmen wir zum Beispiel Alfred Sisleys "Seine-Ufer im Herbst" von 1876: Wir sehen ein beschauliches Flussufer mit einem zum Wasser geneigten, kahlen Baum. Es gibt einen Spaziergänger und zwei Menschen im Boot. Alles fließt ruhig dahin. Oder nicht? Zeitgenossen dürfte das Bild keineswegs besonders ruhig vorgekommen sein. Für sie war die unruhige, fleckig-fragmentierte Malweise etwas völlig Neues. Man muss sich verdeutlichen, dass es noch keine fünfzig Jahre her war, dass ein Romantiker wie Caspar David Friedrich Werke wie "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" gemalt hat. Auch dieses Bild wird von einem kahlen, schräg ins Bild gesetzten Baum dominiert. Auch hier sind die gezeigten Männer anonymisiert. Wirkung und Malweise könnten jedoch kaum unterschiedlicher sein. Statt um Erhabenheit und brillanten Naturalismus ging es den Impressionisten um das Licht und die Atmosphäre, darum, den Augenblick einzufangen, ohne die Natur interpretatorisch zu überhöhen.

Schon Camille Corot fuhr zum Malen nach Fontainebleau hinaus

Die Ausstellung "Impressionismus. Die Kunst der Landschaft" im Museum Barberini stellt nun erstmals systematisch vor, welche Themen der Freilichtmalerei die Impressionisten für sich entdeckten. Neben Flusslandschaften, dem Wasser und seinen Reflexionen waren das vor allem Waldwege, Gärten oder auch Winterlandschaften, in denen die Künstler das Weiß des Schnees mit farbigen Schattierungen dynamisierten. Fast immer sind es von Menschen gestaltete Landschaften, die die Impressionisten in den Blick nahmen, darin nicht selten Monumente der Industrialisierung wie Eisenbahnbrücken.

Die Impressionisten waren übrigens nicht die Ersten, die unter freiem Himmel malten und auf die Ausführung von Details verzichteten. Bereits seit 1830 trafen sich die Künstler der Schule von Barbizon, darunter Camille Corot und Jean-François Millet, zum Malen im Wald von Fontainebleau, einer Kleinstadt 55 Kilometer südlich von Paris. Doch fast alle diese Maler - die einzige Ausnahme bildete Charles-François Daubigny - fügten ihre Skizzen letztlich im Atelier zu harmonischen Kompositionen zusammen. Die Impressionisten jedoch malten nicht nur draußen, sie setzten sich auch bewusst der Natur aus und gingen dabei immer mal wieder bis an ihre Schmerzgrenzen. Der Kritiker Léon Billot beschrieb eine Begegnung in Le Havre im Winter 1866/67 folgendermaßen: "Wir entdeckten einen Fußwärmer, dann eine Staffelei, dann einen Herrn, der in drei Mäntel eingewickelt war, mit Handschuhen an den Händen, das Gesicht halb erfroren: Das war Monet, der an einer Schneestudie arbeitete." Monet selbst berichtete einmal, wie er beim Malen eines Sturms von einer Flutwelle von seinem Klappstuhl gerissen und ins Meer gespült wurde.

Das Wasser übte auf die Impressionisten einen geradezu magischen Reiz aus. Das gilt vor allem für Monet. Seite an Seite arbeitete er etwa mit seinem Freund Pierre-Auguste Renoir vor der Grenouillère, einem beliebten Ausflugsziel an der Seine. Doch während Renoir sich vor allem für das Treiben der Ausflügler interessierte, steht bei Monet das bewegte Wasser mit seinen vielfältigen Lichtreflexen im Zentrum. Der Künstler malte es mit breiten Pinselstrichen, die einen abstrakt anmutenden Flackereffekt auslösen, der für den damaligen Betrachter vollkommen ungewohnt war. Dass das Bild 1870 bei der Jury des Pariser Salons durchfiel, verwundert daher kaum. Später kaufte sich Monet eine Barke und rüstete sie mit Kabine und Stoffdach zum Atelierboot um.

Im Frühjahr 1874 fand schließlich im Pariser Atelier des Fotografen Nadar die erste Ausstellung jener Gruppe statt, die Monet mit Renoir, Sisley, Camille Pissarro, Edgar Degas, Paul Cézanne und anderen ins Leben gerufen hatte und die ihren Namen unter anderem Monets Bild "Impression, Sonnenaufgang" verdankt - eine mit grafisch anmutenden Pinselstrichen gemalte diesige Hafenansicht von Le Havre. Tatsächlich blieb Monet in dieser Runde die dominierende Figur, war er der Maler, der der Moderne die entscheidenden Impulse geben sollte.

Um 1890 entwickelte Monet das Konzept der Serie, für das er ein Motiv in verschiedenen Lichtstimmungen malte. So entstand etwa eine Reihe von "Getreideschobern" - Bilder, in denen der Künstler die Abstraktion auf eine Weise vorantrieb, die Künstlerkollegen zutiefst verstört, aber auch elektrisiert hat. "Ich begreife nicht, dass es Monet nicht peinlich ist, sich dieser Wiederholung zu unterziehen", schrieb damals Pissarro an seinen Sohn. "Ich empfand dumpf, dass der Gegenstand in diesem Bild fehlt", schrieb wiederum Wassily Kandinsky, nachdem er eines der Werke gesehen hatte. "Und merkte mit Erstaunen und Verwirrung, dass das Bild nicht nur packt, sondern sich unverwischbar in das Gedächtnis einprägt und immer ganz unerwartet bis zur letzten Einzelheit vor den Augen schwebt." Das Motiv - ein banaler Heuhaufen - schien für Monet nebensächlich zu sein. Ihn interessierte, wie das Licht den Gegenstand und die umgebende Landschaft auf unterschiedliche Weise zum Leuchten, Glühen, Pulsieren bringt. Erstmals wurde die Malerei wichtiger als der Gegenstand, den sie abbildet. "Das Motiv", so Monet, "ist für mich nur eine unbedeutende Sache, was ich wiedergeben möchte, ist das, was zwischen dem Motiv und mir liegt." Das Licht und seine Erscheinungsformen. Die Spiegelungen der Wolken auf dem Wasser. Die flirrende Mittagshitze, den duftigen Frühnebel - kurz gesagt: Atmosphären, die sich stetig verändern. Die Fixierung des Flüchtigen ist das paradoxe Ziel, an dem sich der Künstler ein Leben lang abgearbeitet hat.

In seinem Garten in Giverny begann Monet, die riesigen Seerosenbilder zu malen

Damals begann Monet in Giverny seinen legendären Blumengarten anzulegen, den der Kunstkritiker Arsène Alexandre 1901 emphatisch beschreibt: "Wo auch immer Sie sich hindrehen, zu Ihren Füßen, über Ihrem Kopf, in Brusthöhe, befinden sich Teiche, Blumengirlanden, blühende Hecken, in Harmonien, die gleichzeitig wildwachsend und geplant sind und sich zu jeder Jahreszeit verändern und erneuern."

Hier entstanden schließlich jene riesigen Seerosenbilder, in denen er seinem Lieblingsmotiv, dem Wasser, so nah rückte wie nie zuvor. Monet lässt den Betrachter förmlich eintauchen in das flirrende, strudelnde Leuchten aus schier unzählbaren Farbnuancen, die unter anderem dadurch entstanden, dass der Maler diverse Schichten übereinanderlegte. Es sind Bilder, die die Malerei des abstrakten Expressionismus und des Informel in vielen Aspekten vorwegnehmen: im All-Over-Effekt, in der Spontaneität des Pinselstrichs und in den wandfüllenden Formaten, die ein Abtauchen in reine Farbwelten ermöglichen.

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