Immobilienmarkt:Die Immobilie ist heute vor allem eines: Kapital

Immobilienmarkt: Einfamilienhäuser in Königsborn, Nordrhein-Westfalen. Was mal für die Ewigkeit gedacht war, wird heute zunehmend als Ware gesehen.

Einfamilienhäuser in Königsborn, Nordrhein-Westfalen. Was mal für die Ewigkeit gedacht war, wird heute zunehmend als Ware gesehen.

(Foto: imago stock&people)

Wohnräume werden immer mehr zu Spekulationsobjekten - auch in den Köpfen der Menschen.

Von Thomas Steinfeld

Zwar gibt es in Deutschland noch das gedruckte Telefonbuch. In anderen Ländern ist es jedoch schon verschwunden, und so wird es bald auch hierzulande sein. Das liegt nicht nur daran, dass Verzeichnisse von Fernsprechanschlüssen leicht ins Internet zu übertragen, dort allgemein zugänglich und stets auf dem jüngsten Stand zu halten sind. Das Telefonbuch gerät vielmehr an sein historisches Ende, weil seine systematische Grundlage entfällt: die Festnetzverbindung, in des Wortes engster Bedeutung, nämlich die Verknüpfung eines Telefonanschlusses mit einem bestimmten Ort. Ein in Buchform angelegtes Verzeichnis der Besitzer von Mobiltelefonen wäre stattdessen nur für alle Kunden einer Telefongesellschaft oder alle Besitzer von Mobiltelefonen innerhalb eines nationalen Netzes anzulegen. Diese würden dann, beweglich, wie sie sind, mit Sicherheit keine gedruckten Telefonbücher von gigantischem Umfang mit sich herumtragen.

Die Zukunft solcher Verzeichnisse lässt sich in Schweden betrachten. Dort gibt es Firmen, die nicht nur die Telefonnummer und (so vorhanden) die Adresse ins Netz stellen, sondern auch allerhand weitere Informationen über den Besitzer hinzufügen: den Beruf zum Beispiel, das Alter und den Ehestand. Vor allem aber ist in diesen Verzeichnissen eingetragen, ob man Eigentümer der Wohnung oder des Hauses ist, in dem man lebt - und es steht dort der Preis, den man gegenwärtig für dieses Eigentum erzielen könnte, wenn man es denn feilbieten wollte. Zugrunde gelegt werden dabei die bei jüngsten Verkäufen in der Nachbarschaft erreichten Summen, abgerechnet wird bis auf die Krone genau.

Auch wer sein Eigenheim mit großem Gewinn abstößt, muss danach irgendwo wohnen

Selbstverständlich ist dieser Eintrag eine Auskunft zur potenziellen Zahlungsfähigkeit des Telefonbesitzers. Aber er ist noch mehr, nämlich ein Indikator für einen grundlegenden Wandel im Umgang mit Wohneigentum: Die Immobilie erscheint nun vor allem als Kapital, und sei es in der Form, dass sich der jeweilige Eigentümer alle paar Tage ausrechnet, wie reich er wäre, wenn er denn jetzt verkaufte: "Viele Stockholmer verdienen jeden Tag 120 Euro nur dadurch, dass sie wohnen", meinte neulich eine schwedische Tageszeitung. Die Immobilie (gemeint ist hier immer: die selbst genutzte) mag dem festen Ort nicht entkommen. Aber an ihren Besitzer gebunden ist sie offenbar vor allem durch die Überlegung, sie bei nächstmöglicher Gelegenheit mit möglichst viel Gewinn abzustoßen - auch wenn alle seine Gedanken insofern illusionär sind, als er zwar ausziehen kann, aber dennoch irgendwo wohnen muss.

Von Johann Wolfgang Goethe gibt es einen Roman, den ein großes deutsches Nachrichtenmagazin vor Kurzem zu einer missratenen Liebesgeschichte erklärte und mit dieser Begründung aus dem Kreis der literarischen Klassiker aussortieren will: Gemeint sind die "Wahlverwandtschaften" aus dem Jahr 1809. Aber das Buch ist gar keine Liebesgeschichte. Es erzählt vielmehr davon, was passiert, wenn die Dinge des praktischen Lebens einer Abstraktion unterworfen werden: wenn die Liebe einem Ideal von Liebe gehorchen soll, wenn die Vorstellung eines erfüllten Lebens auf dem Lande sich gegenüber dem Leben auf dem Land verselbständigt - und wenn das Bedürfnis, das Bild eines glücklichen Daseins in einem wunderbaren Haus zu verwirklichen, dazu führt, dass man sich dieses Bildes wegen verschuldet. Tatsächlich ist die Geschichte, aus der Perspektive des frühen 19. Jahrhunderts betrachtet, ganz und gar unerhört: nicht nur, weil ein Aristokrat sein Land als Ware betrachtet und also verkauft, sondern mehr noch, weil er auf das noch zu verkaufende Land einen Kredit aufnimmt - um mit dem Geld ein, wie man es heute nennen würde: "Traumhaus" zu bauen.

Das, was eine Immobilie auszeichnet, ist immer noch da. Denn Land ist unbeweglich

In solchen Verhältnissen, in solchen Unternehmungen beginnt die Geschichte der Immobilie. Sie führt von Ackerbau und Viehzucht, die in vorindustriellen Zeiten die vorherrschenden Bestimmungen von Land waren, zur Landnahme durch Industrie und Städtebau. Sie geht vom Lebensprojekt, so wie es sich im Bau von Eigenheimen realisiert, zum Investment, wobei das Verfügungsrecht über Grund und Boden stets den Kern dieses Wirtschaftsgutes ausmacht. Am Ende ist das, was eine Immobilie auszeichnet, zwar immer noch da: denn das Land ist unbeweglich. Und doch ist die Abstraktion in ihre Substanz eingezogen: Wenn ein Quadratmeter Wohnraum in Stockholm - wie auch in München - heute mehr als das Doppelte von dem kostet, was vor zehn Jahren dafür verlangt wurde, dann spiegelt sich darin eine Entwicklung, die man auf Englisch "financialisation" nennt. Sie stellt sich als gedanklicher Übergang von der Unbeweglichkeit von Grund und Boden in die Beweglichkeit von Kapital dar, von der Immobilie zur Mobilie.

Dieser Übergang bildet den systematischen Abschluss der Entwicklung, deren Anfang Johann Wolfgang Goethe in den "Wahlverwandtschaften" schilderte. Er stellt etwas historisch Neues dar. Denn so lange es schon die Spekulation mit Immobilien geben mag: Bis vor Kurzem bestand sie vor allem in der Spekulation auf eine steigende Nachfrage nach Immobilien - bei notwendig zunehmender Knappheit des Guts. Mit der Deregulierung des Kreditmarkts, also etwa von den Achtzigern an, beginnt die Spekulation allerdings nicht nur auf die Nachfrage zu reagieren, sondern auch auf sich selbst. Seitdem werden Immobilien teurer, weil sie teurer werden: Je mehr die Preise steigen, desto größer werden die Kredite, die zu ihrem Erwerb nötig sind, desto mehr Kaufkraft wird geschaffen, desto höher werden die Preise. "Alles Ideelle, sobald es vom Realen gefordert wird", sagte Johann Wolfgang Goethe im Sommer 1810 in einem Gespräch mit Friedrich Wilhelm Riemer, "zehrt am Ende dieses und sich selbst auf. So der Kredit (Papiergeld) das Silber und sich selbst." Man kann diese Regel auch anders ausdrücken: Wenn die Summe der Immobilienkredite um zehn Prozent wächst, steigen die Immobilienpreise, wie der Internationale Währungsfonds jüngst ausgerechnet hat, um sechzehn Prozent - worauf dann die Kredite weiter wachsen, und so geht es fort.

In einem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel "Rethinking the Economics of Land and Housing" (London 2017) erklären britische Wirtschaftswirtschaftler um den Ökonomen Josh Ryan-Collins, in welchem Maße der Immobiliensektor zu einem der wichtigsten Wirtschaftsbereiche wurde, so sehr, dass er die maßgebliche Kraft im gesamten Finanzgewerbe wurde - in doppelter Hinsicht: im Hinblick darauf, dass Immobilienkredite in allen industrialisierten Ländern des Westens mittlerweile den größten Teil der insgesamt von Banken vergebenen Kredite bilden, aber auch, weil Immobilie als die mit Abstand wichtigste Sicherheit bei der Vergabe von Krediten gilt. So kommt es dann, dass sich die Vermögensverhältnisse der Bürger zunehmend am Immobilienbesitz entscheiden (wer eine Wohnung besitzt, ist wohlhabend, wer nicht, wird es nicht mehr werden). Und es gilt nicht minder, dass sehr viel Kapital, das in gesellschaftliche Produktivität investiert werden könnte, zunehmend in immobilen Anlagen ruht.

Ein Leben in Stockholms Zentrum wäre nicht weniger attraktiv, wenn die Wohnungen billig wären

Und es ist nicht die Wohnung, deren Preis so sehr steigt. Die Steigerung der Herstellungskosten halten sich im Rahmen der üblichen Inflationsraten. Es sind Grund und Boden, die teurer werden, auch wenn man im Fall vieler Eigentumswohnungen nur mit einigen Hundertsteln daran beteiligt sein mag. Und Grund und Boden sind es, die als Sicherheiten für den Kredit stehen müssen, obwohl ihr Wert längst nur noch in einem spekulativ berechneten Wert besteht. Die Vorstellung, mit einer Investition in eine Immobilie binde man das Geld an etwas Stabiles und Notwendiges, entpuppt sich auf diese Weise als eine Schimäre der finanziellen Spekulation. Man mag zwar darin wohnen können, doch residiert man tatsächlich in einem Derivat der Finanzwirtschaft. Diese Entwicklung beginnt, wenn der Wert der Immobilien schneller steigt als das durchschnittliche Einkommen - eine Entwicklung, die durch niedrige Zinsen verstärkt wird. Sie endet in der Erwartung einer radikalen Korrektur der Preise nach unten.

In der Furcht vor der "Blase" äußert sich die Ahnung, dass sich die Verhältnisse von allen realen Bestimmungen emanzipiert haben. Tatsächlich ist es ja so, dass ein Leben in der Innenstadt von München, London oder Stockholm nicht weniger attraktiv wäre, wenn die Wohnungen so billig wären, wie sie das bis vor einiger Zeit in Berlin waren. Ob es eine "Immobilienblase" gibt oder nicht, und, gefährlicher noch: ob sie platzt oder nicht, ist deswegen gerade nicht gesagt. Denn Immobilien gehören offenbar mittlerweile zur Finanzwirtschaft, und diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich von der produzierenden Wirtschaft emanzipiert hat und diese trotzdem beherrscht. Sie ist das "Ideelle", das vom Realen nicht gefordert wird - bis auf Weiteres jedenfalls, denn so geht es, solange es geht, und wenn es nicht mehr geht, geht es nicht mehr.

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