Immer Streit um Joseph Beuys:Wärst du doch in Düsseldorf geblieben

Manchen war der Mann nie geheuer, bis heute rätselt die Kunstwelt um das genaue Vermächtnis von Joseph Beuys. Pünktlich zum 25. Todestag streiten die Erben schlimmer denn je. Die Bilder.

Ruth Schneeberger

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(Foto: Joseph Beuys 1979/dpa)

Vielen war der Mann nie geheuer, bis heute rätselt die Kunstwelt um das genaue Vermächtnis von Joseph Beuys. Pünktlich zum 25. Todestag streiten die Erben schlimmer denn je. Die Bilder. So kennt die Welt den Mann mit Hut: Als einen der größten, weil bekanntesten und verstörendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Der Kriegsversehrte vom Niederrhein (12. Mai 1921 in Krefeld geboren, am 23. Januar 1986 in Düsseldorf gestorben) wird international in einem Atemzug ... Text und Bildauswahl: Ruth Schneeberger/sueddeutsche.de/kar/bön

... mit Andy Warhol genannt, inspirierte diesen auch zu einem seiner berühmten Pop-Art-Siebdruck-Bilder (im Foto) - und er galt der Kunstwelt lange als europäischer Gegenspieler zu US-Superstar Warhol. Beide hatten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre eigenen Kriege gegen den althergebrachten Kunstbegriff geführt - und beide verdienten ihr Geld mit der scheinbar alchemistischen Fähigkeit, aus Banalitäten hohe Kunst zu machen. Während Warhol in den USA die serielle Reproduktion der immergleichen wohlbekannten Motive in Angriff nahm (Stichwort: Tomatensuppendose), revolutionierte Beuys vom Niederrhein aus die Kunstwelt, indem er aus Honig, Schrott, Fett und Filz Kunst machte und öffentlichkeitswirksam den Satz in die Welt setzte: "Jeder Mensch ist ein Künstler." Das war eigentlich nicht so gemeint, ...

... dass alles, was der Mensch fabriziert, automatisch Kunst ist. Sondern eher so, dass dem Menschen eine schöpferische Kraft gegeben ist, seine Welt zu verändern, und sei sie noch so simpel. Das sei sein eigentliches Kapital, dass es zu entdecken und politisch zu nutzen gelte. Jedem Menschen wohne ein Zauber inne, den er über die Kunst besser begreifen könne. Und nicht nur den Menschen, sondern auch den Dingen.

Vielen Zeitgenossen war das damals trotzdem nicht geheuer - und der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) entließ ihn 1972 als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie. Weil Beuys damals mit von der Akademie abgelehnten Studenten das Sekretariat besetzt hatte, um eine Öffnung der elitären Künstlerausbildung zu bewirken. Seine Studenten traten daraufhin in Hungerstreik, Protestbriefe und Telegramme aus aller Welt erreichten das Wissenschaftsministerium, namhafte Schriftsteller und Künstler setzten sich für die Wiedereinstellung von Beuys ein - und ein Jahr später überquerte er in einer spektakulären Aktion und in einem von seinem Meisterschüler gebauten Einbaum den Rhein bei Oberkassel in Richtung Kunstakademie - und nannte die Aktion die "Heimholung des Joseph Beuys". Er selbst prozessierte daraufhin jahrelang gegen das Land NRW, bis es ihm den Professorentitel wiedergab, dafür aber seinen Arbeitsvertrag endgültig beenden durfte. Ähnlich streitlustig ...

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(Foto: Schloss Moyland/dpa)

... geht es nun, 25 Jahre nach seinem Tod, im Krieg um seinen Nachlass weiter: Witwe Eva und die Kinder Jessyka und Wenzel, nach eigener Aussage "ebenfalls ein Teil seiner Skulpturen", liefern sich seit Jahren einen Kampf gegen das Museum Schloss Moyland im Kreis Kleve: Hier lagern fast 5000 Arbeiten von Joseph Beuys, darunter viele frühe Zeichnungen, und etwa 20.000 Archivalien zum Leben und Wirken des Künstlers. Damit ist die Sammlung das weltweit größte Beuys-Archiv. Aufgebaut von den Gebrüdern van der Grinten, die als Jugendliche den orientierungslosen jungen Künstler nach dem Krieg und seinem Einsatz bei der Luftwaffe inklusive Flugzeugabsturz über der Krim, den er nur knapp und mit Granatensplittern im Körper überlebte, auf dem elterlichen Hof aufgenommen hatten. "Er war ein exzessiver Raucher, wollte aber das Haus nicht verlassen. Also sagten wir: Gut, wir holen dir Zigaretten - aber du musst eine Zeichnung machen. Er war da nicht störrisch", erzählte Franz van der Grinten in einem Interview mit der Zeit. Viele weitere Bilder kauften ihm die Gebrüder ab, teilweise über Jahre hinweg abbezahlt, organisierten seine erste Einzelausstellung im elterlichen Stall - und eröffneten 1997 auf dem ehemaligen Jagdschloss des Preußenkönigs Friedrich II. mit Unterstützung des Landes und der niederländischen Grafenfamilie van Steengracht, die Vorbesitzer waren, das Museum Schloss Moyland. Zu Eröffnung kam auch Johannes Rau, inzwischen als Landesvater. Die van der Grintens, Hans und Franz, von denen Bruder Hans inzwischen verstorben ist, stellten auf dem Schloss noch viele weitere Künstler als Ausdruck ihrer fleißigen Sammelleidenschaft aus - doch Gegenstand der Kritik wurde und bleibt ihr berühmter alter Freund: Beuys. Von Anbeginn kritisiert, ...

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(Foto: Moyländer Hängung/AP)

... aber erst durch den Wechsel an der Spitze des Schlosses besiegelt: die am Niederrhein berühmte "Moyländer Hängung". Angelehnt an die Eremitage in St. Petersburg, den Palazzo Pitti in Florenz und nicht zuletzt an die Ausstellungspraxis der Gebrüder Grinten seit ihren ersten Ausstellungen in der elterlichen Scheune waren die Wände hier bis vor kurzem bis obenhin dicht gehängt mit sowohl Beuys als auch den anderen Künstlern der Kunstsammler. Was den Gebrüdern ein Hochgenuss und die bestmögliche Präsentation ihrer leidenschaftlichen Sammeltätigkeit, war manch anderem ein Dorn im Auge: Seit nunmehr zwölf Jahren würden Beuys' Zeichnungen ununterbrochen dem Licht ausgesetzt, kritisierten nicht nur die Familie des Künstlers, sondern auch sein ehemaliger Privatsekretär Heiner Bastian, die "unverantwortlich dumme Dauerpräsentation" Beuys' fragiler Kunstwerke - und forderte in der Welt die Schließung von Moyland. Tatsächlich kam es im Herbst 2010 zu einer Schließung des Haupthauses - und unter Federführung der alten Pressesprecherin ...

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(Foto: Bettina Paust in der Moyländer Ausstellung/dpa)

... und neuen Museumsdirektorin Bettina Paust (im Bild) soll im Herbst 2011 die Schau neu eröffnet werden. Paust kündigte bereits das Ende der Moyländer Hängung an - und hat nun schon wieder Ärger mit den Erben: Der für ebenfalls November 2011 angekündigte "Joseph Beuys Preis für Forschung", der zur Wiedereröffnung des Museums von und auf Schloss Moyland vergeben werden soll, wird von Eva Beuys als "Kampfansage" gegen den Nachlass des Künstlers verstanden: "Weltweit einmalig an der Ausschreibung des Preises ist die Aneignung des Namens Joseph Beuys gegen den ausdrücklichen Willen der Erben des Künstlers, welche allein rechtlich durch Joseph Beuys befugt sind, dieses Erbe zu verwalten", lautet die aktuelle Erklärung der Familie Beuys. Der Streit um Beuys' Nachlass beschäftigt die Gerichte nun schon seit Jahren. Warum ...

... sämtliche mit dem Nachlass und Erbe Beschäftigten offenbar nur noch über Rechtsanwälte und die Medien kommunizieren und sich ansonsten spinnefeind zu sein scheinen, hängt nicht nur mit dem erweiterten Kunstbegriff eines Beuys zusammen, den es zu bewahren oder noch zu erweitern gilt: Der Mann erzielte noch zu Lebzeiten Höchtpreise auf dem Kunstmarkt: 1973 belegte er im Kunstkompass, einer Weltrangliste der 100 bedeutendsten Gegenwartskünstler, den vierten Platz vor Yves Klein, 1980 den ersten Platz, noch vor Robert Rauschenberg und Andy Warhol. Die Preise, die seine Arbeiten auf dem Markt erzielten, stießen oft auf Unverständnis. Der Ankauf des Environments "Zeige deine Wunde" durch das Lenbachhaus in München für 270.000 Mark wurde 1980 als Erwerb des "teuersten Sperrmülls aller Zeiten" kommentiert - es bestand aus alten Leichenbahren und Fett. Auch seine berühmte Fettecke, 1982 in der Düsseldorfer Kunstakademie installiert und postum weggewischt, endete vor Gericht, wonach sich das Land Nordrhein-Westfalen dem Kläger und Beuys-Meisterschüler Johannes Stüttgen gegenüber verpflichtete, 40.000 DM Schadensersatz zu zahlen. Und schon als ihm 1964 ein wütender Student auf einem Kunstfestival in Aachen die Nase blutig geschlagen hatte, verwandelte Beuys selbst das in eine Kunstperformance, indem er ein Kruzifix ergriff und es dem entsetzten Publikum vor die Nase hielt. Das Foto der Aktion wurde veröffentlicht - und Beuys kurz darauf zur Documenta eingeladen. Für immer verändert ...

... habe Beuys die Kunstwelt, indem er Mauern eingerissen habe, so Franz van der Grinten: "Das Materialverständnis ist seit Beuys ein anderes. Künstlerisch können Zahnpasta und Silber die gleiche Funktion haben und von daher auch dieselbe Qualität". Dass Beuys sein Gespür für Fett und Filz allerdings einem Kriegserlebnis zu verdanken habe, weil ihn nach seinem Flugzeugabsturz Krimtartaren mit ebendiesen Materialien wieder aufgepäppelt hätten, gilt inzwischen als widerlegt und Teil seiner künstlerischen Inszenierung. Auch seine Wandlung vom ehemaligen Hitlerjungen zum späteren ...

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(Foto: dpa)

... Mitbegründer der Grünen (im Bild mit Petra Kelly aus dem Foto-Band Beuys. Bilder eines Lebens, von Christiane Hoffmans, erschienen im E. A. Seemann Verlag) wurde zwiespältig beäugt: Die einen sahen in Beuys den einzigen Künstler der deutschen Nachkriegszeit, der seine nationalsozialistische Vergangenheit nicht verdrängt habe, die anderen sahen in der Mystifizierung seines Flugzeugabsturzes genau den Verdrängungsprozess bestätigt, wieder andere Kunstkritiker sahen ihn dadurch ins Positive umgewandelt. Wer genau Beuys war ...

... und was sein Werk der Nachwelt bedeutet, darüber wird die Kunstwelt noch lange streiten: Ob Schmerzensmann der Kunst oder charismatischer Seher - einig sind sich die meisten darüber, dass mit seinem Tod seine Hinterlassenschaft schwierig geworden ist. Da Beuys als Künstler der Fluxus-und Happening-Bewegung meist Teil seiner Kunst war und viele Arbeiten sich nur im Zusammenhang erschließen, fehlt den Hinterbliebenen und der Welt nun das verbindende Element: Beuys selbst. Der Mann, der die Kunstwert auf den Kopf stellte wie wenige andere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Sohn eines Futtermittelherstellers im Übrigen, ...

... wird wohl noch für viel Gesprächsstoff und Auseinandersetzung mit seiner Person sorgen. Und da er aus dem Rheinischen stammt, und ihm bei aller Besessenheit eine tüchtige Portion Humor nachgesagt wird, sollte man erahnen können: Dies wäre ihm vermutlich gar nicht so unrecht.

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