Im TV: "Standesgemäß":Die Gräfin bläst zur Jagd

Während Grafen im Privatfernsehen die große Liebe suchen dürfen, zeigt die ARD, wie schwierig der Heiratsmarkt für adelige Singlefrauen ist. Der skurrile Mikrokosmos des deutschen Adels.

S. Krasser

Neunzig Jahre nach Kaiser Wilhelm halten sich in diesem Land noch immer Traditionen, deren Archaik aus bürgerlicher Sicht Kopfschütteln bereitet. So kann zum Beispiel ein adeliger Mann heiraten, wen immer er will, ob es die hochwohlgeborene Cousine ist oder Lieschen Müller. Wenn aber eine Gräfin weiter zum Adel gehören will, muss sie einen Mann ihres Standes heiraten - oder halt alleine bleiben.

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Verena von Zerboni di Sposetti hat mit Mädcheninternat und Jurastudium eine elitäre Erziehung genossen.

(Foto: Foto: BR)

Im Adel gilt noch immer das Mannesstammprinzip, von dessen Effekt heute nicht wenige Baronessen und Freiinnen betroffen sein sollen: Sie finden einfach keinen standesgemäßen Ehemann. Von dieser sicher himmelschreienden Ungerechtigkeit erzählt Julia von Heinz, selbst adelig geboren, in ihrem dokumentarischen Debütfilm Standesgemäß, der drei blaublütige Singlefrauen jenseits der Dreißig porträtiert.

Von Heinz beschäftigt nicht nur die Partnersuche. Sie schaut, eindeutig zum Gewinn ihrer Gesellschaftsstudie, noch ein paar Schichten tiefer und findet verwitterte Schlösser, bemooste Mauern, verwachsene Parks - romantische Rudimente aus einer Welt, die keine Kraft mehr hat. Dafür wurde den drei porträtierten Damen mit den noblen Namen von Kindheit an beigebracht, dass man eine Teetasse nicht mit zwei Händen hält, als wäre sie ein Goldklumpen. Nicht beigebracht wurde ihnen, wie sie den Ansprüchen von Tradition und Alltag gerecht werden können. Das Empfinden, besonders zu sein, sitzt noch immer tief.

Alexandra Gräfin von Bredow heißt eine der drei besonderen Außenseiterinnen. Vom Typ her ähnelt sie Britanniens lustiger Prinzenfreundin Sarah Ferguson. Auch sie trägt die Lebensfreude bis in die roten Haarspitzen. Und sie liebt den mondänen Auftritt, ob beim Karneval in Venedig oder in Karlsbad, wo sich der europäische Adel zum Ball aufhübscht - einmal im Mittelpunkt stehen, das ist fein. Im Alltag lebt die rote Gräfin schlicht: im Einzimmerapartment in einem Münchner Betonblock. Dort, auf dem hellen Teppichboden kauernd, fertigt sie Jadeketten zum Verkauf am Weihnachtsmarkt. Davon bestreitet Alexandra derzeit ihren Unterhalt.

Einen Moment schwingen Melancholie und Mitgefühl mit, wenn Kamera und Regie die gräfliche Tristesse wieder verlassen. Echte Not herrscht indes nicht. Die Stimmung schlägt auch schnell um, wenn sich Alexandra zur Jagd begleiten lässt: Der Lodenmantel sitzt, der Rauhaardackel flitzt, nur der Bock ist plötzlich auf Nimmersehen fort. Die Komik in solchen Szenen ist zum Schießen.

Standesgemäß, ARD, 23.45 Uhr (ursprünglich 23.30 Uhr, Sendezeit geändert).

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