Im Porträt: Chistopher Nolan:Was ein Genie so redet

Chistopher Nolan ist noch nicht 40 und schon einer der erfolgreichsten Regisseure in Hollywood. Nun kommt seiner neuer Film "Inception" ins Kino und wie immer kämpfen die Figuren gegen den Wahnsinn, der sich in ihrem Inneren abspielt. Ein Besuch.

Roland Huschke

Manchmal schlägt das Herz von Hollywood auch auf einer grünen Wiese in der britischen Provinz. Etwa eine Stunde nördlich von London, wo die Straßen zunehmend rumpeliger werden und rein gar nichts die grasenden Schafe stört, steht in der Nähe des Städtchens Cardigan ein gewaltiger, schmuckloser Bau. Bis in die sechziger Jahre wurden in diesem ehemaligen Hangar für Luftschiffe Flugzeuge gewartet oder Wetterballons mit Elektronik bestückt. Heute schützen genug Schlagbäume, Wachleute und Sicherheitsschleusen das Gelände, man könnte hier auch das Hauptquartier eines dieser nach Weltherrschaft strebenden Superschurken aus den James- Bond-Filmen vermuten.

Handout photo shows actor Heath Ledger starring as the Joker along with Christian Bale as Batman in the movie "The Dark Knight"

Man kann nur ahnen, wie schwer es Christopher Nolan getroffen haben muss, als Heath Ledger (hier als Joker) starb, noch bevor ihr gemeinsamer Film "The Dark Knight" Geschichte schreiben konnte. Er, Nolan, gilt spätestens seit diesem Film als Wunderknabe der Industrie. 

(Foto: Reuters)

Glücklicherweise dürften dem Hausherrn feindselige Absichten fremd sein auch wenn eine gewisse Neigung zu globaler Leinwanddominanz nach einer Milliarde Dollar Kasse allein für seinen zweiten Batman-Film "The Dark Knight" schwerlich zu leugnen ist. Dass er sein eigenes Studio zur Verfügung gestellt bekommt, wo Kollegen Ateliers in Babelsberg oder Pinewood mieten müssen, verrät schon viel über den erstaunlichen Status des gebürtigen Briten Christopher Nolan, 39. Längst lebt der Filmemacher zwar in Los Angeles, wo er die heimische Doppelgarage zum Schnittstudio umfunktioniert hat. Doch wann immer Nolan sein Filmteam zusammentrommelt und im großen Stil zu träumen beginnt, dann braucht er Platz. Viel Platz.

Zwischen düsteren Gebäudefassaden der Comicstadt Gotham City, die auf zwei Hektar Arbeitsfläche in allen Ecken für ihren nächsten Einsatz in "Batman 3" geparkt sind, drehte Nolan im August vorigen Jahres sein neues Werk "Inception" ("Anfang", "Anbeginn"). Auf den unvorbereiteten Besucher dieser Dreharbeiten prasseln die Eindrücke in jenen Tagen blitzartig und zusammenhangslos herein. Eben noch werden Schauspieler durch eine Zentrifuge geschleudert, deren Innenraum einem Hotelkorridor nachgebaut ist. Dann stapft ein bedrohlicher Skimaskenträger vorbei, durch dessen Sehschlitze man vom gehetzten Blick Leonardo DiCaprios getroffen wird. In einem Konferenzraum, aus man sich als Journalist laut mehrfacher Ansage bloß nicht zu entfernen wagen darf, sind die Wände gespickt mit Zeichnungen und Motiven, mit Referenzen und Fotos für "Inception".

Zu sehen sind tsunamiartig überflutete Großstädte, einstürzende asiatische Tempel oder eine archaische Festung in Eis und Schnee. Von 250 Millionen Dollar Kosten für die Realisierung dieser Bilder wird noch gemunkelt, inzwischen hat sich das offizielle Budget bei 180 Millionen eingependelt. Das weiß man immerhin damals schon. Und: Es geht um eine Gang von Meisterdieben, die in die Traumwelten betäubter Personen eindringen können, um Ideen aus deren Unterbewusstsein zu stehlen oder Gedanken zu implantieren.

Diese originäre Prämisse und Nolans Reputation für intelligent verschachtelte Stories genügen, um "Inception" zum sehnlichst erwarteten Film des Jahres zu machen. Selbst die Oscar-Auguren hyperventilieren schon. Mit eiserner Geheimniskrämerei und minimalistischem Marketing kommt "Inception" wie eine Schläferzelle unter den üblichen Sommerspektakeln ins Kino.

"Es wäre doch schön, wenn die Leute mal nackt in einen Film gehen und nicht vorher wissen, was sie im Detail erwartet", sagt Christopher Nolan, der viel um den heißen Brei herumredet und sich fast die Zunge beim Versuch bricht, über seinen persönlichsten und teuersten Film zu sprechen, ohne sich zu sehr in die Karten blicken zu lassen. Zu behaupten, dass Christopher Nolan, der mit "The Prestige" nicht von ungefähr auch schon einen Film über meisterliche Magier gedreht hat, ein veritables Pokerface hätte, würde seiner Undurchdringlichkeit nicht gerecht. Sollte er sich mal für die Schauspielerei entscheiden, könnte er ohne Probleme Lehrer oder Spione spielen, Adlige oder Bankiers, so diskret und quintessentiell englisch ist seine Erscheinung.

Sanft und nachdenklich klingt Nolans Stimme selbst dann, wenn ringsherum hundert Crewmitglieder mit zweihundert kleinen Problemen auf Anweisungen warten. Ganz egal auch, wen man fragt: Niemand hat Nolan je im oberen Dezibelbereich erlebt.

Bloß kein Eigenlob

Dazu passt sein oft stoischer Gesichtsausdruck mit den hängenden Mundwinkeln, den ein zufriedenes Lächeln so selten unterbricht wie sichtlicher Unmut. Ehrlich gesagt sieht Christopher Nolan bei der Arbeit ziemlich gelangweilt aus. Das Drehen eines Films, kommentiert er später auch, erinnere ihn immer an "Malen nach Zahlen", weil die Szenen in seinem Kopf eben längst komponiert seien, und die Realisierung allzu viel tote Zeit verschlinge. Malen nach Zahlen. Was Genies eben so daherreden, um ja nicht nach Eigenlob zu klingen.

Christopher Nolan

Christopher Nolan redet viel um den heißen Brei herum und bricht sich fast die Zunge beim Versuch, über seinen persönlichsten und teuersten Film (hier ein Bild von der Premiere) zu sprechen, ohne sich zu sehr in die Karten blicken zu lassen.

(Foto: ap)

Sehr viel tiefer kann man nicht stapeln. In ähnlicher Manier wehrt Nolan jede Frage ab, die auf seinen Status in der Branche zielt. Da windet er sich, als sei es ihm unangenehm, in seinem Alter bereits ein Star-Regisseur zu sein. Als habe er nach "Memento", "Insomnia" oder "Batman Returns" nicht "The Dark Night", den dritterfolgreichsten Film aller Zeiten, gedreht. Als gelte er nicht als Wunderknabe der Industrie, dem das Filmstudio Warner Bros. unlängst die Schlüssel zum Königreich in die Hände legte, als es ihm neben "Batman" auch noch seine wichtigste Markenfigur "Superman" für einen Serien-Neustart anvertraute.

Wenn Nolan überhaupt ein Ego hat, dann äußert sich das allenfalls in seiner Uniform. Wo immer man ihn trifft: Garantiert trägt er einen dunklen Dreiteiler. Am Hemd dazu ein paar Knöpfe geöffnet, auch am "Inception"-Set, ungeachtet des Atelierstaubes, der sich in dicken Schlieren auf den feinen Zwirn legt. Bemerkenswert ist Nolans Stiltreue nicht aus modischen, sondern aus symbolischen Gründen. Ganz ähnlich wie Rollkragenpullovermann Steve Jobs signalisiert Nolan nach außen, dass er Wichtigeres zu tun habe, als sich täglich über neue Garderoben Gedanken zu machen. An Zufall mag man dabei nicht glauben Nolan ist einer aus der neuen Generation regieführender Unternehmer, die sich wie einen organischen Teil ihres Gesamtwerkes und mit Popstar-Popularität inszenieren.

So wie der Texaner Robert Rodriguez ("Sin City") nie ohne Cowboykluft zu sehen ist, Wes Anderson ("The Life Aquatic") seiner Exzentrik mit Vorliebe in braunen Cordanzügen Rechnung trägt oder James Cameron ("Avatar") mit wehendem weißen Haar der Weisheit den Bono des Kinos gibt, wirkt auch Christopher Nolan wie ein persönlicher Botschafter seiner Stoffe. Er macht Filme über schweigsame, professionelle, urbane Männer, die sich einsam ihren Weg zum Ziel bahnen. Eine Charakterisierung, mit der auch Nolan wohl gut leben könnte. Wer noch nie einen seiner Filme gesehen hat, muss sie sich als Thriller vorstellen, die zum Beispiel mit einem wahnwitzigen Banküberfall beginnen und dann geschwind an Fahrt aufnehmen. Den Adrenalinspiegel des Zuschauers wollen auch andere hochpumpen. Aber Nolans Spezialdisziplin sind Hauptfiguren, die gemeinsam eine Migräne-Selbsthilfegruppe gründen könnten.

In "Memento" kämpft Guy Pierce gegen Amnesie an, in "Insomnia" wird Al Pacino bald verrückt vor Schlafentzug, und "Inception" spielt nun fast komplett in den schmerzenden Köpfen der Protagonisten. "Ich beschäftige mich seit meiner Jugend mit Traumforschung und Neurologie", sagt Nolan, "und bin ungebrochen fasziniert von den unerforschten Gedankenwelten, die jeder mit sich trägt. Die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, gespaltene Persönlichkeiten aufzubauen oder im Schlaf einekomplette Parallelrealität zu erfinden, standen bisher am Anfang jeden Stoffes, für den ich mich entschieden habe."

Sparsam mit Emotionen

Das klingt so kompliziert, wie es in Nolans nicht ganz an den Gesetzen der Logik orientierten Filmen auch zugeht. Weil er kopflastiges Gegrübel der europäischen Autorenschule mit knackigem US-Eskapismus für Jungs jeden Alters nahtlos verbindet, gilt er als risikofreudigster aller Blockbuster-Regisseure. Nur dass er auch davon nichts hören will. "Mein Job besteht in erster Linie darin, die Kontrolle über einen riesigen Apparat zu behalten", erklärt er, "aber damit mir der Laden zur Halbzeit nicht um die Ohren fliegt, muss ich im Vorfeld so präzise planen wie möglich. Also nehme ich mir sehr, sehr viel Zeit zum Nachdenken, bevor ich ein Drehbuch schreibe - und drehe keine Szene, bevor nicht jedes Wort genau dieses Drehbuchs abgesegnet ist."

Solch ein Satz zeigt, dass Nolan trotz unauffälligen Wesens ein Mann mit sturer künstlerischer Vision ist. Er mag bislang keine Anstalten machen, seine Branchenmacht wie ein frischgebackener Mogul auszuweiten. Und er ist sicher auch kein so kühler Rechner wie Landsmann Stanley Kubrick, mit dem ihn manche Kritiker schon vergleichen. Doch nichts entgeht bei Nolans Filmen seiner Kontrolle: Mit einem engen Netz an Vertrauten sichert er sie ab. Seine Ehefrau Emma Nolan, die sich am Set nebenher auch um die drei Kinder des Paares kümmert, hält ihm den Rücken bei der Produktion frei, während er mit dem jüngeren Bruder Jonathan gemeinsam Drehbücher schreibt.

Wie familiär es bei Nolan zugeht, obwohl von seiner Arbeit nicht zuletzt die Bilanz des Mutterkonzerns Time Warner abhängt, ließ sich auch schon vor vier Jahren beim Besuch der Dreharbeiten von "The Dark Knight" in Chicago erkennen. Während für eine Massenszene in Downtown Hunderte Statisten auf sein Regiekommando warteten, steckte er bei einer stets vorhandenen Kanne Tee gemütlich die Köpfe mit seinen Stars Christian Bale und Heath Ledger zusammen. Irgendwann dann nur eine lässige Handbewegung statt eines "Action!"- Rufes - und sofort brach ein Pandämonium wild um sich feuernder Cops und Gangster aus, in dessen Zentrum der Filmemacher mit der Gemütsruhe von Yedi-Meister Yoda ruhte und auf dem Monitor eher beiläufig nach dem Rechten sah.

Man kann nur ahnen, wie schwer es ihn traf, als Ledger Monate später an einer Medikamentenüberdosis starb, während der gemeinsame Film Geschichte schrieb. Mit Emotionen geht Nolan grundsätzlich sparsam um, doch als er den Golden Globe für die schauspielerische Leistung des toten Freundes entgegennahm, erstickte auch dem sonst so gefassten Regisseur die Stimme. Er hätte sich danach für längere Zeit zurückziehen, das Geschehene verarbeiten und zur Abwechslung keine existentiellen Fragen ergründen können. Niemand wäre verwundert gewesen.

Doch zum einen "tut es mir gut, nach solch einer lähmenden Erfahrung wieder zu arbeiten und auch negative Gefühle mit Kreativität zu verarbeiten". Zum anderen weiß auch Nolan genau, dass dies sein Moment ist. Wenn "Inception" beim Publikum ankommt - und erste Zahlen aus den USA deuten darauf hin -, hat er endgültig bewiesen, dass sein Name ein ebenso starker Anreiz ist wie die kostümierten Ikonen aus seinen "Batman"-Filmen. Einen Tag nach dem Deutschland-Start wird er vierzig Jahre alt. Gut möglich, dass er morgens aufwacht und der kommerziell wichtigste Regisseur der Welt ist. Seine Reaktion kann man sich vorstellen: Mehr als ein Schulterzucken dürfte nicht drin sein.

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