Im Kino: "Zerrissene Umarmungen":Der Liebende hat immer recht

Der letzte Ritter der Passion: Pedro Almodóvar stellt einmal mehr Penélope Cruz ins Zentrum eines leidenschaftlich-labyrinthischen Dramas: "Zerrissene Umarmungen".

Rainer Gansera

Wie man toten Hasen Bilder erklärt - ein Beuys-Zitat, das kurz auf einem T-Shirt zu lesen ist. Darum geht es in Pedro Almodóvars siebzehntem Spielfilm: um die Spiegelung lebendiger Bilder in toten Augen. Erinnerungsbilder. Bilder heftigster Leidenschaft. Wie könnte es anders sein bei einem Filmemacher, für den amour fou und amour du cinéma unlösbar verstrickt sind, der mit seiner Leidenschaft fürs Kino die Liebesleidenschaften immer neu durchquert, und heute, in der Zeit des medialen Ausverkaufs der Leidenschaftlichkeiten, wie ein letzter Ritter der großen Passion erscheint.

Im Kino: "Zerrissene Umarmungen": Telenovela mit Tiefgang: Femme fatale, Ehefrau und Callgirl Lena (Penélope Cruz) verliebt sich in Regisseur Mateo (Lluís Homar).

Telenovela mit Tiefgang: Femme fatale, Ehefrau und Callgirl Lena (Penélope Cruz) verliebt sich in Regisseur Mateo (Lluís Homar).

(Foto: Screenshot: filmstarts.de)

Als wild verschlungenes, labyrinthisches Schicksalsdrama konstruiert Almodóvar eine Geschichte, die sich kaum nacherzählen lässt, deren Story-Skelett jedoch der nächstbesten Telenovela entnommen sein könnte: Steinreicher alter Knacker, ein Bankier namens Ernesto Martel, ehelicht superhübsche junge Frau, Lena (Penélope Cruz), die sich in Geldnot befindet, weil sie ihrem todkranken Vater helfen will, und sich deshalb als Teilzeit-Callgirl verdingt hat. Lena langweilt sich als Luxusehefrau und will Schauspielerin werden. Also finanziert der Gatte einen Film, die Komödie "Frauen und Koffer", bei dem Lena sich Hals über Kopf in den smarten Regisseur Mateo (Lluís Homar) verliebt.

Eifersüchtig spioniert Ehemann Ernesto dem Liebespaar nach und sinnt auf Rache. Es kommt zu einem Autounfall, Lena stirbt, Mateo erblindet. Almodóvar - Galionsfigur des spanischen Kinos seit mehr als 20 Jahren - knüpft an die Spezialität seiner frühen Filme an, mixt Pop-Trash und Pop-Art, Komik und Melo, und treibt den Mix im Eifersuchtsdrama auf die Spitze: Wenn Ernesto die Dreharbeiten zum Film-im-Film von seinem Sohn filmen lässt und die stummen Aufnahmen von einer Frau, von den Lippen lesend, synchronisiert werden. Da erhält der gehörnte Ehemann in einer aberwitzig komischen Situation den niederschmetternden Beweis für die Untreue seiner Lena.

Im Gegensatz zu den hymnischen Frauenfilmen, die Almodóvar zuletzt präsentierte ("Alles über meine Mutter", "Volver"), stellt er hier einen Mann ins Erzählzentrum: den Filmemacher Mateo, der nach seiner Erblindung seine Identität wechselt, sich Harry Caine nennt und nur mehr Drehbücher für Genre-Filme schreibt. Während Mateo/Harry mit seinem Sohn (von dem er zuerst nicht weiß, dass er sein Sohn ist) an einem neuen Projekt arbeitet, wird er an Lena erinnert, an die Liebe seines Lebens. So springt der Film fünfzehn Jahre zurück, verwebt die beiden Zeitebenen, streift die verschiedensten Genres (Komödie, Thriller, Melo), um schließlich in ein Schicksalsdrama zu münden, das sich auf zwei Farben konzentriert, Rot und Schwarz, und auf ein Thema - die Liebe, die den Tod überdauert, verdichtet in Bildern inniger Umarmung.

Bilder, die tote Augen sehend machen

Ein Bild wird besonders hervorgehoben. Es stammt aus Roberto Rossellinis "Viaggio in Italia" (1954). Das Schlüsselbild der Schlüsselszene, die Almodóvar in seinem Arbeitsjournal so beschreibt: "Mein Liebespaar, Lena und Mateo, sucht Zuflucht auf einer Insel, Lanzarote. Die beiden sehen im Fernsehen "Viaggio in Italia": die Szene, in der Ingrid Bergman und George Sanders die Ausgrabungen in Pompeji besuchen. Der Führer zeigt ihnen den Gipsabdruck eines Paares, das von der Lava des Vesuv-Ausbruchs gerade in dem Moment überrascht wurde, als es miteinander schlief. Diese Szene berührt Lena tief, erschüttert sie, und sie birgt ihr Gesicht an Mateos Brust. Sie umfasst Mateo fest und hofft: Wenn der Tod kommen sollte, möge er sie gerade in solch einem Moment überraschen, bei der Umarmung mit dem Mann, den sie liebt!"

Und wieder entzündet sich Almodóvars Blick an seiner Heldin, also an seiner Muse und Komplizin Penélope Cruz. Sie wird zum Zentrum aller Passionen und Projektionen. "Habe einige Fotos von Penélope aus Woody Allens Film "Vicky Cristina Barcelona" gesehen", notiert Almodóvar. "Ihre Frisur ist da so zerzaust wie in "Volver". Schon vor den Testaufnahmen zu "Los Abrazos Rotos" hatte ich mich entschieden, diesen "zerzausten Haarstil", der von Sophia Loren inspiriert ist, und der Penélope so gut zu Gesicht steht, diesmal zu vermeiden. Ich habe wirklich Vergnügen daran, Penélope immer neu zu erfinden."

Und er erfindet sie neu, doppelgesichtig: einerseits als Femme fatale, die sich mit wechselnden Perücken und Outfits als Vexierbild von Audrey Hepburn und Marilyn Monroe darbietet; andererseits als hübsche Brünette, die hingebungsvoll lieben kann. Wunderbare Momente formt er mit ihr aus einfachsten Gesten: aus einem verlegenen Lächeln, aus dem überraschten Blick angesichts eines unerwarteten Gastes, und wenn einmal, als sie Tomaten schneidet, eine Träne in Großaufnahme auf das Rot der Tomate tropft, dann entsteht der große Almodóvar-Augenblick: Pathos und Ironie, Schmerz und Schönheit, Künstlichkeit und wahre Empfindung. Bei Almodóvar haben leidenschaftlich Liebende immer recht. Deshalb umgibt alle Figuren ein würdevoller Ernst, auch die des betrogenen Ehemanns, der sich an Lena und Mateo gnadenlos rächt.

"Labyrinth der Leidenschaften" (1982) hieß einer seiner ersten Filme - die Liebesgeschichte zwischen einem schwulen arabischen Prinzen und der nymphomanen Tochter eines Gynäkologen. Typisch für Almodóvars wilde Jahre, die 1988 im internationalen Erfolg von "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" gipfelten. Zehn Jahre später, mit "Alles über meine Mutter", wurde er leiser, eindringlicher, und die Mutterfiguren beherrschten seine Imagination. Nun eine Wendung ins Kühlere, Härtere: hin zur Schattenwelt des Film noir. Almodóvar sieht es als konsequente Entwicklung. Manchen Aficionados gefällt diese Wendung nicht. Sie vermissen Schrillheit, Buntheit, aufschäumendes Melo-Pathos, sie sehen Almodóvar im Gefängnis einer sich selbst bespiegelnden Klassizität. Dabei erobert er sich nur das Thema, bei dem alle großen Filmautoren zuletzt angekommen sind: das Dunkel existentieller Einsamkeit und schicksalshafter Fatalität. Er findet dafür genau die richtigen Bilder. Aus der Erinnerung ausgegrabene Bilder. Bilder, die tote Augen wieder sehend machen können.

LOS ABRAZOS ROTOS, Sp 2009 - Regie, Buch: Pedro Almodóvar. Kamera: Rodrigo Prieto. Schnitt: José Salcedo. Musik: Alberto Iglesias. Ausstattung: Antxon Gómez. Mit: Penélope Cruz, Lluís Homar, Blanca Portillo, José Luis Gómez, Rubén Ochandiano, Ángela Molina, Rossy de Palma. Tobis, 128 Minuten.

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