Im Kino: We Want Sex:Lern fliegen, Puppe

In der Hitze der Fabrik: "We Want Sex" von Nigel Cole erzählt, wie die britischen Frauen 1968 Männerlöhne erstritten. Das ist manchmal etwas stereotyp, zeigt aber vor allem eins: Revolution kann sexy sein.

Rainer Gansera

Revolution muss sexy sein. In manchen geschichtlichen Augenblicken war sie das auch. Sexy ist eine Revolution, wenn die Empörung frisch und munter aufbricht, frei von dogmatischen Leitlinien; wenn die Aktionen ihre Dynamik wie von selbst entwickeln und dabei ungeahnte Durchschlagskraft gewinnen. 1968, bei den Streikaktionen der Arbeiterinnen der Ford-Niederlassung in Dagenham war es so. Der erste Streik von Frauen, die "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" auf ihre Transparente schrieben. Ihre Aktionen führten dazu, dass 1970 in Großbritannien der "Equal Pay Act" verabschiedet wurde. Davon erzählt Nigel Coles Made in Dagenham, dessen hiesiger Titel We Want Sex - der deutsche Verleih musste den internationalen Verleihtitel übernehmen - irreführend und dumm nach Sexklamotte klingt.

Themendienst Kino: We Want Sex

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Englische Frauen kämpfen um eine gerechte Bezahlung, doch We Want Sex ist kein britisches Sozialdrama.

(Foto: dapd)

Made in Dagenham ist kein britisches Sozialdrama in der Manier von Mike Leigh, sondern eine fröhliche Mischung aus Klassenkampf-Komödie, Feminismus-Märchen und Retro-Party. Im Zentrum: die erstaunliche Verwandlung einer braven Hausfrau und Arbeiterin zur selbstbewussten Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Sie heißt Rita O'Grady, und Sally Hawkins verkörpert sie mit hinreißendem Elan. Zuerst schliddert Rita einfach so in die Rolle der Streikführerin. Ihre Stimme zittert, als sie in der baufälligen Fabrikhalle zum ersten Mal auf den Stuhl steigt und ihre Kolleginnen - 187 Näherinnen - zum Protest auffordert. Protest gegen die Einstufung als "Ungelernte" und gegen die eklatante Minderbezahlung im Vergleich zu den Männern. Dann führt sie das Wort bei den Verhandlungen mit Gewerkschaftsführern, Werksleitung, auch mit der Arbeitsministerin der Labour-Regierung, und sie gewinnt dabei an Statur, Entschiedenheit und Witz. Ein Schmetterling, der sich entpuppt.

Die anderen Figuren erhalten typisierenden Zuschnitt, vor allem die Männer: geschniegelte Manager, ängstliche Ehemänner, korrupte Gewerkschaftsbonzen, arrogante Lehrer. Platzhalter gesellschaftlicher Positionen, manchmal etwas stereotyp hingesetzt, insgesamt aber eine Figuren-Aufstellung, die das bunteste Spiel der Klassen- und Charaktergegensätze ermöglicht.

Fast mag man die Briten darum beneiden, dass ihre Gesellschaft noch von richtigen, auch kulturell durchformulierten Klassenstrukturen geprägt ist. Da lassen sich die Konflikte kantig und prägnant in Szene setzen. Lovely Rita durchschaut den Dünkel der Männer-Gesellschaft, übersteht tapfer alle Ehekrisen und Attacken der Bosse. Unerwartet erhält sie in klassenübergreifender Frauen-Solidarität Zuspruch durch eine Upperclass-Ehefrau, Lisa (blendende Schönheit: Rosamund Pike), Gattin eines hochrangigen Ford-Managers, die sich durch Ritas rebellisches Vorbild inspiriert fühlt. Fabel? Wunschtraum? Märchen? Egal: hübsch ausgedacht, wie der Gang der eleganten Cambridge-Absolventin durch die tristen Flure des sozialen Wohnungsbaus zur Wallfahrt wird.

Alles dient dazu, das Feuer der Aufbruchstimmung immer heftiger zu entfachen. Selbst die klimatischen Bedingungen dürfen einen wichtigen Part spielen. Die unerträgliche Hitze in der Fabrikhalle kann man auf der Haut spüren. Das Motiv der plötzlichen Regengüsse wird hingebungsvoll dekliniert: von der melancholischen Kulisse bis zum dramatischen Antrieb. Besonderes Vergnügen findet Cole daran, die Zeitstimmung der späten sechziger Jahre als flirrendes Retro-Kaleidoskop vorzuführen: Mary-Quant-Hot-Pants, Disco-Hits ("Wooly Bully", "Green Tambourine"), die ersten Farbfernseher, Bilder der Studentenunruhen und der Straßenkämpfe in Paris. Wenn der Demonstrationszug der Näherinnen durch London treibt, präsentiert Cole die Frauen als stolze Arbeiterklasse-Achtundsechzigerinnen. Ihre Revolution war sexy.

MADE IN DAGENHAM, GB 2010 - Regie: Nigel Cole. Buch: Billy Ivory. Kamera: John de Borman. Musik: David Arnold. Mit: Sally Hawkins, Bob Hoskins, Miranda Richardson, Geraldine James, Rosamund Pike, Andrea Riseborough, Daniel Mays, Jaime Winstone, Rupert Graves, John Sessions. Tobis, 114 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: