Im Kino: "Tropa de Elite":Erst schießen, dann fragen

Die Totenkopf-Brigade und die hoffnungslos unfähige Politik: Brasiliens Abgründe werden sichtbar im Drama "Tropa de Elite", dem aufregend fragwürdigen Gewinner der Berlinale.

Tobias Kniebe

Hier wird Klartext geredet. Von Anfang an. Bevor man den Erzähler sieht, berichtet er schon von den 700 Favelas in Rio de Janeiro, die von Drogenbaronen regiert werden, und von der Polizei, die dagegen machtlos ist: "Der Frieden in Rio", raunt er mit müder, fatalistischer Stimme"beruht auf einer heiklen Balance zwischen der Feuerkraft der Banden und der Korruption der Cops. Ehrlichkeit gehört nicht zu diesem Spiel. Also muss jeder Polizist eine Entscheidung treffen: Entweder nimmt er das schmutzige Geld - oder er beschließt, Krieg zu führen. Ich habe den Krieg gewählt."

Im Kino: "Tropa de Elite": Die Elite-Polizisten der BOPE sind in den anarchischen Favelas von Rio der brutale Brückenkopf eines machtlosen Staates.

Die Elite-Polizisten der BOPE sind in den anarchischen Favelas von Rio der brutale Brückenkopf eines machtlosen Staates.

(Foto: Foto: Senator)

Der da spricht, ist Capitão Nascimento (Wagner Moura), Teamleiter in der Spezialeinheit für Bandenbekämpfung, Batalhão de Operações Policiais Especiais (BOPE) genannt. Diese real existierenden Militärpolizisten definieren sich gerade im Unterschied zur normalen Polizei. Ihr Logo ist ein Totenkopf vor gekreuzten Pistolen, in den bis zum Anschlag ein Messer hineingerammt ist. Ihre Uniform ist schwarz. Die tägliche Koexistenz mit den Bandenführern ist nicht ihre Aufgabe - wenn sie in die Slums fahren, dann in einer Art Panzerfahrzeug mit Schießscharten, aus denen sie gern nach allen Seiten das Feuer eröffnen. Dann fährt der Wagen wieder ab, ohne dass jemand ausgestiegen wäre, und die Toten draußen bleiben liegen. Ein eigenwilliges, sehr brasilianisches Verständnis des Rechtsstaats.

Auge um Auge

Wer aus dem Inneren einer solchen Einheit erzählen will, wie der Regisseur José Padilha mit seinem Film "Tropa de Elite - Elitetruppe", erzählt aus dem Inneren eines alttestamentarischen Lebensgefühls heraus: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Erst schießen, dann fragen, dann foltern, dann nochmal fragen, dann hinrichten. Wer eine Figur wie Capitão Nascimento auswählt, um die brasilianische Realität zu erklären, sieht diese Realität notwendigerweise durch eine faschistisch getönte Brille. Soviel ist klar.

Nicht ganz so klar ist eine Zeitlang, ob der Film auch andere Standpunkte kennt. Seine Identifikationsfigur ist der junge Schwarze André Matias (André Ramiro), der es zunächst bei der normalen Polizei versucht und gleichzeitig Jura studiert. Der Film folgt ihm in Seminare, wo reiche brasilianische Kids einen Joint durchziehen, Michel Foucaults "Überwachen und Strafen" lesen und die Polizei als faschistoid anklagen. Er folgt ihm sogar weiter bis zu einer Hilfsorganisation, die in den Favelas versucht, etwas für die Kinder zu tun. In die weiße, idealistische Kommilitonin aus der Oberschicht, die Matias dorthin mitnimmt, verliebt er sich. Der Preis dafür ist, dass er seine Identität als Cop verheimlichen muss.

Gibt es hier vielleicht doch mehr als eine Sichtweise? Entwirft Padilha gar ein ganzes Panorama der brasilianischen Gesellschaft? Oh nein. Er tut nur so. Matias durchläuft eine Initiation, die ihn nach der Logik des Films ganz notwendig zum Killer machen muss. Im Einsatz bei Nacht wird er von Capitão Nascimento und seinen BOPE-Mannen gerettet. Daraufhin bewirbt er sich selbst bei der Eliteeinheit, wird genommen und durchläuft ein brutales Trainingsprogramm. Die Blauäugigkeit seiner Studienfreunde führt unterdessen zu Toten im Slum. Ihr Drogenkonsum macht sie sogar zu Dealern im Auftrag des Bandenchefs, der bald sein wahres Gesicht als ruchloser Killer zeigt. Capitão Nascimento, der eigentlich amtsmüde ist und einen Nachfolger sucht, macht die Jagd auf diesen Bastard zu seiner letzten Mission. Als der Feind dann gestellt ist, übergibt der Capitão die Pumpgun an Matias, der bisher beim Foltern und Töten noch zu zögerlich war. Das Bild wird hell und luzide. Matias drückt ab. Nachfolger gefunden. Film aus.

Ins Gruseln

Die echte BOPE wollte den Kinostart des Films in Brasilien verhindern - so krank sind die Gesetzeshüter selbst in Brasilien nicht, dass sie sich gern offiziell so dargestellt sähen. Mehr als fünfzehn Millionen Brasilianer aber waren begeistert dabei, die Slumbewohner genossen vor allem die Raubkopie, und man kann dem Regisseur Padilha schon glauben, dass hier jedes Lager seine eigene Wahrheit gesehen hat: Außerhalb der Slums wurde Capitão Nascimento eine Art Volksheld, in den Favelas dagegen fand man, hier würde die Arbeit der Polizei wenigstens einmal realistisch dargestellt. Und wer weiß: Vielleicht ist es unter solchen Umständen ja wirklich schon ein Verdienst, die Realität der Gewalt im Land einmal ungeschönt abzubilden.

Anderseits fragt man sich dann doch, warum eine internationale Jury diesem Film letztes Jahr den Hauptpreis der Berlinale, den Goldenen Bären, zuerkannt hat. So zielstrebig funktioniert die Demagogie, so aufputschend sind die Rhythmen des Baile-Funks und das Stakkato der Feuergefechte, so clever verbirgt der Film seine eigentlichen Absichten, dass man doch ein wenig ins Gruseln kommt. Wahrscheinlich sollte wohl gewürdigt werden, dass die Macher von "Tropa de Elite" sich mitten ins Getümmel geworfen haben, dass sie sich auf heikles Terrain begeben und rohe Emotionen wecken, alles mit dem altmodisch-ehrenwerten Ziel, das der Produzent bei der Bären-Verleihung ins Publikum rief: "Wir wollen Brasilien verändern!"

In welche Richtung aber, dafür liefert der Film keinerlei Anhaltspunkte, und das ist am Ende noch das Positivste, was man über ihn sagen kann: Mögen die BOPE-Männer tapfere Killer sein, die gegen jede Bestechung immun sind - die Vergeblichkeit ihres Tötens, die Unmöglichkeit, zu den Wurzeln der Probleme vorzudringen, ist jeden Moment des Filmes evident.

Der große Krieg, den Capitão Nascimento führt, dient in der Erzählung einem einzigen offiziellen Zweck: Der Papst wird nach Rio de Janeiro kommen, und er hat beschlossen, im Bischofspalast zu nächtigen. Der aber liegt am Fuße eines Hügels, der von den übelsten Gangs beherrscht wird, und nächtliches Maschinenpistolenfeuer in den Ohren des Heiligen Vaters, das geht nun wirklich nicht. "Bringt ihn woanders unter, ich zahle das Zimmer persönlich", flucht Nascimento vor seinem Boss, aber es hilft nichts. Denn genau das ist ja sein Job: Einer hoffnungslos unfähigen Politik noch eine letzte, brutale Illusion von Tatkraft zu verschaffen.

TROPA DE ELITE, BR 2007 - Regie: José Padilha. Buch: Padilha, Braulio Mantovani, Rodrigo Pimentel. Kamera: Lula Carvalho. Musik: Pedro Bromfman. Mit Wagner Moura, André Ramiro, Caio Junqueira. Verleih: Senator, 115 Minuten.

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