Im Kino: "The Wrestler":Der letzte Luxus ist die Würde

Die Jobs am Rande der Gesellschaft lassen für Stolz keinen Raum: Mickey Rourke als Kämpfer am Ende der Kräfte beschwört in dem großartigen Film "The Wrestler" die Schönheit der Ruinen.

Susan Vahabzadeh

Man hört ein dumpfes Geräusch, als erfüllte sein Herzschlag den Raum, dann setzt es aus. Alle Energie ist aus Randy the Ram gewichen, die Welt hat ihn benutzt und weggeworfen; oder vielleicht war er es auch nur selbst. Er hat sich verbraucht, im Ringen um Stolz und Würde.

Im Kino: "The Wrestler": Randys einziger Halt: Stripperin Pam (Marisa Tomei).

Randys einziger Halt: Stripperin Pam (Marisa Tomei).

(Foto: Foto: Filmverleih)

Wir haben Mickey Rourke, Randy the Ram, den "Wrestler" in Darren Aronofskys Film, da schon kämpfen sehen, das ist manchmal nur Show, aber manchmal fließt Blut, krachen die Gelenke. Was schmerzlich ist, sind aber nicht die Schläge, sondern der Anblick des grotesk dekorierten Körpers - scheußliche Tätowierungen, absurde Muskelpakete und obendrauf ein Büschel selbstblondierter Haare. Das hat nichts mit Respekt vor dem Körper zu tun, im Gegenteil - Randy hat sich verschwendet, mit Kämpfen und Steroiden, hat sozusagen sein Herz gegeben. Er hat einen Infarkt, kann nun nicht mal mehr ein Stückchen von sich selbst versetzen, um die Trailermiete zu bezahlen."I always leave", heißt es in Bruce Springsteens "The Wrestler", das man am Ende hört, "with less than I had before."

Eigentlich sind die Kämpfe - sich gegenseitig in die Fresse hauen, sich mit einem Holzknüppel eins überziehen lassen, den anderen dafür in einen Glasscherbenhaufen schubsen - nur eine Extremform von Gesellschaftskampf. Randy ist einer, der nie mehr besitzen wird als sich selbst - auf welche Art sich einer aufzehrt und vergiftet, macht keinen großen Unterschied: Am Ende ist am Ende. Randy soll sich nach dem Infarkt zurückziehen, aber er weiß nicht, wohin.

Soziale Eiszeit

Aronofsky zelebriert die Schönheit der Ruinen, soziale Eiszeit und Männlichkeitsrituale, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind - die rührendsten Geschichten sind im Kern grausam. Die Körnigkeit der Bilder und die verwaschenen Farben, der dreckige Schneematsch, die verkommenen Straßen von Asbury Park, ein vereistes Paradies, das keiner mehr will - "The Wrestler" sieht aus wie die Menschen, von denen er erzählt.

Randys einziger Halt ist die Stripperin, die er sich am liebsten anschaut in seinem Stammlokal, Pam (Marisa Tomei), die schön und zerbrechlich wirkt und warmherzig. Auch sie verkauft sich, und auch ihre Zukunft ist schon vorüber. Sie strippt für Jungs, denen sie zu alt ist - hey, verschwinde, du erinnerst mich an meine Mutter. Randy geht dazwischen, und man kann in dieser Szene schön sehen, wie sich die beiden unterscheiden: Er verteidigt eine Ehre, die sie sich längst nicht mehr leisten kann. Das waren zweihundert Dollar, die mir da flöten gehen, brüllt sie ihn an.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, welcher große Irrtum modern ist.

Der letzte Luxus ist die Würde

Pam will so lange sie kann auf einen Umzug sparen, in ein anderes Viertel, mit einer besseren Schule für ihren Sohn. Stolz ist Luxus. Randy gibt sich noch Mühe, sich ein Eckchen zu erarbeiten, an dem er funktioniert, macht aus dem Bedienen an der Wursttheke im Supermarkt eine Performance, den gelben Mop auf seinem Kopf als Hochsteckfrisur unter einem Gazehäubchen. Ein Tanzbär - noch ein Löffelchen Eiersalat, schöne Frau? Die Jobs ganz am Rand der Gesellschaft lassen für Stolz und Würde keinen Raum.

Im Kino: "The Wrestler": Randy The Ram (Mickey Rourke), am Ende.

Randy The Ram (Mickey Rourke), am Ende.

(Foto: Foto: Filmverleih)

An der Wursttheke

Randy hat seinen Körper eingetauscht für einen Augenblick des Triumphs; als Ernährer, als Vater, als Respektsperson hatte er keinen Chance. Einmal, als er sich mit Pam trifft, hören sie in einer Kneipe alte Musik, Songs aus den Achtzigern, Guns'n Roses, und sehnen sich zurück: The nineties fucking sucked. Das war das Jahrzehnt, in dem sie es zu etwas hätten bringen sollen.

Randy sucht seine Tochter (Evan Rachel Wood) auf, ringt ihr ab, dass sie mit ihm spricht - nicht mehr: "Ich bin ein altes Wrack und allein, und ich habe es verdient", sagt er, und Tränen laufen die vernarbten Wangen herunter - wenn dieser Film eine Qualität hat, dann die, dass einem nichts davon egal ist: nicht sein Schmerz und nicht ihre Angst, er könnte sie verletzen, sobald sie ihm die Gelegenheit dazu gibt.

Ein Teil von dieser Rolle ist Mickey Rourke - und manches ist doch Spiel; und selbst, wenn er ganz und gar sich selbst verkörperte, hat er für diesen Auftritt allen Respekt verdient. Und vielleicht gibt er diesem Film und dem Kino damit sogar ein Stück Authentizität zurück, die im Zeitalter der digitalen Nachbearbeitung selten geworden ist. Er ist wie der verlassene Tanzpalast, in den er seine Tochter mitnimmt, ein letztes Mal versucht, in ihr die Erinnerung an bessere, glücklichere Zeiten zu wecken. Ein alter Ballsaal an der Promenade, der Putz blättert, aber man kann noch ahnen, wie herrschaftlich dieser Raum einmal gewesen muss, kann die heruntergekommene Pracht noch sehen . . .

Der große moderne Irrtum

Aber Randy hat dem Mädchen längst zu viel zugemutet, und nun reicht ein kleiner Fehler, und er hat es geschafft, dass sie ihn nicht ein mal mehr hasst. "There is no more fixing this, this is permanently broke", sagt sie. Man kann Menschen nicht renovieren, ihren Körper nicht und nicht ihre Seelen.

Es geht hier, letztlich, auch um unseren Glauben, den großen modernen Irrtum, alles sei reparabel - als sei jede Krankheit heilbar und gebe es Wunden, die keine Narben hinterlassen; als könnte man in jeder Wirtschaftskrise das Ruder wieder rumreißen, dem Alter zur Not mit Hilfe der Schönheitschirurgie ein Schnippchen schlagen, Diktatoren blutig absetzen und wundersamen Frieden schaffen. Der Blick aufs große Ganze mag das manchmal so scheinen lassen; für einen einzelnen Menschen bleibt ein verlorener Tag verloren. Eine verkorkste Biographie, eine verwirkte Jugend, der Tod sind nicht umkehrbar oder reparabel.

Wrestling ist ein Männlichkeitsritual, eine Kraftdemonstration - aber eine, bei der die Kraft tatsächlich verschwendet wird. You're so dead, brüllt das Publikum dem Verlierer zu; es geht nicht nur drum, dass einer gewinnt, sondern vor allem auch darum, dass einer am Ende am Boden liegt. Aber zumindest in dieser Geschichte ist der Ring der letzte Ort, an dem ein Sieg noch möglich ist.

THE WRESTLER, USA 2008 - Regie: Darren Aronofsky. Buch: Robert Siegel. Kamera: Maryse Alberti. Mit: Mickey Rourke, Marisa Tomei, Evan Rachel Wood, Mark Margolis. Kinowelt, 105 Minuten.

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