Im Kino: The Limits of Control:Zur Sache, Schätzchen

Jim Jarmuschs Film "The Limits of Control" ist ein langes Vorspiel, bei dem ausdrücklich niemand zur Tat schreiten soll.

Tobias Kniebe

Um eine Ahnung von diesem Film zu bekommen, sollte man vielleicht mit einer Art Meditationsübung beginnen. Also bitte, konzentrieren Sie sich! Stellen Sie sich Ihr eigenes Gehirn vor, ganz intensiv, und spüren Sie, wie es langsam immer leerer wird. Zuerst verschwinden Ihre Termine und Ihre Verpflichtungen. Dann verschwinden Ihre Ambitionen, Ihre Begierden, Ihre Meinungen. Danach, jetzt bitte nicht nachlassen, verblassen alle Gedanken an Familie und Freunde - bis schließlich auch Ihre Vergangenheit ausgelöscht ist ...Ihr Körper fühlt sich nun sehr leicht an. Sie sind bereit. Jetzt stellen Sie sich vor, wie Sie am Flughafen von Madrid ankommen. Dort ziehen Sie einen schönen, grauglänzenden Maßanzug an. Dann treffen Sie Ihre Auftraggeber, die allerdings nicht wirklich mit einem Auftrag herausrücken. "Gehen Sie zu den Türmen. Gehen Sie in das Café. Warten Sie dort ein paar Tage. Und achten Sie auf die Violine." So lauten Ihre Anweisungen. Und: "Alle Realität ist willkürlich." Nun sind Sie: Lone Man.

Im Kino: The Limits of Control: Stoischer Auftragskiller: Isaach De Bankolé ist der Lone Man.

Stoischer Auftragskiller: Isaach De Bankolé ist der Lone Man.

(Foto: Foto: Tobis)

Lone Man ist die Hauptfigur von Jim Jarmuschs neuem Film "The Limits of Control". Er wird von Isaach De Bankolé gespielt, der sehr stoisch zwischen seinen wunderschönen schwarzen Backenknochen hervorschaut. Ein weiterer von Jarmuschs Männern mit Mission, wie zuletzt auch Bill Murray einer war, in "Broken Flowers". Diesmal ist die Mission allerdings so rätselhaft wie noch nie, und Jarmusch denkt gar nicht daran, schnelle Aufklärung zu betreiben - hier geht es um tiefere Erkenntnisse, vielleicht auch nur um Rituale, um die Exerzitien der reinen Form. Man tut also wirklich gut daran, vorher ein wenig zu meditieren, denn nur so kann man in der folgenden Monotonie, in der ewigen Wiederkehr der gleichen Motive auch verborgene Schönheit entdecken. Minimal Cinema könnte man das nennen, nach dem Vorbild der Minimal Music.

Lone Man reist durch Spanien, lernt verschiedene Gegenden kennen und wohnt in Wohnungen, die irgendwer für ihn vorbereitet hat. Man lebt da sehr schön, in der Altstadt von Sevilla oder in den "Torres Blancas" in Madrid, mit ihrem kreisrunden Seventies-Bubblegum-Stil und ihren leuchtenden Farben. Lone Man setzt sich in Cafés, die seine Auftraggeber ihm genannt haben. Er ordert immer zwei Espressi, in zwei getrennten Tassen, was manche Kellner nicht sofort verstehen. Nach langer Wartezeit setzt sich dann ein Fremder oder eine Fremde zu ihm, die er nur als "der Kreole", "die Blondine", "die Violine" oder "den Mexikaner" kennenlernt. "Sie sprechen wohl kein Spanisch?", lautet die Kontaktfrage. "Nein", antwortet Lone Man.

Daraufhin muss er dem Fremden eine Streichholzschachtel geben und erhält im Gegenzug selbst eine. Dort ist ein Zettel mit einem Code drin, den er kurz betrachtet und dann aufisst. Die Kontaktpersonen, die von Schauspielern wie Tilda Swinton, Gael García Bernal oder John Hurt verkörpert werden, plaudern dann noch ein wenig über das Geigenspiel, das Kino oder darüber, ob das Wort "Bohème" wohl von dem Wort "Böhmen" abstammt. Lone Man hört ihnen unbewegt zu. Dann zieht er weiter. Zwischendurch macht er Tai Chi, um locker zu bleiben.

Niemals während der Arbeit

Einmal wird Lone Man, von dem wir irgendwann annehmen müssen, dass er ein Auftragskiller ist, der schließlich doch noch jemanden töten wird, von einem Mädchen besucht. Dieses Mädchen (Paz de la Huerta) ist wunderschön und die ganze Zeit über sehr nackt und bietet ihm Sex an. Auch da stecken wohl die Auftraggeber dahinter, aber das weiß man nicht. "Niemals während der Arbeit", sagt Lone Man. Das Mädchen fragt ihn gelangweilt, wie er das nur aushalte, bekommt aber keine Antwort mehr. Zwei Nächte liegt Lone Man nun angezogen neben einem sehr nackten Mädchen im Bett, einmal zertrümmert er ihr Mobiltelefon. Mobiltelefone mag er nicht. Dann geht seine einsame Reise weiter.

Ritual, Langsamkeit, Reduktion und Kodifizierung, das sind natürlich schon immer die Themen des Filmemachers Jarmusch, die er aber selten in aller Strenge verfolgt hat - schließlich ist er, wenn er will, auch ein großer Entertainer und sogar ein Crowdpleaser. Diesmal aber macht er Ernst mit der äußersten Verknappung seiner Mittel, bis hin zu einem fast vollständigen Verzicht auf Plot, Handlungslogik und Figurenentwicklung. Man folgt dem erst fasziniert und irgendwann dann doch etwas ungeduldig. Das Ganze soll offenbar wie ein endloses Vorspiel funktionieren, bei dem ausdrücklich niemand zur Tat schreiten darf. Jede Stimulation kann aber auch quälend werden, wenn zu lange nichts vorangeht, und schließlich dominiert ein doch recht prosaischer Gedanke: Zur Sache, Schätzchen.

Denn ja, Lone Man ist tatsächlich ein Killer, und zum Finale steht er seinem Opfer sogar gegenüber - aber statt des cineastischen Superorgasmus, mit dem er die ganze Zeit kokettiert hat, jener Mutter aller Bild - oder auch Gewaltentladungen, die nun kommen müsste, predigt Guru Jarmusch ganz überraschend eine neue Erkenntnis: Erleuchtung durch Verzicht. Das mag ein bedenkenswerter Anstoß sein - am Ende aber doch Beschiss, wenn man zuvor einen derart gewaltigen Anlauf genommen hat. Wenn wir auf diese Stufe der Weisheit vordringen wollen, versuchen wir es doch lieber mit richtiger Meditation.

THE LIMITS OF CONTROL, USA 2009 - Regie, Buch: Jim Jarmusch. Kamera: Christopher Doyle. Schnitt: Jay Rabinowitz. Ausstattung: Eugenio Caballero. Mit: Isaach De Bankolé, Bill Murray, Paz de la Huerta, Tilda Swinton, John Hurt, Gael García Bernal. Tobis, 117 Minuten.

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