Im Kino: "Stolperstein":In München stolpert man nicht gerne

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Gunter Demnig schuf das größte dezentrale Holocaust-Mahnmal der Welt. Eine Doku zeigt, wer die Tafeln im Trottoir in Auftrag gibt - und wer sich gegen sie sträubt.

Igal Avidan

An einem Tag im Mai 2004 fühlte sich Peter Jordan in München "ein wenig zu Hause" - zum ersten Mal, seit er im Mai 1939 vor den Nazis aus der Stadt fliehen musste.

Jeder Stein ein Unikat: Gunter Demnig fertigt seine Stolpersteine in Handarbeit. (Foto: Foto: ap)

Die ungewohnten Heimatgefühle wurden durch ein bewegendes Erlebnis ausgelöst: der Kölner Künstler und Bildhauer Gunter Demnig verlegte einen von ihm selbst so benannten "Stolperstein" vor dem früheren Wohnhaus der Jordans - eine ins Trottoir eingelassene kleine Messingtafel, die mit Namen, Geburtsjahrgang und Todesjahr an Jordans im Holocaust ermordete Eltern erinnert.

Wenn nun der stämmige, freundliche 85-Jährige aus Manchester wieder nach München kommt, um der Premiere des Dokumentarfilms "Stolperstein" beizuwohnen, der auch seine Geschichte thematisiert, kann er jedoch nichts Positives mehr berichten. Sein Gedenkstein wurde durch die Polizei entfernt, denn "Stolpersteine" sind in München - und nur in München - generell verboten.

Die Präsidentin der lokalen Israelitischen Kultusgemeinde und des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, fürchtet, dass Neonazis mit Springerstiefeln darauf herumtrampeln und Hunde darauf pinkeln.

Nicht am Fließband

Seit acht Jahren verlegt Demnig seine "Stolpersteine" in vielen Städten - inzwischen ist daraus das größte dezentrale Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltet hat er sie erstmals 1996 für die Ausstellung "Künstler forschen nach Auschwitz" in Berlin-Kreuzberg. Demnig beantragte eine Genehmigung, und als diese nicht kam, verlegte er trotzdem die ersten 50 Steine vor den letzten Adressen ermordeter Juden. "Ich stellte mich mit dem Auto ins Halteverbot und fing an zu arbeiten", sagt er. Zum Glück stimmten die Behörden dann zu - eine einfache und geniale Idee wurde Realität.

Und eine Härteprobe für Gunter Demnig. Der Zuspruch in der Bevölkerung - für die Recherchearbeit wie für die Finanzierung - wurde immer größer. Demnig will Steine für alle Opfer Nazideutschlands verlegen - Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Euthanasie-Opfer und Zeugen Jehovas. Doch er weigert sich, die Steine "am Fließband" zu produzieren. Jeder soll in Handarbeit gefertigt werden, denn jedes Opfer war ein Individuum.

Der Film ist jedoch nicht nur Porträt Demnigs, sondern er lässt auch die Auftraggeber erzählen: zwei Sintis in Österreich, die den Stein als einen Grabsteinersatz für ihren Großvater sehen; drei Frauen in Hamburg, die mühevoll die Steine polieren, um das schwierige Erbe ihrer SS-Väter zu verarbeiten. Eine junge Frau in Ungarn, die durch das Kunstprojekt die verdrängte Vergangenheit der Judenvernichtung thematisieren will. Aber er zeigt auch Passanten und sogar Neonazis, die ihre Ablehnung der "Stolpersteine" demonstrieren.

Die Regisseurin Dörte Franke konnte Demnig auf Verlegungstouren und in seiner Werkstatt filmen. "Das Bundesland mit den wenigsten Stolpersteinen ist Bayern", sagt sie traurig.

Wie berechtigt ist die Angst vor einer Schändung? Von den 17.000 Steinen in 375 deutschen Ortschaften (zuletzt wurden einige auch in Österreich, Ungarn, der Tschechischen Republik und Holland verlegt) wurden rund 250 angegriffen, die meisten mit Farbe. "Wenn solche Angriffe passieren, putzen die Paten und die Hausbewohner sie sofort", sagt Demnig.

Etwa 30 Steine rissen die Täter heraus und nahmen sie mit. "Nachdem in Halle acht Steine herausgerissen worden waren, veranstalteten die Auftraggeber vor Ort ein Benefizkonzert und sammelten Spenden für 26 Steine. Dann war Ruhe."

Stolperstein München

In München, die Peter Jordan bereits "die Hauptstadt der Bewegung gegen die Stolpersteine" nennt, sind die Fronten jedoch verhärtet. Die ungenehmigte Stolpersteinverlegung für Jordans Eltern verhinderten die Behörden zwar nicht, bereits am nächsten Tag wurden die Steine auf dem jüdischen Friedhof verlegt, was Jordan in einem Brief an Oberbürgermeister Ude im Film als "eine zweite Deportation" bezeichnet.

Auch die weiteren bereits gestifteten und hergestellten 300 Steine, die an Opfer des Naziterrors in München erinnern sollen, müssen warten. Die einzigen fünf "Stolpersteine" in München wurden auf privatem Boden mit der Zustimmung der Hausbesitzer verlegt.

Die "Initiative Stolpersteine für München" hat bereits 3000 Unterschriften gesammelt und versucht, Knobloch und Ude umzustimmen, aber bisher vergeblich, sagt ihr Vorsitzender Reiner Bernstein. Er berichtet aber über eine "große Unruhe" in der SPD-Fraktion, in der Ude jedoch "jede Debatte brüsk zurückweist".

Peter Jordan, der zur Vorführung am Donnerstag ins Theatiner-Kino kommt, hofft, dass der bewegende Film auch die Münchner Politiker bewegen wird, damit er seine Eltern in ihrer Heimat verewigen kann. "Mein Vater hing sehr an Bayern", erzählt er. "Deshalb wollte er nicht wahrhaben, was tatsächlich passierte." Am 20. November 1941 wurden Siegfried und Paula Jordan zusammen mit eintausend Münchner Juden nach Litauen deportiert und sofort erschossen.

© SZ vom 06.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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