Im Kino: Still Walking:Die wirkliche Familie

Familienbanden sind der Stoff, aus dem das japanische Kino gemacht ist: Hirokazu Kore-edas Film "Still Walking" zeigt die ganze delikate Balance zwischen Anziehung und Abstoßung.

Fritz Göttler

Familienbande, der Stoff aus dem, zum sehr großen Teil, die japanischen Erzählungen, das japanische Kino gemacht sind. Die Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Männern und ihren Frauen, diese ganze delikate Balance von Anziehung und Abstoßung, von Geselligkeit und Einsamkeit, von Erfüllung und Versagen. Auch Hirokazu Kore-eda erzählt davon in seinem Film Still Walking von 2008, in einem Stimmungsgefälle zwischen Melancholie und Glücksgefühl.

Kinostarts - 'Still Walking'

Ryota (Abe Hiroshi, l), Yukari (Natsukawa Yui) und ihr Sohn Yukaris Atsushi (Tanaka Shohei) in einer Szene des Films "Still Walking". Es ist Zeit für das jährliche große Familientreffen, um dem verstorbenen ältesten Sohn der Familie zu gedenken.

(Foto: dpa)

Ein Zug ist unterwegs in den ersten Bildern, ein richtiger Fernzug, im Gegensatz zu den Pendlerzügen, die in den Filmen Yasujiro Ozus mit schöner Regelmäßigkeit durch die Totalen ruckeln. Man hat Still Walking oft mit Ozu in Zusammenhang gebracht, daher sollte man genau darauf achten, worin die beiden Filmemacher sich unterscheiden. Kore-eda ist viel näher dran an seinen Figuren, seine Einstellungen beschwören Fülle und Überdruck, er löst die Versteinerung auf, die bei Ozu herrscht.

Der Zug bringt Ryota, seine Frau Yukari und deren Sohn in das Städtchen am Meer, wo Ryotas Eltern leben. Yukari ist Witwe, sie hat den Sohn in die neue Ehe mitgebracht. Die Großmutter wird sich weigern, ihn als richtigen Enkel zu behandeln, er bleibt ihr ein Enkel aus zweiter Hand.

Vielleicht solltet ihr keine eigenen Kinder haben, rät sie dem Paar, in grausamer Gedankenlosigkeit. Von solchen unerklärlichen Momenten egozentrischer, blinder Wahrheit lebt diese Familie, lebt dieser Film. Von dieser alltäglichen Entfremdung, die man nicht mehr wahrzunehmen, geschweige denn sich einzugestehen vermag.

Er war der Erbe

Von diesem permanenten Abwägen und Vergleichen, diesem Kalkül, das Autonomie und Unabhängigkeit bestätigen soll, die persönliche wie die soziale. Der Großvater kann nicht verstehen, weshalb Ryota keinen respektablen Beruf erlernte, nicht Arzt geworden ist, wie er selber einer war und der ältere Bruder, Junpei, es gern geworden wäre. Er war der Erbe, sagt der Vater von diesem Sohn.

Es liegt ein unwirklicher Frieden über dem gemeinsamen Tag, man hört das Singen der Zikaden, das Rauschen der Bäume, die weißen Hemden und Kleider strahlen in der Sonne. Es ist ein Gedenktag, der die Familie zusammenbringt, Ryota und seine Frau, die Schwester und ihre Familie. Vor fünfzehn Jahren ist Junpei gestorben, und sein Tod ist von den Eltern nie bewältigt worden. Weshalb dann plötzlich ein unförmiger, schwitzender Unglückswurm vor der Tür steht - Junpei hat ihn vor dem Ertrinken gerettet und dabei selbst sein Leben lassen müssen. Was für ein erbärmliches Leben, das mit diesem Tod bezahlt wurde?

Der Film ist von einem anderen Todesfall inspiriert, Kore-eda - der Regisseur von After Life und Nobody Knows - hat Erfahrungen gestaltet, die er beim Tod seiner Mutter hatte. Das Gefühl, nicht rechtzeitig da gewesen zu sein. Das Gefühl, dass man nie zur rechten Zeit da ist. Die Zeit, die einem davonläuft, all die Zeichen des Alters, des nahenden Todes.

"Die Situation des Films ist erfunden, aber die Hälfte der Sätze der Mutter im Film kamen von meiner Mutter." In der Meisterschaft, mit der er seine Akteure ihre Sätze im Raum placieren lässt, ist er Ozu ebenbürtig. Wie Ozu versagt er sich jede Moral, jede Bewertung seiner Figuren. Ein Schmetterling verirrt sich ins nächtliche Haus, und die Großmutter verfolgt ihn, in ihrer emotionalen Flatterhaftigkeit, als wäre das die Seele des toten Sohnes. Ein wunderlicher, höchst lächerlicher, zutiefst bewegender Moment.

Ein einziges Mal nur scheint die Familie wirklich zu werden. Die Großmutter bereitet Mais-Tempura zu im zischenden Fett, der Großvater hört die Körner platzen und kommt in die Küche, wo auch die Kids versammelt sind. Plötzlich ist eine spontane Fröhlichkeit da, und eine Erinnerung: Da war ein Nachbar, vor dreißig Jahren, mit einem großen Maisfeld.

Und des Nachts hatte der Vater, der respektable Doktor, sich, der Not gehorchend, dort bedient. Als die Mutter dann am nächsten Tag Tempura macht, stand plötzlich der Nachbar an der Tür, brachte Mais vorbei, es war eine Superernte. Da lachen sie, ausgelassen, fröhlich, verschworen. Eine wirkliche Familie. Eine Familienbande.

ARUITEMO, ARUITEMO, Japan 2008 - Regie, Buch, Schnitt: Hirokazu Kore-eda. Kamera: Yutaka Yamasaki. Ton: Yutaka Tsurumaki. Musik: Gonchichi. Ausstattung: Toshihiro Isomi. Mit: Abe Hiroshi, Harada Yoshio, Kiki Kirin, Natsukawa Yui, Tanaka Shohei, You. Kool Filmverleih, 114 Minuten.

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