Im Kino: "Sieben Leben":Ihr Sünderlein kommet

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Sieben einander fremde Figuren haben eins gemeinsam: Sie lernen Will Smith kennen. Und man weiß nicht warum. Trotzdem wird aus "Sieben Leben" noch ein packender Film.

Doris Kuhn

Ein Versprechen auf Dramatik ist gleich der Beginn dieses Films. Ein Versprechen, das nicht nur eingehalten, sondern ausführlich unterfüttert wird - mit einer Aneinanderreihung von Rätseln, mit einer Liebesgeschichte von solcher Romantik, dass sie alle verfügbaren Herzen bricht, obwohl an Herzen in "Sieben Leben" nicht gerade Überfluss herrscht.

Überlebenswichtig füreinander: Will Smith und Rosaria Dawson als fremde Liebende. (Foto: Foto: Filmverleih)

Der Anfang also zeigt einen Selbstmord, der, kaum hysterisch, seltsam geistesgegenwärtig, von Will Smith ausgeführt wird. Noch während der Tat ruft er die Rettungssanitäter an, damit diese zu dem Ort kommen, an dem er, der Tote, sie erwartet. Das bleibt unkommentiert, es ist das erste Rätsel. Schnell allerdings gerät es wieder in Vergessenheit, denn es war nur der Startschuss für einen Reigen, der sieben einander fremde Figuren vorstellt, die alle zwei Dinge gemeinsam haben: Sie lernen Will Smith kennen. Und man weiß nicht warum.

Genau das macht die erste Stunde von "Sieben Leben" zu einem Vergnügen, wie man es im Kino nicht häufig zugestanden bekommt: Der Film liefert den Zuschauern kein Übermaß an Informationen, um nur allen alles zu erklären. Er drängt sich niemandem auf, er bleibt ganz dicht an seiner Geschichte, die sichtlich nach einer inneren Mechanik funktioniert, deren Sinn man sich jedoch, für eine Weile zumindest, selbst erfinden muss. Wie ein Puzzle setzt sich "Sieben Leben" zusammen, mit kurzen Schüben der Erkenntnis und langen Passagen der Irritation, was den Spaß jedoch niemals mindert, da die einzelnen Teile dieses Puzzles so interessant sind, dass man sie gerne ansieht, auch ohne sie sofort deuten zu können.

Die Antwort auf alle Fragen liegt natürlich bei Will Smith. Er spielt die Rolle eines umtriebigen Steuerfahnders, Ben Thomas, der sein Auftreten so oft verändert, dass man geneigt ist, an eine Persönlichkeitsspaltung zu glauben. Mit jedem der sieben Leben, auf die er trifft, wechselt er sein Verhalten.

Einerseits schreit er einen blinden Pianisten so lange an, bis dieser fast in Tränen ausbricht. Andererseits gelingt es ihm, in einem Altersheim eine Frau zum Reden zu bewegen, die sich schon lange Zeit durch Schweigen verweigert. Im Dialog mit dieser Frau, in der Annäherung an ihr Leid, sieht man die Kunstfertigkeit des Schauspielers Will Smith. Mit seiner Mischung aus Sanftmut und Klugheit kann er nach zwei Minuten das erreichen, was anderen niemals gelingt: Vertrauen zu wecken, allenthalben.

Schnulzenpotiential

Diese Fähigkeit und seinen Beamtenausweis nutzt die Figur Ben Thomas, um mit den verschiedensten Menschen eine Art Vorstellungsgespräch zu führen, zu einem Zweck, den nur er selber kennt. Dabei stößt er auf Rosario Dawson, ausgestattet mit dunklen Augenringen und müder Selbstironie. Sie spielt das Mädchen Emily, und wenn man die Toughness an Rosario Dawson schätzt, dann sieht man, wie sie diese mitnimmt in eine Rolle, welcher Toughness eigentlich fremd ist, die aber dadurch durchaus gewinnt. Das muss auch Ben Thomas feststellen. Gegen seinen Willen bleibt er an diesem Mädchen hängen, an ihrer Lebensfreude, die mit seinem Missmut kollidiert, genauso wie an ihrer Tristesse, die mit der seinen übereinstimmt.

Widerstrebend lassen diese einsamen Kämpfer eine Liebesgeschichte zu, die ihnen beiden nicht in den Kram passt. Verhalten zuerst, in dem Versuch, das Fremde am anderen fremd bleiben zu lassen, endet sie damit, dass jeder umso drängender den Wunsch verspürt, zu verstehen, was der andere schätzt und fürchtet und wünscht. Ihre Annäherung birgt Überraschungen und Hoffnung, was Liebesgeschichten nur noch selten zu eigen ist, und sie zeigt auf unkonventionelle Weise, wie zwei einander überlebenswichtig werden.

Allmählich entwickelt der Regisseur Gabriele Muccino "Sieben Leben" dabei zu einer Variation über den Sündenfall. Kann man wiedergutmachen, was man gedankenlos angerichtet hat, wird das Prinzip der Sühne funktionieren, wenn man sich ernsthaft darum bemüht? Gegen Ende geht das Schnulzenpotential bei der Schwere einer solchen Aufgabe zwar arg nach oben, aber dafür gilt: Was die Geschichte in ihrer zweiten Hälfte an Sentimentalität aufbietet, wird durch die Schauspieler abgefangen - durch Woody Harrelson als Pianisten, durch Rosario Dawson, durch Will Smith selbst. Sie zeigen sich, trotz allem Zwang zur liebenswerten Figurenzeichnung, doch nah genug an gefährlichen Abgründen.

SEVEN POUNDS, USA 2008 - Regie: Gabriele Muccino. Buch: Grant Nieporte. Kamera: Phillippe Le Sourd. Schnitt: Hughes Winborne. Mit Will Smith, Rosario Dawson, Woody Harrelson, Elpidia Carrillo, Michael Ealy. Verleih: Sony Pictures, 123 Minuten.

© SZ vom 9.1.2009/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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