Im Kino: "Open Range":Bei schlechtem Wetter findet der Wilde Westen im Saale statt

Kevin alleine draußen: Costners vierte Regiearbeit zeigt Cowboys, Rinder, Saloons und dralle Mädchen - ganz wie in einem richtigen Western.

SUSAN VAHABZADEH

Open Range" könnte mühelos einer ganzen Generation von kleinen Jungs das Cowboy-Spielen verleiden: Selten ist dem Wilden Westen so gründlich die Romantik ausgetrieben worden. Arschkalt war's, die Cowboys mussten bei jeder Witterung im Freien schlafen, die klassischen Sträßchen mit ihren Läden und Saloons waren auf Dreck gebaut, und wenn es zu regnen anfing, ergossen sich Schlammlawinen durch die Stadt. Kevin Costner hat natürlich vollkommen recht: So wird's gewesen sein, damals, im Wilden Westen.

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"Open Range" ist Costners vierte Regiearbeit, und wie immer spielt er die Hauptrolle selbst, Charley, der mit seinem Kumpel Boss (Robert Duvall), zwei jugendlichen Helfern und seinem Viehzeug in einer Kleinstadt ankommt, in der man ihn nicht haben will. Sie sind Freegrazer, das heißt, dass sie ihr Vieh dorthin treiben, wo Platz und Weidefläche ist. Der Rancher Baxter (Michael Gambon) hat die Stadt im Griff, er versucht die Fremden zu vertreiben, weil er findet, die Welt gehört ihm - und weil sie sich nicht einschüchtern lassen, zettelt er einen blutigen Kampf an gegen die Cowboys. Er lässt die beiden Jungs übel zurichten, während Boss und Charley in der Stadt sind, bringt - das ist wahre Gemeinheit! - sogar ihren Hund um. Boss und Charley wollen ihm die Stirn bieten - aber Boss, der im Bürgerkrieg gekämpft hat, weiß, was kämpfen bedeutet, er will niemanden umbringen müssen, um Recht zu bekommen.

Es gibt einen großen High-Noon-Showdown in der Stadt, die Leute haben sich in ihren Häusern verkrochen. Costner lässt sie hinterher auf die Straße kommen, sie versammeln sich um ihre Toten - eine ungewöhnliche Szene für einen Western. Das ist das Interessanteste an "Open Range": Costner erzählt eine western-typische Geschichte auf sehr ungewöhnliche Art. Er hat Charley als unbeholfenen, einfachen Mann inszeniert, der sich in die Schwester des hilfsbereiten Dorfarztes verknallt, Sue (Annette Bening). Sue ist eine ganz und gar untypische Figur für einen Western, keine klassische alte Jungfer: nicht mehr jung, aber sehr reizvoll. Eine seltsame, rührend linkische Romanze entspinnt sich zwischen den beiden, und sehr wichtig wird dabei das bisschen Porzellan, das sie hat retten können im rauen Westen - der Tölpel Charley macht den zierlichen Tässchen bald den Garaus.

"Open Range" ist dennoch ein sehr altmodischer Film, im Vergleich zu moderner Action geht es hier doch recht gemächlich zu, und im Western handelt es sowieso immer um Moral, um Fragen, die dem Kino ansonsten abhanden gekommen sind: Den Helden geht es um das, woran sie glauben; modern ist es, an gar nichts zu glauben oder jede Woche an irgendetwas anderes. Charley und Boss haben klare Grundsätze: Sie müssen sich selbst treu bleiben, um ihre Vorstellung von Gerechtigkeit kämpfen, sonst sind sie verloren.

Als Film hat "Open Range" eindeutig Schwächen - man würde sich beispielsweise wünschen, dass Boss und Charley ihre Grundsätze, ob's nun um Vieh, Land oder Frauen geht, nicht dauernd diskutieren würden. Dieselbe Unbeholfenheit, die im Verhältnis zu Sue rührend wirkt, macht diese Szenen anstrengend, manchmal gar unfreiwillig komisch. Duvall ist großartig, er kann all diese Dinge spielen, ohne sie auszusprechen, und es wäre wohl besser gewesen, Costner hätte ihn einfach gelassen.

Ein interessantes Phänomen ist "Open Range" aber schon des Genres wegen - denn er kommt, sozusagen, nicht allein angeritten. Während Kevin Costner mit unverfälschtem Wilden Westen aufkreuzt, hat Ron Howard, mit Cate Blanchett und Tommy Lee Jones, "The Missing" gedreht, der in Berlin im Wettbewerb läuft, auch das im Prinzip ein Western. Nachdem der Western jahrelang überhaupt keine Rolle mehr spielte im Kino, ist das sicherlich kein Zufall. Es gibt so etwas wie die Sehnsucht nach natürlichen Schauplätzen - das gilt auch für das Bürgerkriegsdrama "Cold Mountain", den Eröffnungsfilm der Berlinale; vielleicht haben im letzten Sommer auch deswegen viele Blockbuster enttäuscht an den Kinokassen, weil sich zu viele Leute satt gesehen haben an den künstlichen Welten. Und der Wilde Westen passt, auf einen ersten flüchtigen Blick, auch gut zur amerikanischen Befindlichkeit - die Sehnsucht danach, die Welt aufzuräumen, wenn schon nicht die richtige, dann doch die Saloons und Kleinstädte einer fiktiven Gründerzeit, in der Wyatt Earp - auch den hat Costner mal gespielt - sich leichter tat, mit den Fieslingen fertig zu werden als George W.. Nur passt das, vor allem bei Costner, so ganz und gar nicht zum Geist der Geschichte: Seine beiden Helden sind ziemliche Peaceniks.

Weder "Open Range" noch "The Missing" taugen dazu, den Westen wiederzubeleben, wie wir ihn kennen. In Costners erster Einstellung liegen die Helden nachts auf einer Lichtung, frierend im strömenden Regen. Solche Sorgen hatten John Fords Helden nicht. Ron Howards "The Missing" beginnt auf einem Plumpsklo. Howard und Costner haben der Pionierzeit jeden Reiz genommen: Der wilde Westen war unbeheizt, der Mädchenhandel blühte, und wenn man noch Zähne hatte und sich einer entzündete, wurde er mit einer abgekochten Zange gezogen, ohne Betäubung. Das Bild, das Hollywood gerade vom Wilden Westen entwirft, ist zum Abgewöhnen - da möchte man auf keinen Fall dabei gewesen sein. Costner kann diese Geschichte eben nicht in aller Unschuld erzählen. Er betrachtet seine Figuren von heute aus, was er weiß über diese Ära und was er besser weiß, weil er in der Gegenwart lebt, steckt in diesem Film. Eigentlich ist das ganz schön, so wie es ist: Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, nicht mal im Kino.

OPEN RANGE, USA 2002 - Regie: Kevin Costner. Buch: Craig Storper, basierend auf Lauran Paines Roman. Kamera: James Muro. Mit: Kevin Costner, Robert Duvall, Annette Bening, Michael Gambon, James Russo, Michael Jeter. Universum, 145 Minuten.

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