Im Kino: New Moon:Sensibelchen, komm schluchz mit mir!

Es ist kein Blut, das trieft, sondern Seelenschmalz: Nie sah man Vampire so weichgespült wie in "New Moon": Keine Spur von Biss.

Susan Vahabzadeh

Wenn in einem Film alle paar Minuten ein händchenhaltendes Paar über eine Blumenwiese läuft, ist eines klar: Hollywood hat die Mädchen als Zielgruppe entdeckt und ist sich beim Buhlen um ihre Gunst für keinen müden Trick zu schade. Zumindest bislang funktioniert das bei der "Twilight"-Saga, den Verfilmungen von Stephenie Meyers Vampirromanen, blendend. Im zweiten Teil, "New Moon- Biss zur Mittagsstunde" läuft der bleiche Robert Pattinson, der meistens ein wenig glitzert, in Slow Motion über einen Parkplatz - und ein ganzes Kino voller Mädchen seufzt hingebungsvoll. Und das, obwohl eigentlich nichts passiert ist und nichts passieren wird.

Im Kino: New Moon: Highschool-Vampir Edward (Robert Pattinson) ist unfehlbar, flugtauglich und hochmoralisch.

Highschool-Vampir Edward (Robert Pattinson) ist unfehlbar, flugtauglich und hochmoralisch.

(Foto: Foto: Filmstarts)

Die erste halbe Stunde von "New Moon" ist objektiv betrachtet problematisch: Sie ist nur für Kenner des ersten Teils verständlich. Da werden keine Figuren eingeführt, man hat gefälligst zu wissen, dass die Schülerin Bella Swan (Kristen Stewart) die Freundin von Edward (Pattinson) ist, der zum Cullen-Clan gehört, einer Vampirsippe, die seit hundert Jahren weiterzieht, sobald auffällt, dass keiner von ihnen altert; und sie töten keine Menschen, um sich zu ernähren.

Ansonsten wird sehr wenig Handlung ausgewalzt - Junge trennt sich von Mädchen, Mädchen ist traurig -, auf eine Weise, die die Geduld eines gewöhnlichen erwachsenen Zuschauers, im Gegensatz zu den Vampiren auf der Leinwand nur mit einer begrenzten Lebenszeit ausgestattet, auf eine harte Probe stellt. Das macht aber nichts: Als Teenie ist man aber offensichtlich hin und weg. Mit Pattinson alias Edward Cullen hat sich Hollywood selbst übertroffen in einer Disziplin, die früher eine Domäne des Musikgeschäfts war - der Teenieschwarm als getuntes Industrieprodukt.

Überhaupt straft der von Chris Weitz inszenierte "New Moon" alle Lügen, die behaupten, es gebe kein Rezept für einen Kinoerfolg: Hier wird alles zusammengerührt, was den Geschmack der umworbenen Zielgruppe bedienen könnte. Gewaltarme Action, romantischer Kitsch: Weißt du, schmalzt Edward Bella an, worum ich Romeo beneide?

Nicht um Julia, sondern um die Fähigkeit, für die Liebe zu sterben. Außerdem sind Stephenie Meyers Vampire endgültig einer Entwicklung zum Opfer gefallen, die sich bei Anne Rices "Interview mit einem Vampir" bereits andeutete und die sich in "Buffy - Im Bann der Dämonen", einer der erfolgreichsten Teenie-Fernsehserien der Neunziger, fortsetzte: Der moderne Highschool-Vampir kämpft für das Gute und hat mehr gemein mit Batman als mit Dracula, der für sich blieb auf seinem Schloss und nur aus Ernährungszwecken zu den Menschen stieß.

Lesen Sie auf Seite 2, was die Mädchen an Meyers Prüderie so reizvoll finden.

Oase der Entsagung

Edward ist eine Mischung aus niedlichem Superheld, Vampir und Robin Hood, ein liebenswertes erotisches Kunstgeschöpf - superstark, superschön, sensibel, unfehlbar, flugtauglich und hochmoralisch.In "New Moon" wird dem Modell zarter Jüngling noch eine Fitness-Studio-Variante beigefügt - Bellas Freund Jacob, der sich in sie verknallt hat und sich als guter Werwolf entpuppt, der sie beschützt, nachdem Edward sie verlassen hat. Er hat das natürlich aus selbstloser, asketischer Liebe getan: Die Cullens sind zwar Meister der Entsagung, aber der Geruch von Bellas Blut bringt sie in Wallung - früher oder später, fürchtet Edward, wird es aus sein mit seiner Selbstdisziplin, Bella wird gebissen und zum Vampir gemacht.

Im Kino: New Moon: Jacob (Taylor Lautner) ist der gute Werwolf der Bella beschützt, nachdem Edward sie verlassen hat.

Jacob (Taylor Lautner) ist der gute Werwolf der Bella beschützt, nachdem Edward sie verlassen hat.

(Foto: Foto: Filmstarts)

Nun war schon in "Twilight" klar, dass hier eine ganz reaktionäre Sexualmoral an die Jugend gebracht werden soll. Über metaphorische Andeutungen, wie sich Vampirismus zu Sex verhält, geht "New Moon" weit hinaus, die keusche Agenda wird nicht mal maskiert, hier heißt's deutlich: Gebissen wird bei den Cullens nur mit Trauschein. Da wird dann auch klar, wie lustfeindlich dieses Vampiruniversum wirklich ist: Sex ist fies, und das bleibt er auch, wenn er nicht mehr ganz verboten ist. Der Blutdurst der Vampire - die Cullens sind mit ihrer Triebunterdrückung ja ein Sonderfall - ist richtig schön eklig, die Schreie der Opfer, die Bella gehört hat (sehen tut man hier selbstverständlich keinen Biss!), bereiten ihr Alpträume.

Man kann sich vielleicht gerade noch vorstellen, dass die Cullen'schen Keuschheitsgebote in ländlichen Gegenden der USA auf gesellschaftliche Normen treffen, zu denen sie passen - aber das reicht nicht als Erklärung für die sagenhaften 140 Millionen Dollar, die der Film in den amerikanischen Kinos übers vergangene Wochenende eingespielt hat - auch bei uns wurde die Fortsetzung heiß herbeigesehnt. Irgendetwas aber finden junge Mädchen, aufgewachsen in einer sehr liberalen Gesellschaft, offensichtlich reizvoll an Meyers Prüderie.

An Ende haben für viele junge Mädchen der Sex und das Sexysein längst nichts mehr mit Freiheit zu tun, sondern sind zum Zwang geworden - und Meyers Oase der Entsagung kommt ihnen gerade recht, ist Schutzraum in einer Gesellschaft, in der man geradezu Lust haben muss. Oder es ist der Reiz dieser Geschichten, dass hier alles ein großes Drama ist, genauso, wie sich das als Teenie anfühlt - kein Schmerz ist überwindbar, keine Liebe endlich, kein Gefühl nur mittelgroß.

Aber vielleicht ist auch einfach die Angst immer noch das stärkste Aphrodisiakum von allen und Stephenie Meyer hat mit ihren Vampiren die Formel ergründet für die synthetische Bedrohung , so weit weg von allen Wirklichkeiten und echten Gefühlen, dass man sie nicht fürchten muss: Edward, das erotische Kunstprodukt der unvereinbaren Eigenschaften, das Sinnbild für die keimfreie Liebe, den süßen Schmerz ohne Verletzungsgefahr.

NEW MOON, USA 2009 - Regie: Chris Weitz. Drehbuch: Melissa Rosenberg nach Stephenie Meyers Roman. Kamera: Javier Aguirresarobe. Mit: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Ashley Greene. Concorde, 130 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: