Im Kino: Marie-Antoinette:Politiknutte im Namen der Diplomatie

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Marie-Antoinette muss ihre Haut zu Markte tragen und endet in einem dekadenten Versailles. Ein Porträt der Königin als kleines Mädchen liefert Sofia Coppola in ihrem neuen Film.

Susan Vahabzadeh

Es gibt nicht besonders viele erfolgreiche Regisseurinnen, Sofia Coppola gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten; das liegt vielleicht auch daran, dass sie sich die Freiheit nimmt, erst einmal sehr viel von dem abzuschütteln, was als Konvention gilt. Als "Marie Antoinette" im Frühjahr in Cannes Premiere hatte, hat sie dafür erst einmal bezahlt - man hat ihrem Film dort fast all seine Tugenden, seine Eigenheiten nämlich, vorgeworfen: den laxen Umgang mit der Geschichte.

"Dann esst doch Kuchen", ruft Marie-Antoinette (Kirsten Dunst) den hungernden Parisern zu. (Foto: Foto: AP)

Es ist aber nicht die Aufgabe des Kinos, die Welt nachzuerzählen - es soll sich seinen eigenen Reim drauf machen. Und "Marie Antoinette" macht sich von einer historischen Hassfigur tatsächlich ein ganz und gar eigenes Bild; und ein ganz gegenwärtiges, in der Sprache, den Gesten, und irgendwie sogar in den pompösen Gewändern... Ein bisschen Barbie-Ästhetik mischt sich in dieses magische Ausstattungsspektakel. Und das passt, erstaunlicherweise vielleicht, alles ganz gut zusammen.

Politiknutte im Namen der Diplomatie

Sofia Coppola erzählt die Geschichte von Marie Antoinette von den Mädchenjahren bis zur Französischen Revolution; und schon wenn ganz am Anfang Marianne Faithfull auftaucht als Maria Theresia, Kaiserin von Österreich und lieblose Mutter, entwickeln ihre Bilder einen Unterton von Pop, der weltfremde Hochadel löst Assoziationen aus von Teeniestars und Hollywoodprinzessinen, Drogenräuschen und Einkaufsexzessen, von viel zuviel Oberfläche und zuwenig Halt.

Marie Antoinette muss ihre Haut zu Markte tragen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wird, mit vierzehn Jahren, an der Grenze den Franzosen übergeben und muss alles was vorher war zurücklassen - die Kleider, die Freundinnen, den Schoßhund. Eine Halbwüchsige, die an der Grenze vor einem Tross von Gefolgs- und Wachleuten bis auf die Haut entblößt wird, das ist eigentlich pervers.

Aber ein schönes Bild dafür, wie das Mädchen wie eine Sache im Namen der Diplomatie verschachert wird, zur Politiknutte gemacht. In Versailles wird sie mit dem Thronfolger vermählt, der von einer Ehe so wenig Vorstellungen hat, dass sogar das Erbenzeugen zu einem langwierig vorbereiteten Prozess wird. Kirsten Dunst, die schon in Coppolas Regiedebüt "The Virgin Suicides" die Hauptrolle gespielt hat, verkörpert Marie Antoinette, manchmal als desorientiertes Mädchen, manchmal als albernen Teenager.

Ihre Sorgen, ob es nun die Vorwürfe sind, weil sie immer noch nicht schwanger ist, oder die Angst vor der draußen sich abzeichnenden Revolution, verdrängt sie und gleitet ab in einen Partymarathon, den Coppola in einer langen, rauschhaften Sequenz zusammengeschnitten hat - das ähnelt der durchzechten Nacht in Tokio, in "Lost Translation", wo die gleichen Emotionen von geschäftiger Verlorenheit entstehen lassen.

Sofia Coppola macht sich frei von political correctness

Im Montieren von Sequenzen ist Sofia Coppola ganz grandios - als würde sie die Abfolge, die Bilder erspüren und dann auf Musik schneiden; das wirkt sehr emotional und erzeugt atmosphärische Dichte.

Einsame Frauen scheinen Sofia Coppolas Thema zu sein - und so, wie sie von Marie Antoinette erzählt, sich einlässt auf ihre Perspektive, konnte gar kein Geschichtsreferat werden aus ihrem Film. Wir verlassen Versailles fast nie, fühlen mit ihr und sehen mit ihren Augen - das Leben jenseits des Schlossparks hat Marie Antoinette nicht gekannt; es wäre auch nicht schicklich gewesen sich unters Volk zu mischen.

Es ist eine Qualität von Sofia Coppola, dass sie sich freimachen kann von political correctness, eine Aristokratin des 18. Jahrhundert nicht nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts beurteilt; dass sie nicht wiederholt, was jeder weiß. Ist wirklich irgendjemandem nicht klar, dass Marie Antoinette enthauptet wurde?

Coppola hatte stattdessen ein paar richtig originelle Einfällle. Asia Argento als Madame Dubarry zu besetzen beispielsweise, sie spielt sie als schlaksige Schlampe. Egal, wie die echte Madame Dubarry gewesen ist; Coppola erschafft so eine spannende Kunstfigur, die überlagert wird von gegenwärtigen Bildern, Sichtweisen - eine Dubarry mit Courtney-Love-Touch.

Das gelingt ihr auch in der Inszenierung der Königin als Popikone, im mit "I want Candy" unterlegten Konsumrausch, ein ungeliebtes Mädchens, das ein nie entwickeltes echtes Selbstwertgefühl durch Luxus zu ersetzen sucht - Selbstwertgefühl und anerzogenes Herrschaftsgebaren sind eben nicht das selbe.

Louis XV. mit texanischem Akzent

Coppolas Heldin versucht, sich selbst künstlich zu erschaffen in Kleidern, Schuhen und Schmuck. Und so lebt auch heute noch eine ganze Industrie für Dinge, die man eigentlich nicht braucht und die einen trotzdem kurzfristig glücklich machen, für die Dauer eines Åugenblicks die innere Leere füllen.

Dass Sofia Coppola die Historie nur streift, zentrale Ereignisse weglässt, die Pop-Assoziationen und die Mode, ihr Umgang mit Sprache sind ihr Cannes um die Ohren gehauen worden. Das muss daran liegen, dass Männer die Welt zwar mit Fußball erklären dürfen, Frauen aber nicht mit Mode.

Manche Vorwürfe waren absurd - beispielsweise, dass im Original Rip Torn, der Louis XV. spielt, seinen König mit texanischem Akzent spricht. Hätte er Englisch mit einem albernen französischen Akzent gesprochen, hätte das wahrscheinlich keinen gestört. Ein ärgerliches Missverständnis, das einem oft im Kino begegnet - die Entsprechung zu einer Unterhaltung in einer Fremdsprache ist nicht Radebrechen, als könne man sich nicht vernünftig ausdrücken.

Vielleicht darf man auch einfach nicht erzählen aus der Perspektive von Marie Antoinette, ein harmloses Mädchen machen aus einer, der als historischer Figur die Rolle des Bösewichts zugewiesen wurde. Sie ist kein von fiesen Kommunisten ermordetes Zarenkind, sie wurde gerichtet für die glorreichste aller europäischen Revolutionen.

Was uns das sagt über unserer eigene Haltung - das kann auch dann interessant sein, wenn Sofia Coppola nichts davon in den Sinn gekommen ist, als sie am Drehbuch schrieb. Kino entsteht erst im Prozess der Wahrnehmung. Genau das macht den Zauber aus - wenn die Bilder sich im Innern neu zusammensetzen.

MARIE ANTOINETTE, USA 2006 - Regie, Buch: Sofia Coppola. Basierend auf dem Buch von Antonia Fraser. Kamera: Lance Acord. Schnitt: Sarah Flack. Produktionsdesign: K K Barrett. Mit: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Rip Torn, Judy Davis, Asia Argento, Marianne Faithfull, Danny Huston, Molly Shannon, Steve Coogan, Rose Byrne, Shirley Henderson. Sony, 123 Minuten.

© SZ vom 28.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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