Im Kino: Mammuth:Er ist dick und stinkt

Mammuth verbrachte seine letzten Arbeitsjahre in einer Schweineschlachterei, jetzt streift er sich die Schutzhaube vom Kopf, enthüllt sein Zottelhaar und geht in Rente: Gérard Depardieu in einem bizarr ausschweifenden Roadmovie.

Rainer Gansera

Sie alle verschleppen ihre Bäuche/ Als wäre es Raubgut, als würde gefahndet danach/Aber der große Laughton trug ihn vor wie ein Gedicht ..." So beginnt Brechts Eloge auf Charles Laughtons Bauch. Eine ähnliche Lobrede könnte man auf Gérard Depardieus Bauch halten - ein grandioser Buddha-Wanst. Also spielt Depardieu in Mammuth einen Tölpel, der sich in eine Art Buddha verwandelt. Sein Bauch wölbt sich nicht nur voluminös, er hat Gargantua-Pantagruel-Dimension, und seine Tölpelhaftigkeit spielt nicht nur ins Nette à la Forrest Gump, sie treibt die Tumbheit weit ins Skurrile - ehe Weisheit daraus wird.

Das französische Roadmovie 'Mammuth' kommt ins Kino

Mit grandiosem Buddha-Wanst spielt Depardieu in Mammuth einen Tölpel, an dem die Jahre bis zur Rente vorbeigerauscht sind.

(Foto: X-Verleih)

Depardieu spielt das herrlich aus. Zuerst die Hingabe, mit der er auf einem Supermarkt-Parkplatz den Einkaufswagen zwischen zwei parkenden Autos durchschiebt. Die Autos stehen etwas zu eng und so schrammt er gewaltig ins Blech. Dann die Leichtigkeit, mit der er sich auf sein Münch-Mammut-Motorrad von 1973 schwingt. Der vierte Spielfilm von Benoît Delépine und Gustave de Kervern, der bei der Berlinale im Wettbewerb startete, ist bizarr ausschweifendes Roadmovie, melancholische Suche nach der verlorenen Zeit, und vor allem ein anrührendes Depardieu-Porträt.

Er heißt Serge Pilardosse, Spitzname Mammuth, verbrachte seine letzten Arbeitsjahre in einer Schweineschlachterei. Jetzt streift er sich die Schutzhaube vom Kopf, enthüllt sein schulterlanges Zottelhaar und geht in Rente. Er weiß nichts mit sich anzufangen, taugt nicht mal zur Türreparatur, so dass seine resolute Ehefrau (Yolande Moreau) entnervt ausruft: "Ein Tag auf Rente und schon herrscht totale Anarchie!" Sie findet eine Aufgabe für ihn: um die volle Rente zu erhalten, muss er noch zehn Bescheinigungen ehemaliger Arbeitgeber beibringen. Also entstaubt Serge sein Motorrad und begibt sich auf die Reise durch seine Vergangenheit.

Die Jahre sind an ihm vorübergerauscht wie die raketenschnellen Biker auf der Autobahn, und das erste Roadmovie-Kapitel bringt ihm nur Enttäuschungen. Er sucht ehemalige Arbeitsplätze auf - Friedhof, Rummelplatz, Nachtclub - und wird abgewiesen, ausgeraubt, als Idiot tituliert. Wenn er zusammengerollt im Häuschen einer Bushaltestelle schläft, zückt ein wartendes Schulkind sein Handy: "Mama, da liegt ein Mann in der Bushaltestelle - er ist dick und stinkt. Soll ich die Polizei holen?" Seine Horrorvision aber durchlebt Serge auf einem Parkplatz, wo sich Rentner-Urlauber vor einem Reisebus drängen. Er kämpft sich mit angstvoll verzerrter Miene durch die muntere Menge und murmelt: "Ich gehöre nicht zu euch". Er gehört nicht in dieses abstoßende Heute: zur Neugeburt wird er in einem Fluss baden müssen.

Manchmal rutscht die anekdotische Erzählung ins Seichte ab und das Skurrile wird krampfhaft herbeigezwungen. Der Preis für einen improvisatorischen Erzählstil, der zugleich das Entscheidende ermöglicht: dass sich dieses Depardieu-Porträt auch als ein Selbstporträt zeigen kann. Ein Selbstporträt, das sich tapfer in die Region der Selbstparodie wagt und dabei seinen Wahrheitskern nie aus den Augen verliert. Bei der Berlinale-Pressekonferenz schwärmte Depardieu von der Freiheit, die ihm Delépine/ de Kervern liessen, eine Freiheit wie einst, 1974, bei den Dreharbeiten zu Bertrand Bliers Die Ausgebufften.

Depardieu war immer - ob in seinen populären Komödien oder bei Marguerite Duras - ein romantischer Held. Hier fällt er als Mammuth-Obelix in den Zaubertrank der Poesie. Es begegnen ihm Engel und Muse. Der Engel: die wunderschöne Isabelle Adjani als tragische Geistererscheinung, Vergegenwärtigung der ersten großen Liebe. Sie kam bei einem Motorradunfall ums Leben und ermutigt ihn nun: "Nicht du bist der Idiot, die Welt ist idiotisch!" Der Muse begegnet er in Gestalt seiner Nichte Miss Ming: eine Künstlerin, die mindestens so kindlich-verrückt ist wie er und bizarre Skulpturen aus Puppen formt. Mit ihr fährt er ans Meer, verkauft sein Motorrad und kehrt mit dem Mofa zurück zu seiner Frau. Serges Heimkehr steht unter dem Zeichen der wiedergefundenen Zärtlichkeit, und Depardieu hat hier, in der Rolle des Tölpels, der von der Poesie errettet wird, die Essenz seines Lebens offenbart.

MAMMUTH, F 2010 - Regie, Buch: Benoît Delépine, Gustave de Kervern. Kamera: Hugues Poulain. Mit: Gérard Depardieu, Yolande Moreau, Isabelle Adjani, Miss Ming, Benoît Poelvoorde, Albert Delpy. X-Verleih, 91 Minuten.

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