Im Kino: Mammut:Game over

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Ob philippinische Nanny oder amerikanische Notfallchirurgin: In Lukas Moodyssons Globalisierungsdrama "Mammut" scheitern alle gleich. Die Fatalität setzt sich teuflisch verzwickt gegen die besten Absichten durch.

Rainer Gansera

Kinder wollen geliebt werden, es genügt nicht, sie gut zu versorgen. Davon erzählt der Schwede Lukas Moodysson bewegend in seinem sechsten Spielfilm. Das Szenario: New York, ein luxuriöses Flat in Soho, ein achtjähriges Mädchen namens Jackie, zwei vielbeschäftigte Eltern, eine philippinische Nanny. Mutter Ellen (bezaubernd: Michelle Williams) schuftet als Notfallchirurgin, der Vater, Leo (jugendlich lässig: Gael García Bernal), steht als äußerst erfolgreicher Game-Designer vor einem großen Deal. Hingebungsvoll kümmert sich das Kindermädchen Gloria (Marife Necesito) um die kleine Jackie. Geduldig liest sie ihr vor, lehrt sie Tagalog, ihre Muttersprache, geht mit ihr ins Naturkundemuseum, um in den Sternenhimmel zu blicken und über den Urknall zu philosophieren.

Hier können sie noch lachen: Michelle Williams und Gael García Bernal spielen in Mammut ein Paar, dem sein Erfolg zum Verhängnis wird. Zwischen Chirurgie und Geschäftsreisen bleibt keine Zeit mehr für das eigentliche Leben.   (Foto: online.sdekultur)

Nanny Gloria verschafft der Achtjährigen Geborgenheit, Nähe, wird zur Ersatzmutter. Was die leibliche Mutter bisweilen in eine hilflose Verzweiflung und Eifersucht treibt. Zugleich leidet Gloria darunter, dass sie ihre beiden Söhne - der eine ist sieben, der andere zehn Jahre alt - in der Obhut der Großmutter zurücklassen musste. Im Zentrum der Geschichte also: zwei Mütter, die bei aller sozialen und kulturellen Differenz ein ähnliches Schicksal teilen, sie wollen alles für ihre Kinder tun, aber sie tun es unter dem Zwang der Verhältnisse so, dass ihnen ihre Kinder abhanden kommen.

Der Sound der Einsamkeit

Moodysson erzählt das nicht im Ton der Anklage, er entfaltet fatale Paradoxien. In Bildern, die schnörkellos den Seelenbewegungen folgen, mit einem Soundtrack (Ladytron, Cat Power), der Einsamkeiten, Euphorien und Nervositäten treffend akzentuiert, und mit sympathischen Darstellern, die in jedem Augenblick klar machen, dass es nicht um die Abhandlung von Schuldfragen geht.

Die Fatalität setzt sich teuflisch verzwickt gegen die besten Absichten durch. Moodysson trifft den Nerv eines Lebensstils, der dem Geldverdienenmüssen eine viel zu große Entscheidungshoheit überlässt. An diesem Nerv nagt das Gewissen nicht nur in der Frage, wie sich die Ansprüche von Beruf und Kindern harmonisieren lassen könnten.

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Im Prolog wird kurz das Bilderbuchbild einer Kleinfamilie entworfen. Ellen und Leo, zwei jugendlich unbekümmerte Eltern, albern mit Jackie herum. Dann der Moment des Abschieds: Leo fliegt im Privatjet zu den Verhandlungen nach Bangkok, Ellen muss zum Dienst - sie wird ein mit Stichwunden eingeliefertes Kind behandeln - und Jackie kommt unter die Fittiche Glorias. An drei Orten wird der Storyfächer aufgeklappt: New York, Thailand, die Philippinen.

Auch Leos Erlebnisse in Thailand treiben ihn in eine verteufelte Paradoxie. Weil sich die Verhandlung verzögern, reist er ans Meer, träumt ein wenig vom Aussteigen, will eine junge, bildschöne Prostituierte (auch sie hat ein Kind, mit dem sie nur telefonisch in Verbindung steht) von ihrem Schicksal erlösen und erweist sich zuletzt doch nur als Sextourist.

Wer isst schon gern allein

Moodysson propagiert kein traditionelles oder gar "reaktionäres" Konzept von Mutterschaft oder Familie. In allen seinen Filmen geht er von der Maxime aus: Kinder haben das unbedingte Recht, angenommen und geliebt zu werden. Das ist für ihn der archimedische Punkt des Menschseins. In seiner Kommunen-Komödie "Zusammen" hat er es fröhlich durchgespielt, in "Lilja-4-ever" zu einer harten, tragischen Geschichte von Zwangsprostitution geformt. Moodysson, Jahrgang 1969, ist Kind der Hippie-Eltern-Generation. In ihm bohrt die Frage, ob das, was sich Selbstverwirklichung nennt, nicht doch nur ein narzisstischer Egotrip ist. Dem wird nun der Anspruch der Kinder entgegen gehalten.

In "Mammut" sind alle erwachsenen Protagonisten vom Egotrip-Vorwurf befreit. Man fügt sich einem Lebensarrangement, bei dem die professionelle Sphäre mit personalen Ansprüchen nach Nähe und Anerkennung überwuchert wird, während die Privatsphäre als simples Versorgungs-Szenario funktioniert. Wo sich dieses Missverhältnis in Augenblicken der Einsamkeit und Verwirrung offenbart, gewinnt "Mammut" seine stärkste Überzeugungskraft. Da steht Ellen vor dem prall gefüllten Kühlschrank, aber es ist niemand da, mit dem sie gemeinsam am Tisch sitzen könnte. Die Versorgung klappt, doch das Leben bleibt leer.

MAMMOTH, Schweden/Dänemark/D 2009 - Regie, Buch: Lukas Moodysson. Kamera: Marcel Zyskind. Musik: Jesper Kurlandsky, Erik Holmquist, Linus Gierta. Mit: Michelle Williams, Gael García Bernal, Marife Necesito, Sophie Nyweide, Tom McCarthy, Jan Nicdao, Run Srinikornchot. MFA, 125 Minuten.

© SZ vom 11.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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